Bahn streicht Stellen, Lufthansa zieht sich zurück

vor etwa 4 Stunden

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Bildquelle: Tichys Einblick

Wir leben in einer bemerkenswerten Zeit. Wirtschaftshistoriker werden sich einmal die Köpfe darüber zerbrechen, wie es möglich war, dass sich eine erfolgreiche Wirtschaftsnation, ganz ohne Not, ohne äußeren Anlass, selbst enthauptete.

In gespenstischer Stille, ohne größeren medialen Widerhall, zieht sich die Spitze der deutschen Wirtschaft Schritt für Schritt vom Heimatstandort zurück. Nach Traditionsunternehmen wie ThyssenKrupp, BASF, Miele oder Continental setzt nun auch die Lufthansa den Rückzug vom Standort Deutschland fort.

Die deutsche Rezession, verstärkt durch den wachsenden politischen Regulierungsdruck und fiskalischen Aderlass, setzt sich im Maschinenraum der Ökonomie unübersehbar in eine veritable Mobilitätskrise um.

Bei der Deutschen Bahn kennt man das Problem. Finanzvorstand Levin Holle setzte den Ton: Es müsse „mehr Bahn mit weniger Menschen“ geschaffen werden. Klar, auch hier geht es ans Eingemachte, Fernreisen sind für viele auch mit der Bahn zu teuer geworden, die Inflation lässt grüßen. In den kommenden fünf Jahren soll die Verwaltung der Bahn um bis zu 30.000 Mitarbeiter eingedampft werden. Parallel dazu wolle die Bahn – so jüngst kolportierte, aber von der Bahn dementierte Berichte – die Sitzplatzkapazität im Fernverkehr reduzieren: Von derzeit 265.000 Sitzplätzen sollen demnach im Jahr 2036 nur noch 244.000 angeboten werden. Ältere ICE-Modelle sollen aus dem Verkehr gezogen, verschrottet oder verkauft werden.

Es besteht unmittelbarer Handlungszwang: Das Geschäftsergebnis der Bahn wies für 2024 einen Verlust von 1,8 Milliarden Euro aus. Die Ursachen sind vielfältig: Infrastrukturprobleme, häufige Verspätungen und Streiks belasten das Ergebnis. Während der Regionalverkehr profitabel arbeitet, lastet das historisch gewachsene Fernverkehrsnetz auf der Bilanz wie Blei.

Was läuft schief? Ein marodes, überaltertes Netz, ineffiziente Kostenstrukturen und ein fortwährender Balanceakt zwischen Personalüberhang und stagnierender Produktivität hemmen das Unternehmen in seiner Entwicklung.

Ein verwegener Vorschlag: Vielleicht sollte man die Bahn am Ende doch privatisieren und von der hemmenden staatlichen Gewährträgerhaftung und Wurstigkeit befreien? Das ist selbstverständlich Fiktion. Eine Parabel aus dem Märchenland der Marktwirtschaft, die in diesen Tagen in Berlin niemand mehr ernst nehmen würde. Also weiter so im Takt.

Bahnchef Richard Lutz fasst in seiner Problemanalyse das heiße Eisen der Rezession nicht an. Er sieht die marode, seit Jahrzehnten vernachlässigte Infrastruktur als zentrale Ursache für die aktuellen Probleme der Deutschen Bahn. „Wir haben einen Sanierungsstau, der fast 100 Milliarden Euro beträgt“, erklärte Lutz im OMR-Podcast. Lutz betonte, dass rund 80 Prozent der Unpünktlichkeit und Unzuverlässigkeit auf das überlastete und störanfällige Schienennetz zurückzuführen seien. „Das ist unser Hauptproblem – deshalb muss es vor allem darum gehen, die Schieneninfrastruktur wieder in Ordnung zu bringen, zu sanieren und zu modernisieren“.

Wird der Bund als Haupteigentümer der Bahn in seinem Schuldenhaushalt ausreichend Mittel für die Erneuerung der Infrastruktur zur Verfügung stellen? Finanzminister Lars Klingbeil vermittelt dieser Tage nicht den Eindruck, als läge sein Schwerpunkt auf der Modernisierung der Infrastruktur. Vielmehr tritt er auf wie ein progressiver Sozialstaatsingenieur, dessen politisches Kalkül nicht auf Wertschöpfung, sondern auf Umverteilungsversprechen ruht.

Bleiben wir im Transportgewerbe und wechseln von der Schiene zur Luftfahrt. Auch hier sehen wir bizarre Entwicklungen. Die Passagierzahlen erholen sich nach den Lockdown-Schocks allerorten und erreichten zuletzt etwa 96 Prozent des Vorkrisenniveaus. Nur in Deutschland hakt es gewaltig.

