Der Turm, an dem die Linke zerbricht

vor etwa 8 Stunden

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Bildquelle: Apollo News

Nirgendwo auf der Welt gibt es eine höhere Dichte von Schallplattenläden, Cafés mit Blaubeer-Pancakes und Geschäften für Fetisch-Bekleidung als hier. Beidseits der Warschauer Straße in Friedrichshain erstreckt sich das traditionelle Zentrum von Berlins linkem Lebensstil. Hier lag mit der Rigaer Straße 94 das umkämpfteste besetzte Haus der Stadt, dessen autonome Verteidiger selbst vor Mordversuchen mit Falltüren und Brandsätzen gegen die Polizei nicht zurückschreckten. Auf dem legendären RAW-Gelände formierte sich die Gegenkultur – doch das alles bröckelt längst.

Für die Linke war die Gegend nach der Wende so interessant, weil ein Niemandsland zwischen Ost und West entstanden ist. Entlang von S-Bahn-Gleisen feiern Jugendliche hier ihre erste Party in einer Wildnis aus Beton, in Sackgassen und Kreisverkehren dazwischen lernt man Autofahren. Im Norden wird die Gegend begrenzt von der ehemaligen Prachtstraße der DDR, der Frankfurter Allee – selbst die hier wohnenden Rentner haben also vielfach kommunistischen Hintergrund.

Früher hieß die übrigens Stalinallee, das weiß ich, weil ein Lehrer den Namen noch wie selbstverständlich verwendet hat. Sie bildet eine spektakuläre Sichtachse auf den Fernsehturm, das Regime ließ hier Gebäude und Türme im Stil des sozialistischen Klassizismus bauen. Stalin ordnete die Nachahmung klassischer Motive als Abgrenzung zum kühlen internationalen Stil des Westens an. In dieser falschen, monumentalen Schönheit fühlt sich der moderne Linke auch heute sehr wohl.

„Ostkreuz-Kiez“ nennt sich die Gegend jetzt. Doch schon der Name, den vor allem die grüne Bezirksregierung für ihre Verkehrsberuhigungs-Pläne prägen will, ist eine Lüge. Das Ostkreuz ist einer der frequentiertesten Umsteigebahnhöfe der Stadt, mit dem Charme der Gosse und der Bodenständigkeit purer Hässlichkeit, worauf man in Berlin immer gerne so stolz ist. Am Ostkreuz treffen sich frühmorgendliche Handwerker auf dem Weg zur Arbeit in der S-Bahn mit jenen, die der Berliner Tradition des Ringbahn-Saufens nachgehen, bei dem man, wie der Name schon sagt, mit der Ringbahn im Kreis um Berlin fährt und sich dabei betrinkt. Das „Ostkreuz-Kiez“ grenzt zwar an das Ostkreuz – es hat aber rein gar nichts mehr mit ihm zu tun. Denn im Zentrum des Lebens hier steht neben einer touristischen Feierkultur mittlerweile eine familienfreundliche neue grüne Normalität, die vor allem sehr teuer ist.

In einem kleinen Park in diesem Niemandsland steht der – ebenfalls im sozialistischen Klassizismus gebaute – Technoclub Berghain. Sonntagnachmittag trifft hier die sich sonnenende Anwohnerschaft auf diejenigen, die gerade aus dem Club kommen und den Drogendealer, der MDMA zum Rauf- oder Ketamin zum Runterfahren verkaufen möchte. Über das Berghain verbreiten Berliner gerne das Gerücht, selbst Elon Musk sei hier schon abgewiesen worden. Der Türsteher vor dem Szeneclub wird als das letzte Machtmittel gegen den Kommerz gefeiert. Doch das wird wohl kaum reichen.

Wenige hundert Meter entfernt sprießen mit dem Mediaspree-Areal zahlreiche neue Bürogebäude in die Höhe. Hier steht jetzt die „Uber-Arena“ neben der „Uber Eats Music Hall“ vor dem „Uber-Platz“ (das ist wirklich so) – und das Ganze liegt im Besitz der Firma des konservativ-republikanischen US-Milliardärs Philip Anschutz. Daneben ragt seit neuestem neben der Warschauer Brücke ein gläserner Wolkenkratzer in die Höhe, der als zweithöchstes Gebäude Berlins gilt. Hier entsteht Amazons Europa-Zentrale.

