Wie Deutschland und die EU Trumps Zeitenwende verschlafen

vor 5 Tagen

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Bildquelle: Tichys Einblick

Gleich, was in der Welt geschieht: Der Berliner Politikbetrieb verharrt im Status quo ante. Die Koalitionsverhandlungen von CDU/CSU und SPD zeigen: Man hat den Zollschuss aus Washington nicht verstanden, man kann oder will nicht sehen, dass wir am Beginn einer Zeitenwende stehen. Ein globales Ringen um produktives Kapital hat eingesetzt, die Epoche der Scheinökonomie, am Leben gehalten durch billigen Kredit und repressive Regulierung, neigt sich ihrem Ende.

Der Berliner Koalitionsvertrag atmet den Geist der achtziger Jahre, einer Zeit, in der sich ein aufstrebendes Land wie Deutschland seine Wohlfahrtsillusion noch leisten konnte. Es ist wieder billiger Kredit, etwa eine Billion neuer Staatsschulden, der in den kommenden vier Jahren die Koalition zusammenhalten und den schönen Schein aufrechterhalten soll.

Die Koalitionsverhandlungen boten uns das Panorama des gegenwärtigen Eurosozialismus. Strukturelle Reformen, ein Rückbau des Staatsapparats im Stil des Argentiniers Javier Milei oder Deregulierungen, um Wachstumskräfte zu entfesseln – Fehlanzeige. Man hat den Eindruck, der von den Medien zum Wirtschaftsfachmann stilisierte Beinahe-Kanzler Friedrich Merz (CDU) treibe die Abwicklung der Reste der deutschen Marktwirtschaft wissentlich voran. Man setzt zur Überwindung der Rezession auf künstliche Staatsnachfrage, nicht auf freie Marktwirtschaft.

Eine Flut von einer Billion Euro deutscher Staatsanleihen wird sich zu diesem Zweck in den kommenden Jahren über die Anleihenmärkte dieser Welt ergießen. Diese Schuldenlawine soll der deutschen Rezessionsökonomie Beine machen und auch der lahmenden EU-Wirtschaft neuen Schwung geben – ein Strohfeuer, das das wirtschaftspolitische Desaster der vergangenen Jahre übertünchen soll.

Zudem drängt der Staatsschuldenberg die Zentralbank, die Zinsen zu manipulieren, um die Staatsfinanzen nicht ihrem mathematisch eingeschriebenen Kollaps zu überlassen. Die Zentralbanker um Christine Lagarde werden auch weiterhin politischen Unfug liquide halten. Wir dürfen uns also über weitere Windräder in Wäldern und mit Solarflächen übersäte Felder freuen.

Mit seinem keynesianischen Schuldenmanöver provoziert Merz enorme Kollateralschäden. Der Staat absorbiert für seinen wachsenden Schuldendienst Kapital, das in der Privatwirtschaft dringend zur Produktion tatsächlich nachgefragter Waren benötigt wird. Es ist dieser naive Glaube an die heilende Allmacht staatlicher Intervention, der uns die fortdauernde Schuldenkrise und die Erosion sämtlicher sozialstaatlicher Backup-Systeme eingebrockt hat. Die Europäer verdoppeln nun ihren Einsatz auf dieser Reise ins ökonomische Niemandsland.

Donald Trump setzt derweil auf eine Doppelstrategie, um die US-Wirtschaft zu re-industrialisieren. Zölle üben Druck aus auf Unternehmen, in die USA zurückzukehren, während Steuersenkungen (Unternehmenssteuer auf 15 Prozent) und Investitionen in KI, Robotik und Raumfahrt eine moderne industrielle Basis schaffen. Doch diese Politik zielt im Kern auf ein tieferliegendes Problem: Sie stellt die sozio-ökonomische Dynamik der USA auf den Kopf. Jahrzehntelanges Outsourcen der Produktion hatte das Land ausgeblutet – 5 Millionen Industriearbeitsplätze gingen allein in den Jahren von 2000 bis 2015 verloren. Einst blühende Industriemetropolen wie Detroit verkümmerten, und die Fentanyl-Krise, mit über 80.000 Opfern jährlich, zeugt von sozialer Verzweiflung, die durch den Tod des ökonomischen Chancenraums in den USA entstand.

Eine industrielle Renaissance könnte der Befreiungsschlag für die geschundene amerikanische Seele sein. Innovation entsteht dort, wo Wertschöpfungsketten greifbar sind – in Werkshallen, nicht in Hedgefonds. Ein Ingenieur in Michigan, der an Robotik arbeitet, fühlt sich als Teil eines größeren Projekts, nicht als Zahnrad in einer globalen Maschine. Es geht um die Reconquista der amerikanischen Identität – etwas, das man im Europa der Globalisten scheut wie der Teufel das Weihwasser. Die USA basteln unter Hochdruck an ihren Standortbedingungen und werden so zum Magneten für Kapital, das in reale Projekte fließt. In Europa blickt man zynisch und spöttisch auf diese Politik, nicht ahnend, dass sie einen Wendepunkt der globalen Ökonomie und unseres Gesellschaftsverständnisses initiiert.

