Der Wokismus hat schlechte Gene

vor 26 Tagen

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Bildquelle: Tichys Einblick

„Auch in Deutschland macht sich ein Kulturkampf breit“, teilt der Spiegel seiner Leserschaft mit. Der entsprechende Artikel erschien nicht irgendwann 2015, sondern im August 2025. Das klingt ein bisschen so, als hätte der Reichsrundfunk nach dem Zusammenbruch der Ardennenoffensive gemeldet, jetzt käme es möglicherweise zu Kriegshandlungen. Das tat er bekanntlich nicht, aber in gewisser Weise trifft die Analogie zu: Hier wie dort griffen beziehungsweise greifen Kämpfe auf das eigene Territorium über.

Es ändert die Wahrnehmung enorm, wenn die Verwüstung völlig unerwartet nicht mehr nur die überfallenen Gebiete betrifft, sondern auch das Terrain, das man bis dahin für uneinnehmbar hielt. Die Uneinnehmbarkeit galt – und jetzt befinden wir uns wieder ganz in der Gegenwart – genauso lange als ausgemacht, wie man im antibürgerlichen Komplex glaubte, die Windrichtung bestimmen zu können. Da sich das jetzt ändert und den bisherigen Dauerangreifern eine steife Brise ins Gesicht weht, herrscht also plötzlich Kulturkampf.

Aus der Sicht des Spiegel, ähnlich gelagerter Medien, Ferda Atamans, der Grünen und ihrer akademisch-urbanwoken Vorturner in den USA, von denen sie jedes Komma übernehmen, handelte es sich bei dem Niederschreien nichtlinker Professoren, dem generellen „Deplatforming“, also der Verhinderung öffentlicher Auftritte bestimmter Personen durch einen Mob, beim Canceln von Kunst, „die missverstanden werden könnte“, dem Umschreiben von Literaturklassikern, der Diversity-Equity-Inclusion-Zwangsbeschulung für Angestellte großer Konzerne, der Begeisterung für die korrupte und antisemitische Black-Lives-Matter-Bewegung, dem Mobbing gegen Wissenschaftler, die darauf bestehen, dass es nur zwei biologische Geschlechter gibt, handelte und handelt es sich bei den irrsinnigen Anklagen gegen den heutigen Westen und ausschließlich den Westen wegen des Sklavenhandels vor mehr als 200 Jahren, bei dem antikolonialistisch bemäntelten Antisemitismus an Universitäten und weit darüber hinaus, kurzum, bei dem zehnjährigen Generalangriff auf Wissenschafts- und Meinungsfreiheit, Sprache, Geschichtsschreibung und Rechtsstaat durch eine praktisch zu allem bereite politisch-medial-akademische Kaderarmee zu keinem Zeitpunkt um so etwas wie Kulturkampf.

Einen besonders besorgniserregenden Höhepunkt des frisch gestarteten Kulturkampfs entdecken die wohlgesinnten Kreise in den USA und noch mehr in Deutschland in dem Umstand, dass die US-Regierung neuerdings ihre Mittelvergabe an Universitäten davon abhängig macht, ob die Institutionen sich zum besseren Schutz jüdischer Studenten und Mitarbeiter und zum Vorgehen gegen gewalttätige Trupps auf dem Campus verpflichten (was sie auch eine nach der anderen tun, nicht ganz freiwillig, sondern, um dreistellige Millionensummen nicht zu verlieren).

Und sehr, sehr für den Kulturkampf seit 2024 spricht, dass Beschuldigungskampagnen gegen Unternehmen wegen angeblichem Rassismus und rechter Codes neuerdings nicht nur nicht in die beabsichtigte Richtung verlaufen, sondern innerhalb kürzester Zeit im ungeordneten Blitzrückzug der Angreifer enden.

Es liegt durchaus eine Logik darin, nicht die eigenen Angriffe auf die bürgerlich-westliche Gesellschaft als Kulturkampf zu sehen, sondern erst die Gegenwehr. Von Carl von Clausewitz stammt das Bonmot: „Der Eroberer ist immer friedliebend, er zöge ganz gern ruhig in unseren Staat ein; […]“ Aus Sicht des Aggressors geht der ganze Ärger erst dann los, wenn sich die Attackierten nicht widerstandslos unterwerfen.

Um den Spiegel vollständig zu zitieren: Er kündigt nicht nur bevorstehende Kulturkriegshandlungen auch in Deutschland an, sondern warnt vor „amerikanischen Verhältnissen“.