Die linke Szene läuft gegen dieses Hochhaus Sturm: Überall wird dagegen plakatiert und protestiert und das Gebäude wird regelmäßig mit Farbbeuteln beworfen, die Gebäudeeigentümer reinigen es aber blitzartig wieder. Am Ende sitzt Jeff einfach am längeren Hebel. Und all das schöne linke Treiben ist von nun an gezwungen im Schatten dieses Turms zu existieren, der von überall aus funkelnd sichtbar ist und die Illusion und Doppelmoral des Lebens hier allgegenwärtig offenbart.

Es wäre allerdings nicht an diesem Milieu, sich allzu sehr über den Kommerz zu beschweren. Es ist ja kein Zufall, dass sich die hipsten Cafés mit immer neuen Matcha-Latte-Kombinationen für knapp 10 Euro in perfekter Instagram-Optik gerade hier ansiedeln: Es sind nicht die CDU-Wähler, die hier konsumieren. Und wehe jedem „Barista“, der die Soja- mit Kuhmilch verwechselt: Dann will auch der durchschnittliche Weltverbesserer angefasst den Manager sprechen. Man trägt das Linke noch als Attitüde hat sich längst aber voll mit den kapitalistischen Vorzügen arrangiert – man hat sich sogar seinen eigenen Hyperkapitalismus gezüchtet.

Restaurants hier führen unter immer aufwändigeren Inneneinrichtungen und ausgefalleneren Gerichten aus aller Welt in einen glühenden Konkurrenzkampf um die Gunst des anspruchsvollen Zeitgeist-Menschen. Im Mediaspree-Areal arbeiten Agenturen neben Tech-Startups, vor allem aber Berlin-Dependancen ansonsten erfolgreicher Unternehmen. Die Arbeitskultur hier will „missionsgetrieben“ sein, meistens geht es um irgendwas mit Nachhaltigkeit.

Die ist natürlich ungeheuer unproduktiv, gleichzeitig folgt aus dem gigantischen Anspruch der „Mission“ und der mangelnden Beseelung der Belegschaft für die „Mission“ immer auch ein permanenter Krieg gegen die eigenen Mitarbeiter. Altbackene Konzerne sind dagegen arbeitnehmerfreundliche Sozialvereine. Der linke Dogmatismus treibt den Kapitalismus in sein Klischee – und zwischen Sneakern, Meetings, Feedback und Obstkörben entfaltet er sein ganzes Terrorpotential.

Der nach meiner Erinnerung erfolgreichste von ca. 50 verschiedenen Versuchen der Römer, das Dorf von Asterix und den Galliern zu erobern, war der Bau der Trabantenstadt. Um das rückständige Dorf herum lässt Caesar eine moderne Stadt mit allen Errungenschaften der fortschrittlichen römischen Gesellschaft bauen und lädt die Gallier ein – sie sollten die Vorzüge der Moderne erleben und sich selbst und ihren Kampf dann zwischen den Annehmlichkeiten vergessen. Und schließlich trägt selbst Häuptling Majestix zur Begeisterung seiner Frau eine stattliche Toga.

Heute jedenfalls dürfte das Konzept ein durchschlagender Erfolg werden. Das einst legendäre RAW-Gelände gehört längst diversen Clubs, die sich vor allem an Touristen wenden, zahlreiche Restaurants im Stile von Fressmeilen touristischer Urlaubsorte am Mittelmeer versorgen sie. Die besetzten Objekte der Rigaer Straße sind mittlerweile von gläsernen, sauberen Neubauten umgeben und die Reste des „Wohnprojekts“ stehen, wie die taz uns erklärt, wohl kurz vor dem endgültigen Aus. Das Gebäude selbst sieht längst schon wieder fast zivilisiert aus.

In der Schönheit und Gemütlichkeit der kapitalistischen Realität vergeht einem jede anstrengende revolutionäre Betätigung: Der Bauch ist voll, jetzt setzt man sich erstmal in die Sonne. Und dann können wir nochmal sprechen über das Proletari… – ach schau mal, hier gibt es ein Café, in dem man Katzen streicheln kann. Ist doch schön hier.

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