
Es ist ein Symbolwechsel mit Signalwirkung: Erstmals weht vor dem Polizeipräsidium in Berlin die Progress-Pride-Flagge, eine erweiterte Variante der traditionellen Regenbogenflagge, die zusätzlich Transpersonen und People of Color einbeziehen soll.
Die Hissung am 14. Juli 2025 wurde dabei als offizielle Zeremonie gefeiert, als Hauptredner trat Alfonso Pantisano auf, der Queerbeauftragte des Berliner Senats, der seit Jahren für die Sichtbarkeit „queerer Themen“ sorgen will. In einer Rede, die der YouTuber Martin Lejeune dokumentierte, bedankte sich Pantisano ausdrücklich bei der Polizei für ihre Haltung in Zeiten zunehmender Ablehnung: „Für viele ist das Hissen unserer Flagge etwas Nervendes, etwas Abzulehnendes. Für viele ist es sogar Zirkus.“ Pantisano betonte zudem die zunehmende Sichtbarkeit, die durch die neue Flagge zutage trete: Vor zwei Jahren sei ihm herangetragen worden, dass man gar nicht wisse, „was ich hier soll, jedes Jahr bei dieser Flaggenhissung, weil diese Flagge repräsentiert mich nicht.“ Nach bürokratischen Hürden sei der Wechsel gelungen, heute stehe er vor zahlreichen Gästen.
Die Aktion soll ein „starkes Zeichen für Vielfalt, Weltoffenheit und Toleranz“ setzen, wie es heißt. Die Berliner Polizei selbst schrieb auf der Plattform X: „Seit 2008 setzen wir ein Zeichen für Vielfalt, Respekt, Toleranz und Weltoffenheit und haben auch heute unter anderem mit Marco Langner vor unserem Polizeipräsidium die ProgressPrideFlag gehisst.“ Zudem wurde der angebliche Kompromisscharakter der Hissung gelobt, wonach an allen anderen Liegenschaften „nur“ die traditionelle Regenbogenflagge gehisst werde. Die Teilnehmer des Events, darunter Polizisten und Gäste, feierten die Flaggenpremiere mit Applaus und Geschenken wie etwa selbstgemachten Regenbogenlutschern und Mini-Plastikfähnchen. In einem weiteren Video ist zu sehen, wie zwei migrantische Polizisten die Flagge an einem Mast anbringen.
Bei der Veranstaltung waren auch die negativen Reaktionen in den sozialen Medien ein Thema: „Das merken wir. Ich glaube, letztes Jahr musste die Kommentarfunktion erstmalig ausgestellt werden, weil es rechte Gruppierungen gab, denen das eben nicht so passt“, so die Queerbeauftragte der Berliner Polizei, Anne von Knoblauch. Als Polizei Berlin stehe man aber für „Vielfalt, für Weltoffenheit und für Toleranz“. Auch der Zuspruch in den sozialen Medien sei gigantisch, die Like-Zahlen gingen durch die Decke. Auf der Plattform X, wo die frohe Botschaft verkündet wurde, ist davon indes nicht viel zu sehen. Zwar wurde der Beitrag bis Mittwochabend 1800 Mal gelikt, aber kassierte ebenso viele Kommentare. In der Kommentarspalte dominieren zahlreiche negative Bemerkungen. „Welch Heldenmut! Die größten Dichter sind nur würdig, eure Taten zu besingen“, schreibt etwa der User Richard Meusers, während der Geschäftsführer der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, Thorsten Alsleben, darauf verweist, dass die Polizei proaktiv negative Kommentare ausblende.
Der Vorgang vor dem Polizeipräsidium zeigt: Traditionelle Regenbogenflaggen, die seit Jahren gehisst werden, reichen offenbar nicht mehr aus: „Weil wir moderner denken sollten und denken und handeln sollten“, heißt es von Seiten Alfonso Pantisanos. Dieser Wechsel erfordert nicht nur logistische Vorbereitungen, sondern auch interne Schulungen und Sensibilisierungsmaßnahmen, um die Akzeptanz unter den 27.000 Mitarbeitern zu sichern, denn viele dürften nicht wissen, wie viele Minderheiten inzwischen dadurch vertreten würden. Eine Nachfrage von NIUS, welche Kosten für die Zeremonie am 14. Juli und für die Beflaggung der anderen Liegenschaften anfielen, ließen die Polizei und der Queerbeauftragte Pantisano bis Fristende unbeantwortet.
