
Wussten Sie schon, liebe Leser, dass in den USA der Anbau von weißem Spargel so gut wie unbekannt ist? Meist gibt es nur politisch korrekten Grünspargel zu kaufen, und zwar überwiegend importiert aus Peru oder Mexiko. Wobei man nicht wissen kann, ob Donald Trumps Zollpolitik in den Staaten nicht auch dem Bleichspargel zu einem ungeahnten Aufschwung verhelfen könnte: white supremacy im Gemüseregal.
Der Autor dieser Zeilen bekennt sich unumwunden dazu, bösen, weißen Spargel zu seinen Lieblingsspeisen zu zählen, wenngleich es ihm zum Ende der traditionell an Johanni (23. Juni) endenden Spargelsaison manchmal so geht wie Annette von Soettingen in Helmut Dietls Kultserie „Monaco Franze“. In Folge acht erinnert sie sich an ihre Jugend auf einem Rittergut irgendwo im früheren deutschen Osten: „In der Spargelzeit gab es bei uns jeden Tag Spargel: Spargelsuppe, Spargelomelett, Spargel mit Schinken, mit Ei, Spargelpudding. Irgendwann stand mir der Spargel bis hier!“
Aber das ist ja das Schöne an einem klassischen Saison-Gemüse, dass nämlich meist zu dem Zeitpunkt, wenn es einem „bis hier“ steht, der Spuk ein Ende und man fast zehn Monate Zeit hat, um sich von der Asparagin-Überdosis zu erholen und sich wieder auf die – im konkreten Fall – weißen oder grünen Stangen freuen zu können.
Was einem manchmal auf die Nerven fällt, ist der Marketinghype, der hierzulande um den Spargel veranstaltet wird und der an die mittlerweile etwas aus der Mode gekommene alljährliche „Ankunft“ einer roten Plörre namens „Beaujolais Nouveau“ erinnert. Während Spargel für Franzosen und Italiener – meist in seiner grünen Variante – nicht viel mehr ist als eine Gemüsebeilage, wird der in Deutschland bevorzugte Bleichspargel in den Rang einer seltenen Delikatesse erhoben.
Wenn je nach Witterung im März oder April der erste Spargel die Super- und Wochenmärkte erreicht, raunen die Nachrichtenagenturen vom „edlen Stangengemüse“, das nun wieder den Gaumen der Menschen erfreuen darf, während die Spargelköniginnen ihre Talmi-Krönchen auf Hochglanz polieren und Haushaltswarengeschäfte Sondertische mit klobigen Spargeltöpfen und Spargelschnellschälern organisieren.
Überall im Land gibt es Spargeldörfer und Spargelstädte, es gibt ein Europäisches Spargelmuseum (in Schrobenhausen), ein niedersächsisches (in Nienburg an der Weser) und noch ein paar mehr, eigentlich hat jedes Spargelanbaugebiet mittlerweile sein eigenes Museum sowie eine gekrönte Repräsentantin oder gar einen „Spargel-Grenadier“.
Wobei in Zeiten des Genderismus es an ein Wunder grenzt, dass die Institution der Spargelkönigin nicht umgehend der Cancel Culture verfallen ist. Ist doch der künstlich weiß gehaltene, phallisch aufragende (das griechische Wort „spargáein“ bedeutet so viel wie strotzen, geschwellt sein) und in seinen Transportkartons in Reih und Glied militärisch angeordnete Bleichspargel für linksgrüne Aktivisten nichts weniger als der Inbegriff von Rassismus, Militarismus und Sexismus und noch dazu aufgrund seines immer noch ansehnlichen Preises erschreckend elitär.
Wer das für allzu weit hergeholt hält, dem sei die Lektüre eines Spiegel-Artikels von 2019 empfohlen, in dem die Kolumnistin Margarete Stokowski dem „alten, weißen Mann der Kulinarik“ und „privilegiertesten Gemüse“ den Krieg erklärt. Den Tanz um den Spargel hält sie für eine „parareligiöse Praxis“, seine Ernte sei „Menschen verachtend“. Als weltanschaulich noch einigermaßen vertretbare Alternative die Dame – notabene – Grünspargel. Der müsse zumindest nicht mit Erde angehäufelt und „extrem pünktlich und früh am Tag“ gestochen (noch so ein Sexismus) werden, eine Arbeit, die heutzutage vor allem unterbezahlte osteuropäische Erntehelfer erledigten, weil sich die Deutschen dafür zu schade seien.
