
Die Bundestagswahl ist gelaufen. Die Ergebnisse zeigen, wo Deutschland politisch zurzeit wirklich steht. Fakt ist: Ein echter Politikwechsel wird von der Brandmauer-Doktrin verhindert, der Wählerwille einfach ignoriert.
So kommentieren unsere NIUS-Autoren den Wahlausgang in unserem wochentags erscheinenden Newsletter:
Von Julian Reichelt
Noch ist unklar, welche Koalition Deutschland regieren wird. Noch unklarer ist, welche Politik das Land erwartet. Friedrich Merz hat mit einem schwachen Ergebnis die Wahl gewonnen, aber er selbst wird kaum daran glauben, dass eine gewaltige Wende für Deutschland möglich ist. Vieles ist unklar, aber einiges ist klar. Hier sind meine sechs Erkenntnisse des Wahlabends.
1. Christian Lindner hat seinen wichtigsten Satz, es sei besser nicht zu regieren als falsch zu regieren, erst vier Jahre zu früh und dann ein Jahr zu spät gesagt. Ob die FDP das überlebt, ist mehr als zweifelhaft.
2. Die CDU hat zweimal hintereinander den gleichen Fehler gemacht: Markus Söder wäre der bessere Kandidat gewesen. Er hätte deutlich über 30 Prozent geholt. Der Doppelfehler der Union zeigt, wie sehr besonders die CDU einer untergehenden Polit-Logik verfallen ist, die sich vom Land vollends entkoppelt hat.
3. Friedrich Merz erschreckt sich vor nichts heftiger und häufiger als vor Friedrich Merz. Nach dem Terror von Aschaffenburg machte er erst alles richtig und trieb dann die zurückgewonnenen Wähler in die totale Verwirrung, indem er jede weitere Zusammenarbeit mit der AfD ausschloss.
Olaf Scholz führte die Sozialdemokraten weit unter die 20-Prozent-Marke.
4. Wer für die Wiedervereinigung dankbar ist, sollte akzeptieren, wie die Menschen im Osten, die ihre Freiheit erkämpft haben, wählen. Die AfD ist die Volkspartei des Ostens. Es ist zynisch und historisch zum Scheitern verurteilt, die Ossis hinter eine Mauer stecken zu wollen.
5. Olaf Scholz ist der gescheitertste Politiker in der Geschichte der Bundesrepublik.
6. Robert Habeck hat ein katastrophales Ergebnis geholt. Man stelle sich vor, wo die Grüne Partei erst stünde, wenn wir ihre Ideologie nicht mit zehn Milliarden Euro Zwangsgebühren für ARD und ZDF und Milliarden von Euro für linke NGOs, Ideologieschleudern und Entwicklungsprojekte subventionieren müssten. Die gefährliche Wirkmacht der Grünen, inklusive viele ihrer Wähler, bezahlen wir mit Abgaben, gegen die wir uns nicht wehren können
Von Björn Harms
Die Ergebnisse der Bundestagswahl beweisen eines: Das Land ist tief gespalten, egal wie häufig die Politik beteuert: „Wir lassen uns nicht spalten.“ Der noch immer gravierende Ost-West-Unterschied beweist das Gegenteil.
In allen östlichen Bundesländern steht die AfD mit Abstand auf Platz 1, zum Teil mit Ergebnissen von über 35 Prozent. Im Westen hingegen bleibt die Union das Maß aller Dinge, mitunter spielen auch noch SPD und Linkspartei eine gewichtige Rolle.
Dazu gesellt sich ein dramatischer Unterschied in den Altersgruppen. Die Hälfte der Wähler zwischen 18- und 24 Jahren entschied sich für die AfD (21 Prozent) oder die Linkspartei (25 Prozent). Die Mehrheit der Rentner hingegen setzt auf die Union (39 Prozent) oder die SPD (25 Prozent).
Junge Wähler entschieden sich vor allem für die AfD und die Linkspartei.
