Der Spahn-Masken-Skandal: Was in internen Papieren steht

vor etwa 5 Stunden

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Bildquelle: Tichys Einblick

Es klingt unglaublich: aber bei dem bisher unveröffentlichten Bericht der Sonderermittlerin Margarete Sudhof zu dem Corona-Maskenkauf durch das Bundesgesundheitsministerium 2020, vorgelegt in der vergangenen Woche, handelt es sich um den ersten Versuch des Ministeriums überhaupt, die Vorgänge im eigenen Haus aufzuarbeiten. Dafür, dass es bis zu dieser Aktensichtung fünf Jahre brauchte, gibt es einen simplen Grund: Jens Spahns Amtsnachfolger Karl Lauterbach verspürte keine Lust, die Geschäftspraktiken des CDU-Politikers auszuleichten. Denn das hätte den Scheinwerfer auch auf seine eigene Affäre gelenkt: die Massenbeschaffung von Corona-Impfstoff weit über den Bedarf hinaus, um eine angebliche „Impfstoff-Lücke“ zu füllen, die in Wirklichkeit nie existierte.

Allein 2023 ließ Lauterbachs Ministerium dem „Deutschen Ärzteblatt“ zufolge 132 Millionen Impfstoff-Dosen wegen Ablauf der Lagerungsfrist vernichten. Dass im Bundesgesundheitsministerium bisher keiner nachforschte, heißt allerdings nicht, dass sich bisher niemand mit den Vorgängen befasst hätte.

In der teuren und überwiegend nutzlosen Beschaffung Corona-Masken unter der Verantwortung von Jens Spahn besteht der erste, aber bei weitem nicht brisanteste Teil dieser Affäre. Im März 2020 entschied sich der Minister für ein so genannten „Inhouse-Verfahren“: Er verkündete eine Abnahmegarantie zu hohen Preisen für alle Händler, die Corona-Schutzausrüstung beschaffen konnten, und das erst einmal ohne Limit und Kostensteuerung.

Seine Beamten verloren sehr schnell den Überblick – und erfüllten außerdem noch einige Spezialwünsche. Jedenfalls sprengten sie das Beschaffungsbudget von ursprünglich 1,2 Milliarden bei weitem. Am Ende sah sich das Ministerium Rechnungen über gut 6 Milliarden Euro gegenüber. Spahns Haus versuchte sich aus der Affäre zu ziehen, indem es zahlreiche Händler trotz eindeutiger Verträge nicht bezahlte. Pauschale Begründung: die Masken seien schadhaft, oder Liefertermine seien nicht eingehalten worden. Etwa 100 Unternehmen verklagten das Ministerium darauf vor dem Landgericht Bonn – und bekamen reihenweise recht.

Sowohl in Zeiten von Spahn als auch von Lauterbach versuchten Ministeriumsanwälte die Auseinandersetzungen in die Länge zu ziehen, indem sie höhere Gerichtsinstanzen bemühten. Nur: irgendwann endet auch der längste Verfahrenszug. Dem Bund und damit der neuen Gesundheitsministerin Nina Warken (CDU) stehen Zahlungen von schätzungsweise bis zu 2,3 Milliarden Euro in Haus. Denn auf die bisher nicht beglichenen Forderungen der Händler kommen nach dem finalen Urteil auch noch Verzugszinsen. Hier liegt auch das Hauptmotiv von Warken, die Untersuchung durchzuführen, die den jetzigen Unionsfraktionsführer in schwere Bedrängnis bringt.

In einer Anfrage zum Ziel von Sudhofs Recherchen antwortete das Gesundheitsministerium, es sollte die Frage geklärt werden: „Wie können in den rechtsanhängigen zivilgerichtlichen Verfahren die Effizienz gesteigert und haushälterische Belastungen für den Bund reduziert werden?“ Die Ministerin möchte also den finanziellen Schaden zumindest begrenzen, und gleichzeitig klarstellen, wer die Verantwortung für das Desaster trägt.

Der weitaus wichtigere Teil des Masken-Skandals besteht, siehe oben, allerdings in der Vorzugsbehandlung für bestimmte Unternehmen. Dabei sticht das Logistikunternehmen Fiege mit Sitz in Greven heraus, gelegen in Spahns Heimatland Nordrhein-Westfalen. Die Inhaber des Familienunternehmens unterhielten zudem enge Verbindungen zur CDU.