Die Progress-Pride-Flagge gilt als hochproblematisch und polarisierend: Entwickelt 2018 vom Designer Daniel Quasar, baut sie auf der ursprünglichen Regenbogenflagge von Gilbert Baker aus dem Jahr 1978 auf und integriert Streifen für Transpersonen (hellblau, rosa, weiß) sowie braune und schwarze für marginalisierte „Communitys of Color“. Kritiker sehen darin ein zivilreligiöses Symbol, das progressive Ideologien verherrlicht und ideologische Akteure wie Transaktivisten einbindet, die Geschlechtsidentität über biologische Realitäten stellen. Die Flagge wird oft mit einer Agenda assoziiert, die Geschlechterrollen dekonstruiert und in Debatten um Jugendschutz, Sportfairness oder medizinische Eingriffe bei Minderjährigen als problematisch gilt. Viele halten sie für ein Symbol radikaler Gruppen.
Alfonso Pantisano ist seit 2023 offiziell „Queer-Beauftragter“ des Berliner Senats, der sich für die Belange von „LSBTIQ“-Personen einsetzen möchte. Der gebürtige Waiblinger und SPD-Politiker setzt sich für queere Rechte ein, organisiert Seminare, erstellt Lagebilder und adressiert die Wünsche der „Community“. Doch seine Amtsführung ist von Kontroversen geprägt: Kaum im Amt, erstattete er im Juli 2023 Anzeige gegen NIUS-Chefredakteur Julian Reichelt und die Autorin Judith Sevinç Basad wegen Volksverhetzung, auch gegen den Autor des Textes wird ermittelt. Wie die Staatsanwaltschaft Berlin auf Anfrage von NIUS mitteilte, sind die Ermittlungen auch nach zwei Jahren noch immer nicht abgeschlossen. Auslöser für die Strafverfolgung kritischer Journalisten war die NIUS-Dokumentation „Trans ist Trend“, welche die Transbewegung kritisch beleuchtet. Pantisano warf den Beteiligten unter anderem vor, Anti-LGBTQ-Rhetorik zu verbreiten und Minderheiten anzugreifen.
„Alfonso Pantisano ist seit vielen Jahren einer der sichtbarsten und kreativsten Kämpfer Berlins für die Interessen der queeren Communitys“, heißt es auf der Seite des Berliner Senats.
Pantisano ist dabei nicht der einzige Vertreter dieser ideologischen Strömung in der Hauptstadt. So hat auch die Berliner Polizei die Stelle einer Queer-Beauftragten, die von der oben zitierten Anne von Knoblauch besetzt wird. Auch sie durfte bei der Flaggenhissung nicht fehlen. In einem Interview mit dem Stern erklärte sie einst, die hohe Zahl homo- und transphober Straftaten (täglich fast zwei angezeigte Fälle bei 95 Prozent Dunkelziffer) nicht mit gesellschaftlichen Veränderungen wie der zunehmenden muslimischen Bevölkerung und dem wachsenden Einfluss des Islams, sondern mit „erfolgreicher Aufklärungsarbeit“ zu erklären sei: „Ich führe sie aber vor allem darauf zurück, dass wir eine so erfolgreiche Aufklärungsarbeit machen und sich viele Menschen trauen, Anzeige zu erstatten.“
Knoblauch betonte: „Ich habe nicht das Gefühl, in einer homophoben Stadt zu leben.“ Zur Neutralitätspflicht der Beamten, die durch Regenbogen- und Progressive-Pride-Flaggen torpediert werde, meint sie: „Das sehen wir als Polizei nicht so, bei uns hat das nichts mit Neutralität zu tun, für Toleranz, Weltoffenheit und Vielfalt einzustehen.“
Die Flaggenhissung folgt in dabei einer ideologischen Transformation nach pseudo-progressiven Kriterien. Während der Heim-EM 2024 verbot die Berliner Polizei ihren Beamten, Deutschlandflaggen an Autos zu hissen, um Neutralität zu wahren – doch die Regenbogenflagge wurde prompt vor dem Präsidium angebracht. Bundesweit entstehen ähnliche Posten: Die Bundespolizei hat mehr als 20 Ansprechpersonen für LSBTIQ-Themen eingerichtet, um Sensibilisierung zu fördern. Die Berliner Polizei hat sich zudem auch mit Masken- und Fetischwägen bei der „Pride“-Parade engagiert. Jede Direktion hat Ansprechpartner für queere Themen, und die Behörde ist sich auch nicht zu schade, ihren Einsatz für die Regenbogengesellschaft auf den Accounts in sozialen Medien zu präsentieren.
All das geschieht, während in Berlin die Kriminalität grassiert: Die Polizeiliche Kriminalstatistik für 2024 verzeichnet 539.049 Straftaten – einen leichten Anstieg –, darunter steigende Gewaltkriminalität. Die Progress-Pride-Flagge wird der Polizei, so viel ist sicher, dabei nicht helfen, diese Zahl wieder kleiner werden zu lassen.
Auch bei NIUS: Willkommen in der Republik für Queer und Gedöns