Wobei wir bei Sydney Sweeney, ihren guten Jeans und den Folgen wären. Kurze Zusammenfassung für alle, die es nicht verfolgt haben sollten: In der Kampagne des amerikanischen Jeansherstellers American Eagle räkelt sich die Schauspielerin Sydney Sweeney („White Lotus“) in einer oben recht engen, unten aber eher weit geschnittenen Hose und einer Jeansjacke, die so körperbetont sitzt, dass Sweeney sie auf der blanken Haut trägt.

Das heißt, in einem Spot räkelt sie sich, in einem anderen schließt sie mit Pardauz die Heckklappe eines Sportwagens und fährt damit ins Blaue. Bei dem Auto handelt es sich um einen Verbrenner. Der spotübergreifende Werbespruch lautet: „Sidney Sweeney has great jeans“, worauf der Hinweis folgt: Sie besitze auch great genes, also gute Gene. Normalverbraucher erkennen darin ein Wortspiel, das die Wahrheit nicht direkt verbiegt, denn die gute genetische Ausstattung kann man der Werbeträgerin wirklich nicht absprechen.

Wer sich nicht ausschließlich für Jeans und die Schauspielerin interessiert, der nimmt vielleicht zusätzlich wahr, dass eine ganze Reihe von Firmen ihre Produkte mittlerweile nicht mehr mit als Frauen verkleideten Männern respektive bärtigen oder stark übergewichtigen Frauen an ihre Kunden bringen, sondern mit Models, die allgemeinen Attraktivitätskriterien entsprechen. In einem Dunkin’-Donuts-Werbespot beispielsweise nimmt der Schauspieler Gavin Casalegno den Sommerdrink 2025 zu sich, wobei auch hier die Gene kurz Erwähnung finden: Er weist darauf hin, dass es sich bei seiner Bräune um ein Familienerbe handelt („Look, I didn’t ask to be the king of summer. It just kinda happened. This tan? Genetics“).

Es existiert nun auch noch eine dritte und relativ kleine Gruppe, die in Sweeneys und etwas abgestuft auch in Casalegnos Auftritt etwas ganz anderes erkennt: Eugenik, Rassismus, Erniedrigung von Schwarzen, Trumpismus und überhaupt eine unterschwellige Vermittlung faschistischer Ideologie, zwar im Sinne des Faschismusbegriffs als Schweizer Taschenmesser der Woken, also als Instrument für sämtliche Diskurslagen, aber immerhin. Auf den dunkelhaarigen Casalegno stürzte sich die Empörungssturmabteilung nur nebenbei, schließlich geht es hier ja auch um braune Haut; hauptsächlich konzentrierte sie sich auf American-Eagle-Sweeney. Denn blond und blauäugig – das gehörte auch zu den Vorwürfen.

Es folgt jetzt ein kleiner Ausschnitt aus Wortmeldungen in der Sache, wobei der Einfachheit halber ein Prototyp für den generischen Rest steht, zu dem die Links in den folgenden Absätzen führen. Die Jeans-Kampagne von American Eagle, erklärte beispielsweise eine dezidiert nicht sweeneyhafte Influencerin, werbe für Eugenik, sei „Nazi Propaganda“ und gehöre mit allen Mitteln bekämpft.

Bei den American-Eagle-Firmeneignern handelt es sich übrigens um Juden, aber vielleicht kommt das in den Augen einiger Kritiker strafverschärfend dazu. Auf TikTok sprachen andere Personen des gleichen Erregungsmilieus Boykottaufrufe in die Kamera, führten emotionale Zusammenbrüche wegen der blonden Nazi-Eugenik-Trump-Frau vor, warnten vor white supremacy und entwickelten ausgefeilte Bestrafungsfantasien für alle, die an dem Jeansspot mitwirkten.

Falls sich jemand tatsächlich durch diese Auswahl klicken sollte: Sie stehen mit dem Eindruck nicht allein da, dass sowohl Protagonistinnen als auch Textbausteine aus ein und derselben Fabrik stammen. Zur großen Wut trug möglicherweise auch noch bei, dass die sich räkelnde und kofferraumschließende Schauspielerin ohne spezielle Absicht den Punkt berührte, dass sich durchaus definieren lässt, was eine Frau ist.

