
Tübingens Hermann-Hepper-Halle zum Schauplatz eines bemerkenswerten Spektakels: Oberbürgermeister Boris Palmer (parteilos) diskutierte mit Markus Frohnmaier, dem Landeschef der AfD Baden-Württemberg – und im Saal wie vor der Halle gab´s Krawall.
Die Veranstaltung war weit vor dem Abend ausverkauft – 750 Plätze für Tübinger, dazu rund 100 Delegierte der AfD – und parallel wurde live gestreamt. Auf dem Programm standen sechs Themenblöcke – von Meinungsfreiheit über Klimaschutz bis Demokratie & Rechtsstaat. Moderiert wurde streng reguliert vom Rhetorik-Professor Joachim Knape. Es sind die Themen des Landes. Schon im Vorfeld war klar, dass es die Demokratie nicht einfach hat in Deutschland sondern nur noch unter Aufsicht und Polizeischutz stattfinden kann. Polizei und Ordner sicherten den Zugang, Personalausweise wurden am Eingang kontrolliert. Draußen hatten die üblichen, meist staatsfinanzierten Aktivisten gegen die Debatte mobilisiert – von „Omas gegen Rechts“ bis „Fridays for Future“. Rund 1 500 Demonstranten waren angemeldet. Ihr Ziel wear zu verhindern, was eine Demokratie ausmacht: Das offene Wort, die Diskussion, jede Debatte. Die Verteidiger der Demokratie zerstören das Wesen der Demokratie und merken es nicht einmal, den Nachdenken ist ihre Stärke nicht. Palmer betonte zuvor, er wolle der AfD keine Bühne bauen, sondern sie argumentativ zu stellen – denn die Strategie des Ausweichens sei gescheitert. Seine Veranstaltung hat vorgeführt, dass es um Argumente längst nicht mehr geht – die Schreier beherrschen die Szene.
Sein an sich selbstverständlicher Ansatz ist heftig umstritten; auch das ein Hinweis auf den fortgeschrittenen Verfall. In seinem offenen Brief appellierte Palmer an den Zusammenhalt aller Demokraten – doch das Echo im Netz war geteilt. Kommentare reichten von: „Man muss miteinander reden“ bis hin zu „Die Kritiker sollten ihr Demokratieverständnis hinterfragen“ – bis zu: „Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der AfD ist wenig erfolgversprechend; wir normalisieren antidemokratische Positionen“. Na klar. Demokratie ist nur das, was ich für richtig finde.
Palmer betonte, dass die AfD zwar lautstark von Meinungsfreiheit rede, sie aber gleichzeitig selbst einschränken wolle – etwa indem Andersdenkende diffamiert oder kritische Journalisten als „Lügenpresse“ attackiert würden.
Frohnmaier warf den etablierten Parteien und Medien dagegen vor, unliebsame Positionen systematisch auszugrenzen. Für ihn sei die AfD die Stimme jener Bürger, die sonst „mundtot gemacht“ würden.
Beim Klimaschutz warnte Palmer, dass die AfD-Positionen beim Klimaschutz „komplett inkompetent“ seien. Wer wissenschaftliche Fakten leugne, schade der eigenen Zukunftsfähigkeit – auch wirtschaftlich. Frohnmaier hielt dagegen, die Klimapolitik sei überzogen und gefährde Arbeitsplätze. Deutschland dürfe nicht „Industrie zerstören, um Weltklima zu retten“.
Beim zentralen Thema Migration und Innere Sicherheit bestätigte Palmer, dass Integration nur mit klaren Regeln und Grenzen funktioniere. Die AfD sei in Wahrheit nicht an Lösungen interessiert, sondern wolle Ressentiments schüren.
Frohnmaier machte Migration zum Kernproblem: Deutschland müsse „Grenzen schließen“ und die „Einwanderung in Sozialsysteme“ beenden. Er stellte Migration als Hauptursache für Kriminalität und soziale Spannungen dar.
Dass Gegensätze argumentativ aufeinanderprallen und die Diskutanten sich nichts schenken, aber trotzdem angemessen höflich miteinander umgehen: So soll es sein, nur so können sich Wähler ein Bild machen und die Entscheidung treffen, wo sie ihr Kreuz am Wahltag setzen.
Ein OB, parteilos, bietet der stärksten Oppositionspartei im Land eine Bühne – nicht aus Höflichkeit, sondern aus strategischem Kalkül. Die Bühne war da, das Publikum auch – drinnen lautstarkes Geschrei, das die Debatte verhindern will. Draußen bricht der Protest los. Moralische Entrüstung trifft auf parlamentarisches Kräftemessen. Was bleibt? Ein Abend, der deutlich machte: Demokratie lebt von Debatten – auch wenn einige lieber die Mehrheit zum Schweigen bringen wollen. Viele der Demonstranten verbergen ihr Gesicht: eine Art Restscham gibt es also noch.
Boris Palmer hat sich bewusst der Auseinandersetzung mit Markus Frohnmaier gestellt. Trotz massiver Proteste vor der Halle, scharfer Kritik im Vorfeld und Sicherheitsauflagen mit Einlasskontrollen blieb Palmer bis zum Schluss auf dem Podium. Sein erklärtes Ziel war es gerade, nicht davonzulaufen oder die AfD zu meiden, sondern sie argumentativ zu stellen. Damit setzte er ein Zeichen gegen die Strategie des Ausweichens – und machte klar: Wer die Demokratie verteidigen will, darf nicht den Saal verlassen, sondern muss im Saal bestehen, oder auf dem Marktplatz.
Es gibt sie also noch, die Reste der Debatte. Aber Demokratie kann in Deutschland nur noch im Saal stattfinden – und unter Polizeischutz. Weil die selbsternannten Verteidiger der Demokratie sie längst in die Gosse getreten haben. Debatte nur noch unter Polizeischutz – was für ein Armutszeugnis für das sich sonst so modern gebende Tübingen im Stil der Saalschlachten aus düsterster Vergangenheit. Immerhin wirkt die Veranstaltung für die AfD wie ein Turbo im Wettbewerb um Aufmerksamkeit, und das Auftreten von „UnsereDemokratie“ abstoßend. Beides wirkt wahlentscheidender als dieses oder jenes Argument.