
Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.
Als Michail Gorbatschow Ende der 1980er Jahre diesen Satz sagte, ging es um die untergehende Sowjetunion. Nach dieser Bundestagswahl geht es um das Überleben der Union als Volkspartei. Zwei Jahre lang hat die CDU sich ein neues Grundsatzprogramm gegeben, hat versucht, die programmatische Konturlosigkeit der Merkel-Jahre loszuwerden, als Teile der Gesellschaft schon auf dem Weg nach rechts waren. Das Ergebnis: zu spät, zu wenig.
Als die Ampel zerbrach, wollte Kanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU) mit Rot und Grün noch kungeln, welche Themen es an der AfD vorbei überhaupt noch ins Plenum schaffen sollten. Kumpanei mit dem Feind statt Attacke. Damals, im November 2024 standen CDU/CSU bei 32 Prozent in den Umfragen, um dann in der Kampagne gegen die unbeliebteste Bundesregierung der Nachkriegsgeschichte bis zum Wahltag noch deutlich zu verlieren.
Erst lief der Wahlkampf zu langsam an, dann zu zaghaft und verwaschen, und als Merz nach dem Anschlag von Aschaffenburg beim Thema Migration endlich harten Klartext zu sprechen begann, war es nur ein kurzer Moment der Wahrheit, der durch die allzu eifrigen Distanzierungen von der AfD rasch an Glaubwürdigkeit verlor. Wer zu spät kommt ... Deutschland will den Wechsel, aber bekommt ihn nicht.
Unionsfraktionschef Friedrich Merz freut sich über den Wahlsieg, ob sich jetzt etwas ändern wird, bleibt fraglich.
Es ist eine Wahl ohne Sieger. Merz fährt für die Union das zweitschlechteste Ergebnis der Geschichte ein, muss jetzt mit linken Parteien über eine Koalition verhandeln, die ihn daran hindern werden, den Politikwechsel zu liefern, den er versprochen hat. Um es klar zu sagen: Die Wähler nehmen Merz den Willen zur Macht und zum harten Umsteuern nicht ab.
Die SPD rutscht mit dem Wahlkämpfer Olaf Scholz ab in die Region einer Kleinpartei. Die AfD kann sich verdoppeln und wäre unter normalen Bedingungen DER Wahlsieger, soll aber nach dem Willen der anderen Parteien nicht wirksam werden. „Das haben die Wähler vorher gewusst“, sagt Merz patzig in der Berliner Runde (ARD). Botschaft: Was hier bei einer demokratischen Wahl zulässig ist und was nicht, bestimme ich. Die Quittung hat er bekommen.
Die Grünen verlieren nach dem schlechten Ergebnis von Annalena Baerbock vor drei Jahren noch einmal, und werden wohl dennoch gemeinsam mit der SPD von der Union als Mehrheitsbeschaffer zu Gesprächen eingeladen. Ob das am Ende überhaupt zu einer Einigung auf einen Koalitionsvertrag führt, ist derzeit völlig offen. Friedrich Merz hat eine wacklige Chance, eine Regierung zu bilden. Es wird seine letzte sein. Wenn Grüne und SPD kein Interesse an seinem Erfolg haben, wird er scheitern.
Fakt ist, dass der Wahlkampf von Friedrich Merz trotz aller Bemühungen gerade nicht die konservative Mitte gestärkt hat. Die größten Zugewinne verzeichnen die AfD (plus rund zehn Prozentpunkte) und das linke Lager: Linke und BSW kommen gemeinsam auf rund dreizehn Prozent (plus etwa acht Punkte). Mit anderen Worten: Der Wahlkampf der Union hat die Ränder gestärkt, nicht die Mitte, weil man ihr den Willen zum Wechsel nicht abnahm.
Die Botschaft der Bundeswahl mag parteipolitisch auf ein Patt hinauslaufen, eines ist allerdings offensichtlich: Eine Politik, die glaubt, den Wählern vorschreiben zu können, welche Stimme akzeptabel ist und welche nicht, wird scheitern. Diese Wahl hatte eine Richtungswahl sein sollen, doch die Politik will lieber Brandmauern bewahren, als die Richtung zu wechseln.
Nach der Wahl ist vor den Koalitionsverhandlungen. Es bleibt spannend.
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