Auf TikTok, Instagram und X folgte die in den vergangenen Jahren gut eingespielte Welle: Medien kehren das Material zusammen und versintern es zu Beiträgen wie „Große Empörung über XX“ /„Der unterschwellige Rassismus von XX“/„Die rechten Codes im Spot von XX“ und so weiter, natürlich mit den entsprechenden Fragen an das Unternehmen, welche Konsequenzen man dort zu ziehen gedenkt. Der Sender MSNBC, hier wieder als Beispiel für viele andere dokumentiert, fand das, wofür die Jeanswerbung seiner Meinung nach steht, „ugly and startling“, hässlich und alarmierend.

Screenprint MSNBC

Deutsche Medien, die bei solchen Themen ausnahmslos gesinnungsverwandte US-Erzeugnisse kopieren, klärten ihr Publikum ebenfalls über die Protestwelle auf.

WDR Cosmo informiert sein Publikum über das neue Körperideal, für das dreierlei gelte: „weiß, kolonialistisch und NS-ideologisch“.

Dann warteten die US-Wokeria und ihre Verbündeten auf Phase drei: Das Management des Unternehmens wirft sich öffentlich auf die Knie, zieht die Werbung zurück und bittet bei allen Mentalverletzten um Verzeihung, während eine Filmfirma Sydney Sweeney aus ihrer gerade laufenden Produktion wirft. Worauf sich dann das Ganze noch einmal, Phase vier, zu einem Sud mit allen Zutaten verkochen lässt, wozu unvermeidlich auch die Therapie der Traumatisierten in den Medien gehört („Was hat die Jeanskampagne mit dir gemacht?“).

Nur passierte diesmal nichts davon. Die Firma erklärte erst gar nichts und dann, dass sie an ihrer Kampagne nichts zu ändern vorhabe. Der Aktienkurs von American Eagle stieg steil an, spiegelbildlich ungefähr so stark, wie die Verkaufszahlen von Budweiser seinerzeit nach dem Werbespot mit Dylan Mulvaney nach unten abschnurrten.

Der Sweeney-Loony-Left-Meltdown markiert aus mehreren Gründen einen Zeitenwechsel. Erstens, weil es hier um ein Gebiet geht, auf dem fast jeder mitreden kann. Die Debatte um Pronomen wie Xer und xer, die rassistische Konnotation von Milch und den Kolonialismus botanischer Gärten bekam nicht jeder außerhalb eines eher engen Milieus mit, in dem man sich stets bemüht, den Sockenschuss à jour nicht zu verpassen.

Dass American Eagle gar nicht daran denkt, sich für irgendetwas zu entschuldigen, liegt auch am Strukturwandel der Medienöffentlichkeit. Früher knickten Firmen spätestens dann ein, wenn große Sender und Blätter die Erregung auf Internetplattformen wie ehemals Twitter, TikTok und anderswo mit ein paar Stichworten selbstausgesuchter Experten und Politiker mixten, um das Produkt dann direkt gegen das Management eines Herstellers zu richten. Auch das funktioniert nicht mehr, denn außerhalb eines kleinen harten Kerns verfolgt kaum noch jemand Transmissionsmedien wie MSNBC. Der Sender verlor von 2024 bis Mitte 2025 nach langem Niedergang noch einmal 15 Prozent seiner Zuschauer insgesamt und 20 Prozent der 24- bis 54-Jährigen. Das tägliche Publikum liegt nur noch hauchdünn über der Millionengrenze in einem Land mit 340 Millionen Einwohnern.

Kurz zusammengefasst: Die mediale Aufregung versendet sich weitgehend jenseits der Öffentlichkeit, der vorgelagerte netzaktivistische Rummel erreicht zwar eine deutlich größere Zuschauerschaft, allerdings eine, in der sich neun von zehn Personen köstlich über die Empörungsschaustellerinnen amüsieren. Genau diese amerikanischen Verhältnisse fürchtet man bei Spiegel, ARD, ZDF et al. Und zwar völlig zu Recht.

Nach der kollabierten Anti-Sweeney-Kampagne begab sich nun aber Folgendes, das es bisher so noch nie gab: Die Beteiligten und ihre Ally-Medien leugneten einfach, dass es die Kampagne überhaupt gab. Im Wokenkuckucksheim fing man an, in abermals generisch produzierten Tweets jede eigene Beschäftigung mit der Sweeney-Jeanswerbung zu bestreiten und zu erklären, bei den Rassismus- und Eugenikbeschuldigungen handle es sich ausnahmslos um rechte Unterstellungen und Hirngespinste. Zu den Kollektivmerkmalen der Linksbizarren in ihrer Spätphase gehört es offensichtlich, dass sie im Netz so schreiben, als hätten alle anderen keinen Netzzugang, zumindest aber kein Archiv.

