Der Rechtsstaat darf nicht zum Richterstaat werden

vor etwa 3 Stunden

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In Ludwigshafen muss die AfD draußen bleiben. Bei der Wahl zum Oberbürgermeister in der zweitgrößten rheinland-pfälzischen Stadt darf Joachim Paul nicht antreten. So entschied es der örtliche Wahlausschuss, so hat es das Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstraße ebenso bestätigt wie das Oberverwaltungsgericht Koblenz. Es hat alles seine formale Richtigkeit.

Dennoch: Es ist schwer erträglich, dass in einer Demokratie nicht der Wähler souverän entscheiden darf, welchem Bewerber er sein Vertrauen schenkt. Gremien und Gerichte sieben das Personaltableau. Die Bevormundung des Wählers greift um sich. Ludwigshafen könnte eine Etappe sein auf dem Weg vom Rechtsstaat zum Richterstaat – und eine solche Entwicklung wäre nicht nur schwer erträglich. Sie wäre undemokratisch.

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Wer Gerichtsurteile kritisiert, steht mit einem Bein im Verfassungsschutzbericht. Zumindest dann, wenn der Geheimdienst sein neues Beobachtungsfeld „Delegitimierung des Staates“ kreativ beackert. Wird der Staat nicht bereits delegitimiert, wenn die Gewaltenteilung als gefährdet betrachtet wird? Der Rechtsstaat beruht jedoch auf Meinungsfreiheit – auf dem Recht, seine Meinung äußern und verbreiten zu dürfen, ohne eine Bestrafung fürchten zu müssen.

Davon machte der abgelehnte Kandidat Gebrauch. Davon machen Beobachter Gebrauch, die der Fall von Ludwigshafen erschüttert. Davon mache nun ich Gebrauch, wenn ich an die bereits andernorts, etwa bei der Neuen Zürcher Zeitung, gestellte Frage anschließe: Befindet Deutschland sich auf dem Weg vom Rechtsstaat zum Richterstaat?

Der Rechtsstaat braucht unabhängige Richter. Im Rechtsstaat steht niemand über dem Recht, das alle bindet. Das Recht soll herrschen, nicht die Willkür; das Recht, nicht die Gewalt; das Recht, nicht der Clan; das Recht, nicht das Geld.

Der Fall von Ludwigshafen zeigt, dass eine allzu enge Verzahnung von Politik und Recht beiden schaden kann. Das Recht erscheint dann nicht mehr als unvoreingenommen, und die Politik wird zur vereinigten Parteienpolitik, die unliebsame Konkurrenz draußen hält. Im Fall vom Ludwigshafen ist das die AfD.

Die amtierende Oberbürgermeisterin erkundigte sich beim regionalen Inlandsgeheimdienst, der in die Zuständigkeit des sozialdemokratischen Innenministers fällt. Der Dienst stellte eine Blütenlese zum AfD-Kandidaten Paul zusammen, wenig überzeugend, kaum substanziell.

Zuvor hatte bereits die Kommunalaufsichtsbehörde ermuntert, die Prüfung der Bewerber „auf Verfassungstreue zu erstrecken“. Auch die Kommunalaufsichtsbehörde untersteht dem SPD-Innenminister. Die Ludwigshafener Oberbürgermeisterin gehörte lange der SPD an. Beim Blick auf diese Verflechtungen kann man schon dreifach rot sehen.

Lesen Sie dazu auch: Ludwigshafen und der SPD-Machtkreislauf: Wie roter Filz den AfD-Kandidaten ausschaltete

Um bei der Sozialistenfarbe zu bleiben: Der Wahlausschuss zeigte Paul die Rote Karte. Die beiden Gerichte in Neustadt und Koblenz widersprachen nicht. Es läge kein „offensichtlicher Fehler“ vor. Nach der Wahl am 21. September könne jedoch ein „Wahlprüfungsverfahren“ stattfinden. Ein solches Vorgehen knüpft aber Reibung an Reibung und nimmt den Wähler nicht ernst.

Es hätte gar nicht erst jene Situation entstehen sollen, in der sich der verbeamtete Lehrer Paul nun händeringend an den US-amerikanischen Vizepräsidenten und den Außenminister wandte.

Paul hofft, vom Verteidiger der Meinungsfreiheit erhört und in seinem Kampf diplomatisch unterstützt zu werden. JD Vance hat bisher nicht reagiert.  Aber Elon Musk meldete sich auf seiner Plattform X mit der ungläubigen Frage: „Von der Wahl ausgeschlossen, ohne tatsächlich ein Verbrechen begangen zu haben?“ Ja, so ist es. Ja, das ist in Deutschland möglich. Und das sollte korrigiert werden.

Im Rechtsstaat muss gelten, was der Politologe Philip Manow in der NZZ so formulierte: „Wenn es nicht gut läuft, wird neu gewählt, es gibt eine neue Regierung und eine neue Politik. Wenn man die Konflikte aber auf die konstitutionelle Ebene schiebt, dann geht dieser Steuermechanismus verloren.“ So weit ist es in Ludwigshafen – und nicht nur in Ludwigshafen – gekommen.

Auf politischer Ebene häufen sich die Probleme, und die verantwortliche Politik ruft immer schneller nach der „konstitutionellen Ebene“, nach dem Verfassungsgericht und anderen Gerichten, die oft von politischen Akteuren besetzt wurden. So kann der Richterstaat den Rechtsstaat unterspülen. Nötig ist auf allen Ebenen: ein größeres Vertrauen in die Mündigkeit der Bürger – und der Mut zum Meinungsstreit, ja zum Richtungsstreit.

Wer die Fundamente der Demokratie schützen will, der muss fundamentale Unterschiede aushalten.

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