
Die Koalition aus CDU/CSU und SPD ist bereit, dem deutschen Steuerzahler in den kommenden vier Jahren neue Schulden von etwa 750 Milliarden Euro aufzubürden. Zu dem avisierten Investitionspaket in Höhe von 500 Milliarden Euro gesellen sich Jahr für Jahr mindestens weitere 60 Milliarden neuer Schulden aus dem laufenden Staatsbetrieb hinzu. Das ist ein hoher Preis für eine Politik, die an die Merkeljahre anknüpft: Ökonomischen Reformen zur Förderung der Privatwirtschaft sind weit und breit nicht in Sicht. Stattdessen setzt die Regierung auf eine stärkere Zentralisierung und trifft mit dieser Haltung auf breite politische Unterstützung in einem Parlament der Linksparteien und Etatisten.
Die fiskalische Wende Deutschlands bedeutet für den Anleihenmarkt eine kleine Revolution. Massive Anleihenemissionen schieben bereits heute die Zinsen nach oben. Die Ankündigung des Schuldenprogramms ließ die Zinsen der zehnjährigen Staatsanleihen um 40 Basispunkte nach oben schnellen. Die Rückkehr der Bond Vigilanten kündigt sich an – jener Investoren, die kritisch auf die Kreditwürdigkeit hochverschuldeter Kreditnehmer blicken. Bislang galten deutsche Staatsanleihen als Inbegriff von Stabilität. Doch mit einer Staatsverschuldung, die von 63 % auf über 90 % des BIP steigen wird – sofern keine tiefere Rezession eintritt – dürfte sich das Bild dramatisch ändern und der Schuldendienst steigen.
Es war der Nachrichtendienst Bloomberg, der den Verdacht bestätigte: Die Deutschen waren bislang aufgrund ihrer eher konservativen Schuldenpolitik kein Kandidat für die Rolle eines Reserve-Assets – also eines Anbieters eines Produkts, das Banken und Investoren als Sicherheit zum Eintausch von Liquidität und Kredit nutzen können. Das Marktvolumen deutscher Anleihen war einfach zu gering. In Europa war dies ausgerechnet Italien vorbehalten, das mit 140 % Staatsverschuldung am BIP einen ziemlich großen Anleihenmarkt bietet. Nun aber, so Bloomberg, könnten deutsche Staatsanleihen eine Alternative zum global dominanten System der US-Staatsanleihen werden. Die Idee klingt verlockend: Ein liquider Markt mit Euro-denominierten Papieren, der Investoren eine Absicherung bietet, während die USA ihren eigenen fiskalischen und geldpolitischen Weg gehen.
Doch werden internationale Investoren tatsächlich deutsche Staatsanleihen als Kreditsicherheit akzeptieren? Das bleibt doch sehr zu bezweifeln, angesichts der wirtschaftlichen und fiskalischen Probleme der Eurozone. Die Dringlichkeit ist hoch, seit die amerikanische Notenbank Federal Reserve ihre Zinsen im Rekordtempo anhob und bis heute nicht bereit ist, den raschen Lockerungskurs ihrer europäischen, japanischen und chinesischen Gegenspieler mitzutragen. Investoren werden sich genau überlegen, ob sie angesichts der Ukraine-Krise, der Energieprobleme in Europa und der Zurückhaltung der EU, marktwirtschaftliche Reformen umzusetzen, diese neuen Sicherheiten aus Europa akzeptieren werden.
Die steigende Verschuldung Deutschlands ist kein isolierter Vorgang. Sie reiht sich ein in eine lange Geschichte europäischer Schuldenpolitik, die auf staatliche Eingriffe statt auf Reformen setzt. Die von US-Präsident Donald Trump eingeführten Zölle liefern der EU eine willkommene Ausrede, politische Macht weiter zu zentralisieren und in die Märkte einzugreifen. Die überdimensionierte Brüsseler Subventionsmaschine wird weiter hochtourig laufen, um der blutleeren EU-Ökonomie Beine zu machen. Aber Staatsinterventionen scheitern in aller Regel spektakulär, wie das Paradebeispiel des Lufttaxi-Startups Volocopter zeigt, das trotz 150 Millionen Euro Subventionen vom Bund und Bayern im Dezember 2024 Insolvenz anmeldete.
Weder der Markt noch Investoren folgen den ideologischen Ideen der Brüsseler Technokraten. Sämtliche geplanten Maßnahmen, Infrastrukturinvestitionen und das Stopfen der aufreißenden Löcher in den Sozialkassen (denn darum geht es in erster Linie) werden nicht hinreichen, Europas Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Europa verliert weiterhin Direktinvestitionen an die USA – allein 2023 wanderten netto rund 20 Milliarden Euro an Investitionskapital von Europa nach Nordamerika ab. Dort entstehen die Jobs der Zukunft im privaten Sektor in den Bereichen von KI, Robotik oder der wiederbelebten Industrie, während man in Europa auf staatliche Subventionen vertraut und glaubt, der Staat könne Kapital effizient steuern.
Ein Blick auf die Zahlen untermauert die Skepsis. Während die USA trotz hoher Verschuldung (über 120 % des BIP) von ihrer Rolle als Weltreservewährung und einer dynamischen Wirtschaft profitieren, kämpft die Eurozone mit Stagnation. Deutschland mag mit seinen neuen Schulden einen größeren Anleihenmarkt schaffen, doch fehlt es an Vertrauen. Für Investoren, die Sicherheit und Liquidität suchen, bleibt der Dollar attraktiver – nicht zuletzt wegen der geopolitischen Unsicherheiten in Europa.
Und so wird es kommen: Die deutschen Staatsanleihen werden den europäischen Schuldenberg höher auftürmen. Ohne tiefgreifende Sozialreformen und eine Rückkehr zu marktorientierter Politik drohen der EU erhebliche sozioökonomische Spannungen, da die Mittelschicht bereits heute fiskalisch über Gebühr zur Kasse gebeten wird. Die Dynamik ist nicht zu unterschätzen, die einsetzt, wenn Bürger merken, dass ihr Geld schneller an Kaufkraft verliert, als die EU externe Gründe und Schuldige dafür identifizieren kann. Die Bundesregierung hofft derweil, mit ihrem Schuldensprung eine gewichtigere Rolle im globalen Finanzsystem zu spielen. Doch die Realität ist ernüchternd: Ohne grundlegende Reformen wird Deutschland – und damit die Eurozone – ökonomisch weiter an Boden verlieren. Deutsche Staatsanleihen als Alternative zu US-Anleihen? Eine mutige These, die in der Praxis an Europas Schwächen scheitern dürfte.
Thomas Kolbe, studierter Volkswirt, arbeitet seit über 25 Jahren als freiberuflicher Autor sowie als Medienmacher für Kunden aus verschiedenen Branchen und Wirtschaftsverbänden. Als freier Publizist widmet er sich schwerpunktmäßig ökonomischen Prozessen und beobachtet geopolitische Ereignisse aus dem Blickwinkel der Kapitalmärkte.
Quelle für den Kapitalabfluss: Statista, „Direktinvestitionen (FDI) zwischen den USA und der EU“, veröffentlicht am 22. März 2024. Basierend auf FDI-Daten: 143,3 Milliarden USD Abfluss aus der EU in die USA, 121,1 Milliarden USD Zufluss aus den USA in die EU, netto ca. 20 Milliarden Euro (Wechselkurs 2023: 1 USD = 0,925 EUR).