Auch hier soll wieder eine Wortmeldung stellvertretend für den kursorisch behandelten Rest stehen. Spiegel-Auslandschef Mathieu von Rohr twitterte: „Es gab gar keine ‘woke Empörung’ über die Sidney-Sweeney-Werbung […] es gab nur eine Empörungskampagne rechter Accounts über eine angebliche woke Empörung, die aber gar nicht wirklich existierte.“ Dazu verweist er auf die New York Times, die das angeblich herausgefunden hätte. Das tat die NYT zwar gar nicht, das Blatt behauptete lediglich, „right wing activists“ hätten „die Sweeney-Jeans-Anzeigendebatte geformt“. Jedenfalls rollte nun der Rückzug, pardon, die Frontbegradigung: Man habe sich nie aufgeregt, die Jeanswerbung habe niemanden interessiert, irgendwelche wokelinken Nervenzusammenbrüche habe man nie gesehen.

In gewohnter Weise saublöd steht der Stern da, der das Kommando („Vorwärts Genossen, wir müssen zurück“) offenbar nicht rechtzeitig mitbekam. Jedenfalls fragte einer seiner begabtesten Autoren zu Sweeney: „Ist sie das rechte Postergirl, auf das Trump gewartet hat?“ und: „Sie soll Republikanerin sein und rassistische Werbung machen“. Und das zu einem Zeitpunkt, an dem der Spiegel nebenan schon darüber informierte, irgendeine Aufregung um die Jeansträgerin habe es garniemals nicht gegeben, das könne man beim hl. Relotius beschwören.

Wenn die woke Phalanx neuerdings nach ein paar Metern Anlauf auf dem Absatz kehrtmacht und umständehalber den Rückweg durch die Katzenklappe antritt, dann wirkt das enorm unterhaltsam. Aber zu sagen: „Wir waren nie im Krieg gegen Ozeanien“, weil man gerade gegen Ozeanien verliert – das markiert wirklich eine neue Qualität.

Wobei, die Hatesniegegeben-Parole kündet auch auf anderen Gebieten von Angriff, Scheitern und Rückzug. Nur folgten diese Schritte noch nie so schnell nacheinander, sondern mit größerem Abstand und damit unauffälliger. Jedenfalls gehört der Textblock mittlerweile fest zur Kommunikation von grünen Politikern und ihren journalistischen Trabanten, ein Zwang zur Wärmepumpe hätte zu keinem Zeitpunkt existiert, sondern er wäre von rechten Netzwerken nur behauptet worden. Ein Blick ins Gesetz beweist das Gegenteil. Dort heißt es zwar, die Wahl der Heiztechnik sei frei. Gleich darunter steht eine detaillierte Definition, die für viele Gebäude keine Alternative außer der Wärmepumpe übriglässt.

Noch etwas länger schon geht die Erzählung um, es habe niemals einen Genderzwang gegeben, auch das sei alles nur von rechts ausgedacht. Die Stadtverwaltung Hannover schreibt die Gendersprache seit 2019 für den gesamten Schriftverkehr verbindlich vor und damit auch mittelbar für die Bürger, die schließlich nicht umhinkommen, amtliche Briefe zu lesen.

Die Stadt München stellte 2022 ihre gesamte Informationstechnik auf Gendersprache um; die Aktion kostete 3,9 Millionen und sieht ebenfalls keine Ausnahmen vor.

Mehrere Universitäten versuchten eine Genderpflicht durchzudrücken, indem sie Lehrkräften erlaubten, Studenten schlechter zu benoten, wenn sie in ihren Arbeiten nicht genderten. Die Ablehnungsrate der Sondersprache dürfte in der Normalbevölkerung auch wegen solcher Maßnahmen auf gut 75 Prozent geklettert sein.

Der Autor und Literaturwissenschaftler Adrian Daub machte sich schon ab 2022 einen Mediennamen, indem er behauptete, so etwas wie Cancel Culture existiere auf gar keinen Fall, zumindest nicht von links, und wenn es doch zu dem einen oder anderen Ereignis an US-Universitäten gekommen sei, das sich beim besten Willen nicht abstreiten lässt, dann, so Daub, handle es sich um „winzige Anekdoten“.