Besser Situierte wählen vor allem die Union (31 Prozent). Menschen, die ihre finanzielle Lage als schlecht einschätzen, präferieren die AfD (39 Prozent). Und es kommen viele weitere Unterschiede hinzu, etwa beim Vergleich zwischen Stadt und Land sowie dem Geschlecht. Die Bundesrepublik ist längst nicht mehr in der Hand von zwei alles dominierenden Volksparteien, sondern beginnt parteipolitisch aufzusplittern.
Von Alexander Kissler
Deutschland hat gewählt, doch welche Regierung daraus folgen wird, steht in den Sternen. Friedrich Merz, der Wahlsieger mit blauen Schrammen, hat Recht, wenn er sagt, nun stünde eine schwierige Regierungsbildung bevor.
Mit ihrem historisch zweitschlechtesten Ergebnis erhebt die Union den Anspruch auf die Kanzlerschaft. Mit ihrem schlechtesten Resultat sieht die SPD sich auf die Rolle als (unverzichtbare) Mehrheitsbeschafferin reduziert.
Die womöglich langwierigen Gespräche sind einerseits Ausdruck der unseligen Brandmauer-Theologie.
Die CDU will die bürgerlich-konservativen-rechten Mehrheiten im Parlament nicht nutzen, weil sie in der AfD einen Angriff erblickt auf Westbindung, Nato-Mitgliedschaft und EU. Und weil Friedrich Merz von Parallelen mit 1933 fabuliert. Hinzu kommt aber: Dieses Land namens Bundesrepublik Deutschland ist sich nicht einig, was es sein will. Wieviel Patriotismus ist gestattet, ohne sich den Vorwurf des Nationalismus zuzuziehen? Die Regierungsbildung ist kompliziert, weil die Deutschen eine komplizierte Nation sind.
Von Julius Böhm
Die FDP ist raus. Keine Überraschung, wenn man bedenkt, welcher Politik die „Liberalen“ in der Ampel-Regierung zur Mehrheit verholfen haben.
Die Bundestagswahl 2025 watscht die Partei jedoch nicht nur in Gänze ab, die Auswertung der Wählerwanderung beweist, dass die Wähler der FDP – anders als der links-liberale Flügel rund um Johannes Vogel, Konstantin Kuhle, Franziska Brandmann und Marie-Agnes Strack-Zimmermann es behauptet – gar keine links-liberale Politik mit offenen Grenzen, unendlich Geschlechtern und Verfolgung der Meinungsfreiheit wollen.
Die Wähler der FDP sind in Scharen zur Union (1,33 Millionen) und zur AfD (750.000) abgehauen, nur 190.000 hat es zu den Grünen, 100.000 zu den Linken und 80.000 zur SPD gezogen.
Die allermeisten FDP-Wähler hatten also gar keine Sehnsucht nach mehr grünen und linken Eingebungen der sogenannten „Freien Demokraten“, sie wollen ganz offenbar einfach nur freiheitsliebende Politik mit gesundem Menschenverstand.
Christian Lindner hat mit dem Ausscheiden aus dem Bundestag seinen Rückzug verkündet. Die Partei hat nun einige Zeit, sich in der außerparlamentarischen Opposition neu aufzustellen und zu überlegen, ob sie liberal oder links-liberal sein will.
Von Ralf Schuler
Die Bundestagswahl hat vor allem eines gezeigt: Die viel beschworene „politische Mitte“ liegt nicht dort, wo die etablierte Politik sie gern hätte. Wenn zwanzig Prozent der Wähler ihre Stimme der AfD geben, dann ist die AfD nicht mehr der Rand, sondern hat – ausweislich der Wählerwanderungen – von SPD, Union und FDP massiv Stimmen abgezogen. Oder anders gesagt: Die neue Mitte ist rechts.
Rechnet man die Stimmen von Linkspartei und BSW zusammen, so ist dieses Lager der zweite große Gewinner dieser Wahl, wobei auch hier die klare, betonlinke Botschaft deutlich erfolgreicher angekommen ist als das moderate Bündnis Sahra Wagenknecht.
Linken-Chefs Ines Schwerdtner und Jan van Aken (außen) feiern am Sonntagabend ihre Spitzenkandidatin Heidi Reichinnek (mitte)
Die Deutschen wollen Wechsel. Der Union trauen sie diesen nicht zu.