Mit 97 Millionen Passagieren im vergangenen Jahr pendelt die Branche 18 Prozent unter dem Niveau vor der Krise – die Branche steckt in einer wirtschaftlichen Depression. Wie im Falle der Energiewirtschaft, der Chemie oder der Automobilindustrie ist auch dieses Krisenphänomen hausgemacht, Made in Berlin, ein exklusives Drama der deutschen Wirtschaft.

Fluggesellschaften wie Lufthansa oder Ryanair ziehen sich von deutschen Airports zurück. Es scheint, dass auch hier kein Blumentopf mehr zu gewinnen ist. In der „Welt“ berichtet Lufthansa-Chef Carsten Spohr über die Lage am Standort: „Innerdeutsche Flüge stellen wir nach und nach ein“, so Spohr.

2025 sind erstmals mehr Lufthansa-Maschinen an ausländischen Drehkreuzen stationiert als an deutschen Standorten. Die Gründe liegen laut Spohr in der zunehmenden Unrentabilität innerdeutscher Verbindungen. Hohe Kosten, steigende Abgaben und regulatorische Hürden setzten das Geschäft zunehmend unter Druck. „Wir sehen uns gezwungen, unser Netz und unsere Flotte effizienter auszurichten und uns auf international wettbewerbsfähige Standorte zu konzentrieren“, erklärt der CEO.

Wie die Bahn steht auch die Lufthansa vor einer Zäsur in ihrer Firmengeschichte und setzt das Skalpell zunächst in ihrer deutschen Verwaltung an: Bis zu 20 Prozent der Arbeitsplätze, rund 400 Stellen, sollen gestrichen werden. Die Maßnahmen zielen darauf ab, das operative Ergebnis bis 2028 um 2,5 Milliarden Euro zu steigern. Die Strategie sieht vor, vermehrt auf Automatisierung und natürliche Fluktuation zu setzen und den Verwaltungsapparat weiter zu verschlanken.

Man kann es auch anders formulieren: Es ist der unvermeidliche Aderlass auf den grünen Regulierungswahn und den festen politischen Willen, die deutsche Wirtschaft in einen zentral geplanten energiearmen Komplex umzubauen. Die Politik versucht Verhaltensänderungen zu erzwingen. Und sie nutzt zu diesem Zweck die fiskalische Brechstange.

Staatliche Abgaben auf Flugtickets für innerdeutsche Flüge treiben die Preise ins Unerschwingliche. Luftverkehrsteuer, Flughafengebühren und Sicherheitsabgaben summieren sich zu einem Staatsanteil pro Ticket auf rund 74 Euro. Bei durchschnittlichen Inlandsticketpreisen von 120 bis 150 Euro kassiert der Fiskus damit zwischen 50 bis 60 Prozent. Die Folge: Airlines ziehen sich zurück, Deutschland wird zum Geisterstandort der Luftfahrt.

Die Analysen des Lufthansa-CEOs und des Bahnchefs adressieren das Kernproblem der deutschen Politik: Den notwendigen Investitionen wird der ewig wachsende Sozialkonsum vorgezogen. Es gilt das Motto: Staat vor Markt – die Substanz wird verfrühstückt, nichts Neues geschaffen.

Es wäre wünschenswert, die Wirtschaftselite Deutschlands träte nun geschlossen für eine politische Wende ein. Doch bleibt es ihr Geheimnis, weshalb sie angesichts der Schwere der ökonomischen Krise nicht den Mut aufbringt, mit offenem Visier, auch und gerade gegen politischen Widerstand, für den Standort zu kämpfen. Die Wirtschaft steht in der Pflicht, die Ursachen der Deindustrialisierung beim Namen zu nennen: eine selbst herbeigeführte Energiekrise, Überregulierung und der wuchernde Hyperstaat, der den privaten Sektor ausblutet. Wer an dieser Stelle schweigt, schützt nicht den sozialen Frieden, sondern vertagt nur den Moment der Abrechnung.

Der Niedergang Deutschlands ist präzise dokumentiert. Jahr für Jahr verliert der Standort Direktinvestitionen von über 60 Milliarden Euro – eine messbare Kapitulation des Vertrauens in die Zukunft des Landes. Die Kapitalflucht ist nicht Folge äußerer Zwänge. Sie ist unbestechlicher Ausdruck des Scheiterns der Brüsseler und Berliner Transformationsagenda.

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