Was folgt aus alldem? Aus der Jeansgeschichte zunächst einmal: Unternehmen, die einfach die woke Lärmkulisse ignorieren, gewinnen. Nur wer einknickt, macht sich zum Opfer. Aber im großen Zusammenhang und grundsätzlich: Der Wokismus verliert gerade den Kulturkampf, weil nun einmal derjenige das kulturelle Feld beherrscht, der definiert, was gerade als populär und attraktiv, kurz, was als cool gilt. Und populär, für die breite Gesellschaft attraktiv und für Jüngere cool – das war dieses Phänomen nie. Der Wokismus versprach denen, die mitmachten, in seiner Siegesphase Posten, Macht, Bedeutung, also Beute. Aber selbst in seinen besten Zeiten niemals auch nur die kleinste intellektuelle Aura. Und die Beute reichte von jeher nur für sehr wenige.

Eine Kunstsprache, vor staatlichen Institutionen und Konzernzentralen aufgezogene Regenbogenfahnen, Schreichöre, Hamas-Solidaritätsaufrufe, Kämpfen mit Septumring, blauen Haaren und neuerdings Topfschnitt – davon ging und geht nie eine Sekunde lang Glamour aus. Das reichte nie für popkulturelle Qualität, es erzeugte nie interesseloses Wohlgefallen bei Betrachtern.

Wäre die Gendersprache attraktiv, würden Millionen sie privat sprechen. Wären die Ideen und Argumente der Erwachten brillant, hätten ihre Fußtruppen nie irgendjemanden niederbrüllen müssen. Wäre die Bewegung menschenfreundlich, hätte es keine Hamasjubler in amerikanischen und deutschen Universitäten gegeben. Wären Diversity-Workshops für normale Angestellte ein Vorteil gewesen, dann hätten sie sich von unten durchgesetzt statt von oben. Darüber, dass Unternehmen ihre Diversity-Equity-Inclusion-Programme abschaffen, gibt es zwar schon Regalmeter hochbesorgter Medienartikel. Aber wirklich nirgends Beschwerden aus der Belegschaft der Unternehmen selbst, also von den Leuten, zu deren Nutz und Frommen der Zauber angeblich stattfand.

Man wird auch staunen, wie plötzlich das Gendern beim Deutschlandfunk, an Universitäten und anderswo endet, wenn die Stigmatisierung durch Lächerlichkeit an einem bestimmten Punkt den Gruppendruck im Inneren übersteigt. Den vorübergehenden Vormarsch der Erwachten begünstigten neben der Entschlossenheit der Marschierer auch Opportunismus, Feigheit, Unterwürfigkeit; die Angst, selbst in die Mangel zu geraten. Aber niemals irgendein inneres Leuchten, das von dieser Lehre ausging, ein Sog, eine Faszination.

Der Wokismus kann nichts Wertvolles weitergeben. Er hat keine guten Gene.

Schwindet die Angst der vormals Eingeschüchterten, dann bröckelt sein Gebäude ziemlich flott. Genau das geschieht gerade in den USA, weshalb der Spiegel ja auch so engagiert vor den dortigen Verhältnissen warnt. In Deutschland könnte der Prozess etwas länger dauern. Denn gerade das gehobene Bürgertum und damit auch viele Unternehmensmanager halten sich hierzulande bevorzugt im Bockshorn auf. Aber auch das endet irgendwann. Früher oder später bescheinigt ihnen der Hausnotar, dass sie jetzt auch ihr kritisches Wort sagen dürfen. Aller Wahrscheinlichkeit lautet es: Wir haben diese Erscheinungen schon immer sehr kritisch gesehen.

Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Mit dem Zerbröseln des Wokismus verschwindet die Linke nicht. Im Gegenteil, sie tritt wieder pur und roh hervor, räuberisch und auf Zerstörung aus. Aber sie wirft den Ballast des Pronomen- und Genderzirkus und vieler weiterer Woke-Elemente ab, schon deshalb, weil sie nicht zur neuen prophetengrünen Zielgruppe passen. Auch innerhalb des antibürgerlichen Milieus gibt es herabgesunkenes Kulturgut.

Irgendwann in mittlerer Zukunft heißt es vermutlich westweit: Der sogenannte Wokismus war in Wirklichkeit die Erfindung seiner Feinde.

Und ehrlich gesagt: Genau so sah er auch von Anfang an aus.

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