
Das Volk hat gesprochen, doch es darf nicht reden. Im Bundestag versammelt sich in den demokratisch gewählten Vertretern das ganze Volk – und damit der einzige Souverän, den das Grundgesetz kennt. Im Bundestag debattiert die Nation über alle Dinge, die sie betreffen.
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Momentan aber darf dort weder debattiert noch entschieden werden. Der Bundestag hat Sendepause bis mindestens zum 8. Mai – einen ganzen langen Monat noch. Das Volk soll insofern schweigen. Und das ist ein Skandal, der einer Demokratie nicht würdig ist.
Leicht war die Geburt des aktuellen Bundestags nicht. Nach der Wahl versammelte sich der Bundestag in seiner alten Zusammensetzung, um das Grundgesetz zu ändern. Mit alten Mehrheiten wurde die Schuldenbremse faktisch abgeschafft und ein Sonderschuldenprogramm auf den Weg gebracht.
Die erste Sitzung des neuen Bundestags fand am 25. März statt. Sie war keine Sternstunde. Der letzte Vorsitzende der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, der Anwalt Gregor Gysi, quälte das Publikum mit einem ausufernden Vortrag – als wäre er bei Fidel Castro in die Rednerschule gegangen.
In besagter konstituierender Sitzung gab es das erste gemeinsame Schaulaufen der Union mit der SPD. Man will ja künftig zusammen regieren. Und so trat Thorsten Frei ans Pult, der Parlamentarische Geschäftsführer der Union. Er lehnte den Antrag der AfD ab.
Die Rechten wollten statt des dienstältesten Abgeordneten Gregor Gysi den an Lebensjahren ältesten Parlamentarier Alexander Gauland zum Alterspräsidenten ernennen. Thorsten Frei wählte im Anschluss Worte, die heute auf ihn zurückfallen.
Am 25. März kündigte der CDU-Politiker Frei an, man wolle „jetzt an die Arbeit gehen“. Es sei der Auftrag der Parlamentarier, für Deutschland und die Menschen zu arbeiten. Wohl wahr. Frei liegt seit dem 25. März nicht faul auf dem Bärenfell. Er arbeitet mit am Koalitionsvertrag. Er gibt Interviews. Er wirbt um Verständnis für den Wortbruch von Söder und Merz.
Im Parlament aber herrscht die vorgezogene Sommerpause. Da lässt man den Herrgott einen guten Mann sein. Darauf geeinigt hat sich der sogenannte Vor-Ältestenrat. Die Motive sind klar: Union und SPD möchten sich ganz ihrer Partnerschafts-Anbahnung widmen. Debatten im Bundestag lenken da ab und kosten Kraft. Was für eine Geringschätzung des höchsten deutschen Parlaments – und zwar durch Parlamentarier! Das macht es noch schlimmer.
Für die SPD griff am 25. März Katja Mast ins Phrasenregal. Mast rang mit den Silben und brachte doch eine klare Ausflucht zustande.
Wohl wahr, wohl wahr. Die Abgeordneten sollten für die Bürgerinnen und Bürger arbeiten. Dazu sind sie da. Doch nun erklärt dieselbe Katja Mast, es reiche, wenn man sich im Mai wieder treffe. Die Begründung ist sehr eigen. „Konkrete parlamentarische Entscheidungen“, so Mast, stünden nicht an. Wie bitte? Ein Bundestag ist auch dann nötig, wenn er keine „konkreten parlamentarischen Entscheidungen“ treffen muss.
Er ist der Raum des gemeinsamen Ringens, Streitens, Argumentierens. Ein Ort der nationalen Selbstvergewisserung. Eine Bühne auch und gerade der Opposition. Redebedarf und Oppositionsbedarf gibt es genug: Wie soll sich Deutschland in der neuen Welt der Zölle verhalten? Welche wirtschaftspolitischen Schwerpunkte sollte die kommende Regierung setzen? Wie kann es weitergehen in der Migration? Was sagt der Bundestag den ächzenden Kommunen?
Union und SPD erklären im Fünf-Minuten-Takt, die Welt warte nicht auf Deutschland. Stimmt. Gleichzeitig aber sollen In- und Ausland warten, bis der Bundestag seine Stimme wiederfindet. Deutschland bleibt das Land der fahrlässigen Bummelei – und leider auch der gut bezahlten Teilzeitdemokraten.