Der Tod hinter der Brandmauer

vor 7 Tagen

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Mit François Bayrou ist Frankreich nun schon seinen vierten Premier innerhalb von zwei Jahren losgeworden. Am Montag fiel der Premierminister bei einer selbst anberaumten Vertrauensfrage durch – nach Überlegungen der Opposition, ihn durch ein Misstrauensvotum zu stürzen, versuchte er durch eine schnell anberaumte Abstimmung die Flucht nach vorne. Und scheiterte.

Im Parlament ist Macrons wackelige Regierungskoalition spätestens seit den Wahlen im vergangenen Jahr weit, weit weg von einer Mehrheit. Schon kurz nach seiner Wiederwahl als Präsident 2022 hatte der französische Präsident in den kurz danach folgenden Parlamentswahlen die Mehrheit verloren – eigentlich zuletzt untypisch für einen Präsidenten, der sich sonst nach dem eigenen Wahlsieg oft einen Erdrutschsieg und stabile Mehrheit in der Nationalversammlung sichern kann.

Aber damals zeigte sich schon: Die Franzosen waren unzufrieden mit Macron. Die Wahl gewann er damals wohl nur, weil er die relevanteste Alternative zu Marine Le Pen war, für die damals noch keine Mehrheit stimmen wollte. In der Folge wurde seine Partei zwar stärkste Kraft im Parlament, aber musste eine Minderheitsregierung bilden. Seine Regierungskoalition hatte zusammen mit den französischen Republikanern (der Schwesterpartei der CDU), die die Regierung stützen, noch eine knappe Mehrheit im Parlament, um Misstrauensvoten abzuwenden.

Nach der Neuwahl 2024 wurde Macrons Partei dann buchstäblich pulverisiert: Erfolge des Rassemblement National um Le Pen bei der Europawahl brachten Macron zur Parlamentsauflösung, die er durch die überraschende Ankündigung zu gewinnen hoffte – und stattdessen krachend verlor. Seine Partei halbierte sich fast und seine Regierungskoalition kommt jetzt einschließlich Republikanern, die er an Bord holen musste, auf kaum mehr als ein Drittel der Sitze im Parlament.

Auch deshalb zerfiel jetzt seine Koalition bereits zum zweiten Mal seit der Wahl 2024. Er wird von den viel größeren Blöcken von links und rechts regelrecht zerquetscht. Größte Partei im Parlament ist inzwischen auch hier Le Pens Rassemblement National (RN), die  einen kometenhaften Aufstieg hingelegt hat: Vor der Wahl 2022 noch jahrelang mit maximal einer Handvoll Abgeordneten vertreten, stieg sie zunächst auf 88, dann 2024 auf 142 Abgeordnete – alles binnen zwei Jahren.

Hintergrund ist das französische Wahlrecht. Die Partei selbst war längst an den Wahlurnen viel stärker als im Parlament vertreten. Denn nach dem französischen Mehrheitswahlrecht werden die Sitze in einer Zwei-Runden-Wahl gewählt, was lange Zeit durch den politisch-gesellschaftlichen Ausschluss der Partei bedeutete, dass sie in der zweiten Runde nur selten eine Chance hatte – die meisten wollten lieber eine schlechte Alternative als „die Rechten“ wählen. Das ist es, was sich aktuell aber schlagartig ändert.

Zu groß sind die Probleme, als dass diese Brandmauer im Kopf der Wähler weiter Bestand hätte. Im französischen Parlament dagegen gibt es sie weiterhin. Und so wächst die Oppositionsbank bis hin zur Unregierbarkeit. Auf der anderen Seite steht nämlich der französische Linksblock, angeführt von Jean-Luc Mélenchons radikal-sozialistischer Partei La France Insoumise (LFI). Als Einzelparteien zwar kleiner, ist die französische Linke zusammen an Parlamentssitzen sogar noch etwas stärker als Le Pens RN (auch wenn letzte bei den Stimmen vorne lag).

Durch die Brandmauer nach links und rechts gibt es für Macron keinerlei Weg zu einer stabilen Parlamentsmehrheit. Dennoch will er erstmal weitermachen – jetzt mit einem wieder neuen Premier. Einen vorzeitigen Rücktritt, den sich laut Umfragen mehr als zwei Drittel der Franzosen wünschen, zieht er nicht in Betracht.

Le Pens Partei legt derweil in Umfragen so sehr zu (inzwischen bei 33 Prozent), dass ein Sieg auch trotz des Zwei-Runden-Wahlrechts in greifbarer Nähe scheint – gerade bei einer neuen Präsidentschaftswahl. Denn Macron darf nicht erneut antreten, die CDU-Schwester der Republikaner hat sich in der französischen Brandmauer-Debatte in zwei Parteien gespalten und der Linksblock ist zwar ein starker Faktor, aber auch heftig zerstritten und konnte sich selbst bei der letzten Parlamentswahl nicht auf einen Spitzenkandidaten einigen.

Mit Marine Le Pen oder Parteichef Jordan Bardella, der anstelle der Langzeit-Anführerin des RN antreten wird, wenn ihr aktueller Wahlausschluss Bestand hat, kann der Rassemblement National hingegen zwei prominente und charismatische Politiker für das Präsidentschaftsamt präsentieren – gerade wenn es mit dem parlamentarischen Stillstand und Chaos weitergeht.

Wenn Macron und die anderen Mitte-Rechts-Parteien es wollen, könnten sie aber jetzt schon eine stabile Regierung haben – man müsste nur die Brandmauer begraben und auf Le Pens RN zugehen. Aber ein Premier Bardella etwa ist für sie weiterhin undenkbar. Und lässt Frankreich so weiter in der Unregierbarkeit versinken.

Deutschland könnte sehr bald Ähnliches drohen. Jetzt schon sehen Umfragen die AfD im Bund regelmäßig auf Platz eins bei um die 26 Prozent. In den ostdeutschen Bundesländern kommt die Partei, wie Umfragen etwa aus Sachsen-Anhalt zuletzt zeigen, teils auf knapp 40 Prozent. Selbst wenn es noch nicht zur absoluten Mehrheit reicht – auch dieser Gedanke wäre vor einigen Jahren noch unvorstellbar – wird so bald ein echtes Allparteienbündnis von der SED-Nachfolgerpartei Die Linke über das BSW bis zur CDU nötig, um gerade so eine Mehrheit im Parlament zusammenzuzimmern.

Französische Verhältnisse holen so auch immer schneller Deutschland ein. Dämpfende Faktoren wie ein Mehrheitswahlrecht stehen dabei hierzulande nicht im Weg. Die AfD braucht daher gar nicht erst den Rückhalt quer durch die Wählerschaft wie in Frankreich das RN, um vergleichbare Ergebnisse im Parlament zu erreichen. All die „Gegen Rechts“-Märsche können daran nichts mehr ändern. 26 Prozent sind 26 Prozent, 40 Prozent sind 40 Prozent auch im Parlament – oder aufgrund der Fünfprozenthürde nur noch mehr.

Die Bundestagswahl dieses Jahr war die erste Neuwahl aufgrund des unmittelbaren Auseinanderbrechens einer Koalition (nicht aus anderen Gründen) seit mehr als 50 Jahren. Aber das könnte es in Zukunft deutlich häufiger geben, je breiter und brüchiger die Mehrheiten werden, während die AfD auf der anderen Seite der Brandmauer wächst.

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