Am 31. März 2020 schloss Spahns Zentralabteilungsleiter Ingo Behnel einen Rahmenvertrag mit dem Unternehmen über die Beschaffung von maximal 110 Millionen FFP-2-Schutzmasken und 500 Millionen einfachen OP-Masken.

Die Vereinbarung, die TE schon 2021 dokumentierte, enthält eine besondere Klausel: „Im derzeitigen Markt ist es in der Regel aktuell erforderlich“, heißt es dort, „dass FIB den Ankauf bei seinen Lieferanten schon vor der Prüfung tätigt. Den Parteien ist das bewusst und die damit verbundenen Risiken aus dem Kaufvertrag trägt BGM.“ Das Bundesgesundheitsministerium übernahm also pauschal das Risiko, falls sich die beschafften Masken als minderwertig beziehungsweise unbrauchbar erweisen sollten. Das steht im bemerkenswerten Kontrast zu der Taktik des Ministeriums, später reihenweise anderen Händlern mit dem pauschalen Hinweis auf Masken-Mängel die Zahlung zu verweigern. Außerdem erhielt Fiege – anders als andere Lieferanten – Vorkasse in einem erheblichen Ausmaß.

„Das BGM hat bereits eine Abschlagzahlung von 40.000.000.- Euro (vierzig Millionen) geleistet“, heißt es in dem Rahmenvertrag. Die großzügige Kondition ging auf eine E-Mail-Korrespondenz zwischen Ministerium und dem Unternehmen zurück.“

Der Spediteur durfte außerdem den Vertrag, der ohnehin schon einer Lizenz zum Gelddrucken gleichkam, nachträglich noch zu seinen eigenen Gunsten korrigieren: Plötzlich kostete FFP-2-Masken demnach nicht mehr 2,95, sondern 3,05 Euro, OP-Masken 0,53 Euro statt der ursprünglich fixierten 44 Cent.

TE konnte außerdem durch den Vergleich mit den Rahmenverträgen zur Maskenbeschaffung, die die Bundesregierung mit VW, der Lufthansa und anderen Großunternehmen schloss, klar zeigen, dass ausschließlich Fiege seinerzeit eine Vorkasse erhielt – plus Freistellung von jeder Haftung für mögliche Mängel bei den Masken.

Der zweite bis heute nicht aufgeklärte Komplex betrifft die Beauftragung der Schweizer Firma EMIX durch das Bundesgesundheitsministerium. Spahn kontaktierte schon am 9. März 2020, dem Tag, an dem sein Ministerium das so genannte Inhouse-Verfahren beschloss, über sein Mobiltelefon Andrea Tandler, Tochter des ehemaligen bayerischen Finanzministers Gerold Tandler. Offenbar wusste sie früher als die meisten anderen darüber Bescheid, welches Geschäftsfeld durch den Ministeriumsentscheid gerade entstanden war. Tandler vermittelte umgehend für das Schweizer Unternehmen EMIX einen Masken-Liefervertrag mit dem Ministerium. Die Besonderheit hier: Selbst als Spahns Beamten schon klar war, dass sie viel zu viel Masken bestellt und das Budget gesprengt hatten, durfte EMIX noch liefern. Das Landgericht München I verurteilte Tandler 2023 zu vier Jahren und fünf Monaten Haft, da sie und ihr Lebensgefährte versucht hatten, die von EMIX gezahlte Provision von gut 50 Millionen Euro an der Steuer vorbeizubringen. Auf die Fragen des damaligen Bundestagsabgeordneten der Linken Fabio di Masi nach den Details des EMIX-Deals verweigerte das Gesundheitsministerium unter Spahn seinerzeit jede Antwort – mit Hinweis auf ein „Geheimhaltungsinteresse“.

In beiden Fällen wirkt es erstaunlich, dass es bisher keine staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen dazu gab. Einen Untersuchungsausschuss des Bundestages gibt es, wie TE bereits berichtete, ebenfalls nicht. Denn dazu bräuchte es 25 Prozent der Abgeordnetenstimmen.

Union und SPD zeigen verständlicherweise kein Interesse daran, Grünen und Linksfraktion erreichen zusammen nicht das Quorum von einem Viertel der Stimmen. Mit der aufklärungswilligen AfD gemeinsam würde es reichen – allerdings lehnen die anderen beiden Oppositionsparteien jede Zusammenarbeit mit Alice Weidels Fraktion ab.

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