Der Woke Niedergang: Immer absurdere Thesen

vor etwa 3 Stunden

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Bildquelle: Tichys Einblick

„Du hast den Farbfilm vergessen“, singt Nina Hagen 1974. „Mein Michael.“ Michael. Selbst in der sozialistisch emanzipierten DDR war es einst die Aufgabe der Männer, sich um die Kamera und ihr Zubehör zu kümmern. Beides war teuer. Videokameras kosteten so viel wie ein gebrauchtes, gut erhaltenes Auto und statt der Entwicklung eines Films hätte sich eine Familie auch einen Wocheneinkauf leisten können. So etwas Wichtiges haben Männer in der bösen Zeit des Patriarchats nicht ihren Frauen überlassen.

Gut, dass diese böse Zeit überwunden ist. Frauen dürfen heute genauso über die Apparate verfügen. Aber das ist auch wieder nicht recht. Das führt zum „Gender Foto Gap“, der nun die Aufgabe übernommen hat, Frauen zu unterdrücken. Laut Sprachpapst Wolf Schneider wäre das jetzt die Stelle, kurz und verständlich zu erklären, was denn ein „Gender Foto Gap“ sei. So sollen es Journalisten mit Begriffen tun, von denen sie ausgehen, dass ihre Leser, Hörer oder Zuschauer diese nicht kennen.

Nur: Ließe sich der „Gender Foto Gap“ kurz und verständlich erklären, dann wäre es nicht der „Gender Foto Gap“. Er ist der Auswurf des Versuchs der Spiegel-Kolumnistin Anna Clauß, eine Entwicklung in ihrer makellosen Familie so zu erklären, dass die weiter makellos sein kann. Deswegen muss es die Gesellschaft sein, die zur Abwechslung mal nicht rechtsextremistisch, sondern sexistisch ist – um das Urlaubsglück sowie die Erinnerungskultur der Familie Clauß zu zerstören.

Nun würde der Journalistenlehrer Schneider einwenden, ob es denn richtig sei, das private Glück der Familie Clauß öffentlich zu machen? Aber das tut Mutter Clauß im Spiegel halt selber. Sie lässt die Welt ungefragt daran teilhaben, dass ihr Sohn zehn Jahre alt ist und sich mit der Versetzung in der Schule schwertut, worum es in diesem Text nicht gehen wird. Vielmehr damit, dass er von Mamas Fotogehabe genervt ist, wofür diese Zeilen ihm mutmaßlich einiges an Verständnis schaffen.

Ach so. Entschuldigung. Die Erklärung steht noch aus, was der „Gender Foto Gap“ überhaupt sei. Also gut: In der Familie Clauß gibt es tausende Fotos, die Familie Clauß zeigen. Aber die allermeisten davon hat Frau Clauß gemacht, weshalb sie auf diesen nicht zu sehen ist. Nur auf einigen „von mir inszenierten Familien-Selfies“, wie uns Anna Clauß wissen lässt. Genauso wie die Erkenntnis: „Meinem Mann deswegen Vorwürfe zu machen, wäre ungerecht.“ Klar. Für die Fotos, die Vater Clauß macht, sollte Vater Clauß als Letzter verantwortlich sein. Individuelle Verantwortlichkeit ist der Gottseibeiuns der woken Streiter. Es muss immer die Gesellschaft sein, die schuld ist.

Ja. Wir haben immer noch nicht erklärt, was der „Gender Foto Gap“ ist. Aber da kommen wir jetzt hin. Als Erstes weiß Anna Clauß, wer beziehungsweise was für die fehlgeleiteten Fotos ihres Mannes zuständig ist: „Vielleicht liegt es daran, dass ich als Frau die gesellschaftspolitische Dimension des Gender Foto Gaps mehr mitdenke als sie.“ Was auch wiederum nicht an ihrem Mann und ihrem latent versetzungsgefährdeten Zehnjährigen liege, sondern halt an der bösen Gesellschaft.

Die weibliche Care-Arbeit mache diese Gesellschaft unsichtbar. 500 Fotos aus dem Griechenland-Urlaub mitzubringen ist demnach die Arbeit der Frau, ohne die im Kühlschrank das Licht ausgehen und die Eiscreme schmelzen würde. Das liege daran, dass die böse Gesellschaft Frauen vermittle, es sei unfein und eitel, sich auf Bildern in den Vordergrund zu drängen. Klar doch. Weshalb es ja auch so gut wie keine Influencerinnen oder weiblichen Models gibt. QED.

Frau Clauß zeigt sich kämpferisch. Sie brauche von sich keine Fotos an der Waschmaschine oder auf dem Klo. Was insinuiert, dass die böse Gesellschaft so etwas von ihr fordere. Aber wenigstens da kann sie beruhigt sein: Das will nun wirklich keiner. Aber Frau Clauß möchte hunderte von Fotos, die sie beim Basteln mit ihrem Sohn zeigen. Aber der schaut genauso entnervt in die Kamera wie ihr Mann, wenn sie dahinter steht. Schade eigentlich. Denn sonst gäbe es hunderte Fotos, die sich auch jemand anschauen müsste. Etwa auf einem Foto-Abend. Der Text, in dem Frau Clauß erklärt, warum die sexistische Gesellschaft auch daran die Schuld trägt, dass sich das keiner antun will, den hätte die Nachwelt vielleicht doch gerne gelesen.

Denn lustig zu lesen ist Anna Clauß schon. Und durchaus lehrreich. Solange man in ihren Worten nicht nach einer kurzen und verständlichen Erklärung sucht, was der „Gender Foto Gap“ sein soll. Die gibt es nicht. Aber um zu verstehen, wie woke Streiter arbeiten, ist Frau Clauß ein Musterbeispiel: Sie behauptet Dinge nebenbei. Wenn sie vom „sogenannten Gender Foto Gap“ spricht, tut sie so, als ob das ein bekanntes und relevantes Problem sei, das sie nicht erfindet, sondern dem sie sich widmet.

Wenn sie den Schluss zieht, ihrem Mann könne man nicht vorwerfen, er sei verantwortlich für das, was er tue – dann diesen Schluss nicht belegt, aber trotzdem als gesetzt behauptet – dann schafft sie ein Verfahren, mit dem sich alles erklären lässt. Auch die absurdesten Theorien: Die Schwerkraft kann nicht daran schuld sein, dass Dinge herunterfallen. Also muss es jemand anders sein und das ist immer die Gesellschaft. Die Vorgehensweise von Anna Clauß ist krude, noch kruder sind die Ergebnisse. Aber andererseits: Für den Spiegel reicht es. Wenn es einen Ort für den Niedergang der woken Bewegung gibt, dann dort.

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