Ab den neunziger Jahren sind Anbaufläche und Erntemenge stark gestiegen. Aktuell wird auf rund 20.000 Hektar Spargel angebaut, die Erntemenge lag vergangenes Jahr bei rund 105.000 Tonnen, wobei die Preise, je nach Witterung, Schwankungen ausgesetzt sind. Ich erinnere mich, dass in meiner Kindheit deutscher Spargel als etwas ganz Besonderes galt und sehr kostspielig war. Diese Zeiten dürften weitgehend vorbei sein, wobei die Preise wegen der weiterhin händischen Ernte und dem geltenden Mindestlohn aber gewiss noch kein Discountniveau erreicht haben.
Zu dieser unter kulinarischen Gerechtigkeitsaspekten erfreulichen Entwicklung trug der mittlerweile flächendeckend praktizierte Anbau unter Plastikfolien bei. Diese Technik ermöglicht den Bauern einerseits, Spargel auch in Regionen anzubauen, die klimatisch weniger begünstigt sind als die klassischen Anbaugebiete in den Flusstälern, andererseits können sie den Erntezeitpunkt „verfrühen“ und somit Importen aus Südeuropa und Übersee Paroli bieten.
Außerdem müssen Spargel unter der Plane nicht mehr jeden Tag oder sogar, bei großer Wärme, mehrmals am Tag gestochen werden – geschützt vor dem direkten Sonnenlicht, bleiben die schnell wachsenden Sprossen der Spargelpflanze weiß, auch wenn ihre hellgelben Spitzen schon ein wenig aus der Erde herausschauen. Obwohl der Mengenanteil von grünem Spargel, der oberirdisch wächst, deutlich angestiegen ist, mögen deutsche Konsumenten ihre Stangen immer noch am liebsten makellos weiß.
Warum das so ist, fällt in den Bereich der Spekulation. Am ehesten sticht wohl das Argument, wonach deutsche Esser allzu starke Geschmäcker verschmähen und es, wie beim Käse, eher mild bevorzugen. Diese Erwartung erfüllt nur der weiße, während lila oder grüner Spargel deutlich kräftiger, gemüsiger daherkommt. Dass grüner Spargel aber auch in Deutschland im Kommen ist, liegt wohl an seiner Kompatibilität mit den Bedürfnissen der Convenience-Gesellschaft. Man muss ihn kaum schälen und kann ihn unkompliziert in der Pfanne oder im Wok braten.
Die vielfältigen Zubereitungsmöglichkeiten von Spargel hatte schon Annette von Soettingen anklingen lassen. In Franken serviert man ihn gerne mit einer kräftig gewürzten Bratwurst, die Schwaben wickeln (dünnen) Spargel in Pfannkuchen und überbacken sie mit Käsesauce. Man kann weißen oder grünen Spargel nach dem Garen auch kalt genießen, mit einer einfachen Vinaigrette, ein paar Schnitzen frischen Parmesans und Stangenweißbrot.
Wenn es schnell gehen soll, bietet sich zerlassene Butter an, die man mit ein, zwei Teelöffeln körnigem Dijonsenf aufpeppen kann. Eine wenig bekannte, deftige Begleitung stammt aus Südtirol, die Bozener Soß’. Dafür braucht es hart gekochte Eier, Schnittlauch und Senf. Man zerdrückt das Eigelb mit Senf und Olivenöl und mischt gehackten Schnittlauch und das ebenfalls klein gehackte Eiweiß darunter.
Klassiker aller Klassiker ist und bleibt die Kombination vorzugsweise weißen Spargels mit rohem oder gekochtem Schinken, einer echten Sauce Hollandaise sowie festkochenden Kartöffelchen, wobei die zur Spargelzeit angebotenen „jungen“ Kartoffeln aus Ägypten oder Südeuropa leider meist nach überhaupt nichts schmecken. Aber glücklicherweise gibt es im April und Mai noch Linda, Bamberger Hörnchen oder Moos-Sieglinde aus vorjähriger Ernte.