Der Wandel vollzieht sich in einem Land, dass sich seit den Obama-Jahren dem europäischen Modell einer interventionistischen Wohlfahrtsökonomie unterworfen hatte. Obama-Care und die außer Kontrolle geratene Fiskalsituation der USA sind Ausdruck dieser unamerikanischsten aller denkbaren Politikideologien, lässt man die reine Lehre des Sozialismus außen vor. Amerika hat sich nicht nur ideologisch, sondern auch materiell von Europa abgewandt. In Berlin und Brüssel kämpfen sie einen Kampf auf verlorenem Posten, ringen um billigen Kredit und verteidigen ihre Scheinwirtschaft, die aus Klimaideologie und Moralismus entstanden ist.

Europas Antwort auf Trumps Offensive ist wesenhaft defensiv: Zögerlich bietet die EU-Kommission Zollsenkungen an, das Lieferkettengesetz wird auf Eis gelegt (um dann später mit doppelter Wucht eingeführt zu werden?). Doch ist ein echter Reformwille nicht erkennbar. Die EU-Medien ridikülisieren Trump als „Wirtschaftszerstörer“, ohne die Bifurkation der globalen Ökonomie in ihrer Tiefe nachvollziehen zu können. Wer aber schon an der Diagnose scheitert, wird auch eine falsche Therapie wählen.

Über Donald Trumps politischer Agenda wehen die Stars and Stripes. Die Flagge ziert ein Wort wie eine Drohung: Unabhängigkeit! Das gilt im Besonderen für den Energiesektor. Im Kern jeder Ökonomie stehen Fragen der Energieerzeugung und ihrer Verfügbarkeit. Europa verfolgt als energiearmer Kontinent seit längerem eine Ausschlussstrategie: Mit dem CO2-Narrativ hat man den Versuch in die Welt getragen, energiereiche Standorte zum Verzicht auf Öl- und Gasnutzung zu drängen – ein level playing field war das Ziel der Europäer, die etwa 60 Prozent ihrs eigenen Energiebedarfs im Ausland decken müssen.

Europas Green Deal ist das politische Manifest dieser Bestrebungen. Es ist ein offen vorgetragener Angriff auf die Margen in der Industrie, bis diese letztlich kollabieren. Betriebsschließungen wie von Volkswagen angekündigt oder die Flucht ins außereuropäische Ausland wie im Falle von BASF sind mehr als Warnschüsse – die Wirtschaft wird systematisch in die Ecke gedrängt. Mit immer neuen Regulierungen, der Besteuerung von CO2 oder dem Verbot des Verbrennungsmotors treibt Brüssel europäische Industriebetriebe ins Ausland. Seit Beginn des Ukraine-Kriegs stiegen die Energiepreise in Deutschland um 80 Prozent. Energieintensive Unternehmen werden so ihrer Wettbewerbsvorteile beraubt, gleich wie innovativ und kreativ ihr Personal sein mag.

Gleichzeitig gehen die USA, größter Ölproduzent der Welt, in die Energieoffensive: Umstrittene Pipeline-Projekte wie Dakota Access, jahrelang von der Politik gemeinsam mit NGOs wie Greenpeace blockiert, werden nun im Eilverfahren genehmigt und realisiert. Auch die Nuklearkraft erlebt in den Staaten einen Boom, während man sich in Deutschland auf die Dunkelflauten der hoch subventionierten Erneuerbaren einstellt. Zukunft trifft auf ideologische Eiszeit. Der Sieger in diesem ungleichen Kampf steht schon fest.

Doch ist der Feind nicht Donald Trump. Seine Politik, seine Administration oder die häufig ungewöhnliche Art der Kommunikation dürfen nicht vom wahren Befund ablenken. Der Feind sitzt tief in der europäischen Seele, unsicher im Angesicht des heraufziehenden Sturms. Dieser Sturm bringt tiefreichende Veränderungen mit sich, das Ende des Globalismus und die Rückkehr zur Machtpolitik. Zu ihr zählen ein realistisches Verständnis von Ökonomie und die Wiederkehr meritokratischer Werte – zunächst muss eine Saat ausgebracht werden, bevor die Ernte eingefahren werden kann. Diese grundsätzliche Wahrheit haben viele Europäer über die Jahre ihrer Wohlfahrtsillusion vergessen.

Die Menschen spüren, dass sich große narrativische Brüche ankündigen: Das Ende der Illusion, der verlorene Kampf gegen die Gespenster des menschengemachten Klimawandels, Europa als geopolitische Supermacht – der Sturm, den Donald Trump ausgelöst hat, wird diese immunisierenden Pseudogewissheiten zu Grabe tragen. Der Wunsch, sich existentieller Sorgen zu entledigen, den Staat zu einer künstlichen Immunsphäre wuchern zu lassen, ist allzu europäisch. Dass dieses monströse Bürokratiegebilde auf den Zeitenwandel zunehmend repressiv reagiert und einen bizarren Kontrollfetisch entwickelt, man denke an den „Digital Services Act“, ist symptomatisch für die Abstiegstendenz, die täglich sichtbarer wird.

Thomas Kolbe, studierter Volkswirt, arbeitet seit über 25 Jahren als freiberuflicher Autor sowie als Medienmacher für Kunden aus verschiedenen Branchen und Wirtschaftsverbänden. Als freier Publizist widmet er sich schwerpunktmäßig ökonomischen Prozessen und beobachtet geopolitische Ereignisse aus dem Blickwinkel der Kapitalmärkte.

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