
Das Jahr 2024 ist Vergangenheit, die Aufarbeitung des Anschlags von Magdeburg bleibt. Doch hinter den skandalösen Sicherheitsmängeln darf acht Jahre nach dem Terror am Berliner Breitscheidplatz der eigentliche Hintergrund und tiefere Kern des Problems nicht an den Rand geschoben werden: Deutschland leistet sich ein in fast jeglicher Hinsicht gescheitertes und täglich neu scheiterndes Migrations- und Ausländermanagement.
Es beginnt mit der illegalen Einreise, die im Grunde schon gar niemand mehr als „illegal“ im Wortsinne zur Kenntnis nimmt. Es reicht, wenn man „zeitnah“ einen Asylantrag stellt, als würde es irgendein Finanzamt akzeptieren, wenn man sich später mal an vergessene Einkünfte erinnert. Regelmäßig werden von Politikern aller Parteien, sinkende Zahlen bei den Asylanträgen als politischer Erfolg gefeiert, obwohl diese in keiner Weise systematisch reduziert wurden, sondern sich jahreszeitlich oder durch Kontrollen ein wenig absenken, aber eben nicht wirklich aktiv gesteuert werden.
Was Magdeburg aber auch gezeigt hat, ist ein in vielen Fällen nicht funktionierendes Ausländer- und Asylmanagement. NIUS konnte Fallakten aus Sachsen-Anhalt und Berlin einsehen, die auf erschreckende Weise zeigen, dass die Kommunikation zwischen den Ausländerbehörden nicht funktioniert, das Ausländerzentralregister keine vollständigen und aktuellen Daten besitzt und Alias-Namen sogar offiziell in den Akten vermerkt werden, als handle es sich um Künstler-Pseudonyme. Geriet der Attentäter vom Breitscheidplatz, Anis Amri, mit seinen zahlreichen Identitäten zwischen den Ämtern in Nordrhein-Westfalen und Berlin aus dem Blick der Behörden, so sind die Asyl-Verläufe bis heute in vielen Fällen noch immer schwer zu rekonstruieren.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) in Magdeburg. Nach dem Anschlag gab es nur ein paar warme Worte – Konsequenzen gab es schon bei früheren Terror-Anschlägen, zuletzt in Solingen im August 2023, nicht.
Geradezu typisch für das Gemisch aus Hilflosigkeit und „Erledigt durch Genehmigung“ kann der Fall von Sali B. (58) gelten, der im Jahre 2000 aus der Türkei nach Deutschland einreiste, erst in verschiedenen Landkreisen Sachsen-Anhalts untergebracht und geführt wurde, nach sechs Jahren Asylverfahren hätte ausreisen müssen, danach jahrelang geduldet wurde („aus sonstigen Gründen“), dann vermeintlich Deutschland wieder verlassen hatte, später in Berlin auftauchte, 2022 nur per Dolmetscher im Virchow-Klinikum behandelt werden konnte und dann doch wieder in Magdeburg einen Bescheid zum Bezug von Sozialleistungen erhielt, um die Sache vom Tisch zu kriegen.
Aus- und Wiedereinreise bleiben oft folgenlos, selbst dann, wenn sie die Begründung der Schutzsuche ganz offensichtlich widerlegen. Der Datenabgleich von Landes- und Bundesbehörden funktioniert oft nicht oder scheitert an unterschiedlichen Schreibweisen der Namen. Eine eindeutige und manipulationssichere Erfassung der Migranten etwa durch Fingerabdrücke oder biometrische Daten scheitert am Datenschutz. Und selbst wenn Integration zu scheitern droht oder längst gescheitert ist, fehlt es an adäquaten Sanktionsmöglichkeiten, weil beim Bezug von Sozialleistungen und sogar im Falle zu Unrecht bezogener Gelder die Zuwendungen nicht unter die Lebenshaltungskosten gekürzt werden können.
Das Strafrecht, so eine Jugendrichterin zu NIUS, stammt vielfach aus Zeiten der alten Bundesrepublik und legt eine weitgehend homogene deutsche Gesellschaft zu Grunde, in die Straftäter wieder integriert und resozialisiert werden sollten. „Diese Gesellschaft gibt es heute in vielen Großstädten so nicht mehr“, so die Richterin, die ausdrücklich nicht genannt werden will. Wo aber die Strafen mit Blick auf Resozialisierung durch eine zivile Mehrheitsgesellschaft milde gehalten werden, das soziale Umfeld in der Realität aber aus prekären Milieus oder Clan-Strukturen besteht, könne auch das Strafrecht kaum Wirkung erzielen.
Illegal eingereiste Migranten in Brandenburg – zurückgeschickt werden sie nicht.
Die deutsche Asyl- und Migrationspolitik orientiert sich an den hohen Standards der Menschenwürdegarantie aus Art. 1 des Grundgesetzes und einem daraus gespeisten Menschenbild, das zu einer völlig unrealistischen Behördenpraxis mit systematischer Überforderung (von den Kosten gar nicht zu sprechen) führe, sagt ein Sachbearbeiter im Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten zu NIUS. Ein bekritzelter Zettel mit den Worten „ich widerspreche“ löse eine ganze Kaskade von zum Teil personalintensiven juristischen Schritten und Prüfungen aus, die angesichts der hohen Fallzahlen kaum zu bewältigen sind.
Der in anderen Ländern (gerade auch klassischen Einwanderungsländer) längst übliche Geist des strengen Forderns von Regelbeachtung und Abwehr von Asylmissbrauch, werde in Deutschland geradezu ins Gegenteil verkehrt und bringe die Behörden in die Lage, dem Antragsteller falsche Angaben, Tricks und Täuschung nachzuweisen, anstatt diesem den Nachweis der Rechtsstaatstreue abzuverlangen, so die Klage von Sachbearbeitern.
Ein Staat, der die Kontrolle über die Ein- und Ausreisen, über den Zuzug in sein Staatsgebiet nicht gewährleisten kann, vergibt eines der wichtigsten Hoheitsrechte und verliert die Achtung seiner Bürger. Das Problem durch rasche und möglichst anspruchslose Einbürgerung lösen zu wollen, ist nicht nur Selbstbetrug, sondern importiert den Missstand auch noch dauerhaft. Und das übrigens nicht nur nach Deutschland, sondern mithilfe der EU-Freizügigkeit nach ganz Europa. Es ist staatlich organisierte Verantwortungslosigkeit.
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