Deutschland mit dem Rücken zur Wand

vor etwa 4 Stunden

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Bildquelle: Tichys Einblick

Luxus kann sich erlauben, wer Werte schafft und sparsam lebt. Sollte diese allgemein gültige Weisheit auch auf Staaten anwendbar sein, müsste Deutschland ein Klosterleben führen. Das Land verzehrt seit Jahren die Substanz der erfolgreichen Nachkriegsgenerationen. Und seine politische Führung zeigt keinerlei Ambitionen, diesen Befund auch nur in Erwägung zu ziehen.

Dass sich die neue Bundesregierung ihren Weg in die gerade eroberten Ministerien und die kafkaeske deutsche Bürokratie mit dem Schmiermittel eines Billionen Euro schweren Schuldenprogramms ebnet, passt in die Erzählung vom reichen Land, das sich seine sozialpolitischen Eskapismen auch im Krisenjahr 2025 ohne Bedenken erlauben kann. Sollte es der Regierung gelingen, das geplante Schuldenpaket zur Welt zu bringen, käme Bundeskanzler Friedrich Merz die zweifelhafte Ehre zuteil, das Land in das Mittelfeld des europäischen Schuldenrankings zu katapultieren – von derzeit 64 auf dann 95 Prozent Staatsverschuldung gemessen am Bruttoinlandsprodukt.

Wäre nicht am Ende jeder politischen Schuldenparty der Steuerzahler der Dumme, könnte man über die Merz’sche Volte – vom „Wirtschaftsfachmann“ zum Schuldenkönig – beinahe lachen. In Berliner „Expertenkreisen“ wird das Billionenprogramm ein sich selbst tragendes Konjunkturfeuer entfachen, die Industrie vom Zauber des deutschen Wirtschaftsstandorts begeistern und Millionen neuer Jobs schaffen, die in der Folge die Steuereinnahmen sprudeln lassen. Vor allem der Militärsektor lässt bereits die Korken knallen – und wir alle sind ja treue Konsumenten des vielfältigen Güterangebots, das uns die Waffen- und Munitionskammern der Rüstungsindustrie täglich bereitstellen …

Aber wir wollen nicht zynisch sein. Selbstverständlich soll auch die verrottete Infrastruktur nicht zu kurz kommen. Der Geldsegen wird sich über dem Land abregnen und nicht gedeckten Kredit in Wohlstand verwandeln. Es bricht eine neue Zeit blühender Landschaften an! Selbstverständlich wird auch der Sozialsektor vom Füllhorn der Berliner Zentralplaner profitieren. Der letzte boomende „Wirtschaftssektor“ der Bundesrepublik ist ein gefräßiger Kostgänger und erwartet vom neuen Finanzminister nichts weniger als einen starken sozialdemokratischen Willen, sein Wachstum zu verstetigen. Und Klingbeil wird liefern, darauf kann man setzen.

Doch leider verweigert die ökonomische Realität politischen „Think Tanks“ und Referenten-Arbeitsgruppen stur und uneinsichtig die Gefolgschaft. Ein Drittel des Bruttoinlandsprodukts beansprucht die heilige Kuh des Deutschen für sich. Der Sozialstaat absorbiert etwa 1,2 Billionen Euro im Jahr – ein Schwamm, der immer wieder trocken läuft. Seit den 1980er Jahren, ich weiß, es war eine Zeit bitterer Armut und sozialer Kälte in Deutschland, stieg die Sozialleistungsquote von 25 auf 30,3 Prozent. Diese Differenz entspricht einem Budgetwachstum von 215 Milliarden Euro, gemessen am heutigen BIP, für das Sozialstaatsingenieure aller Parteien verantwortlich zeichnen. Dass in diesem Kontext der Hinweis auf die ungebremste Armutsmigration das gesellschaftliche Aus bedeutet, kann nachvollziehen, wer auch nur einen flüchtigen Blick in die Presselandschaft Deutschlands wirft.

Diese Zahlen könnten entmutigend wirken, stellt man sich der Realität und setzt sie ins Verhältnis zur allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung im Land. Diese hat sich nach einer Reihe bemerkenswerter politischer Fehlleistungen wie dem Ausstieg aus der Atomkraft, dem Stopp des russischen Gasimports oder dem hartnäckigen Kampf gegen das industrielle Fundament des Landes wie der Automobil- oder Chemieindustrie, vom allgemeinen Trend ringsum entkoppelt. Deutschland hat sich, nun im dritten Jahr einer robusten Rezession gefangen, selbst vom bescheidenen, gleichermaßen durch Staatsschulden finanzierten Pseudowachstum seiner EU-Nachbarn freigemacht und geht nun eigene Wege.

Wenn Friedrich Merz nun von einer „Agenda 2030“ spricht (eine schwache Reminiszenz an Gerhard Schröders Agenda 2010) und ein jährliches Wachstum von zwei Prozent ausruft, handelt es sich hierbei um routinierte Sprachspiele. Ein mediales Pingpong zwischen Politik und ihren kompatiblen Medien, die keinen offenen Diskurs mehr zulassen. Der Raum des Sagbaren wird eingegrenzt – intellektuell befruchtende Kritik, die Hinweise auf mögliche Auswege aus der wirtschaftlichen Misere weist, kann so nicht gedeihen. Es herrscht ein Vakuum jenseits der politischen Phraseologie. Zaghafte Kritik aus der Wirtschaft am Kurs der Republik wird auf fest eingetretenen Diskurspfaden zerstreut und verliert sich im trüben Nebel grün-etatistischer Arroganz und Weltabgewandtheit. Deutschlands Abstieg entrollt sich lautlos – wie eine Verwesung unter dem Teppich.

Fabrikschließungen wie sie Volkswagen angekündigt hat, Pauperisierung und Rentnerarmut, Bildungsdebakel und Migrationskrise – das ganze Drama eines sichtbaren Niedergangs findet seine tagtägliche Fortsetzung in einer nicht endenden Reihe von Kapiteln des Schweigens. Es wird kein Edward Gibbon kommen, der ein deutsches Epos zum Aufstieg und Fall Deutschlands verfasst. Die deutsche Krise verklingt ungehört, weil auch die Eliten aus Wirtschaft und Kultur nicht bereit sind, sichtbar aus dem Schatten des Schweigens zu treten.

Donald Trump spielt in diesem Schauspiel die Rolle eines Katalysators – ungehobelt, unberechenbar, aber äußerst wirkungsvoll. Während Deutschland weiter an ideologischen Dogmen festhält, bringt Trumps geopolitischer Vorschlaghammer Bewegung in eine bereits angezählte Weltordnung. Der ausgelöste Wellenschlag trifft nun auf einen brüchigen deutschen Deich.

Deregulierung? Rückzug des Staats? Steuersenkungen? In deutschen Ohren klingen diese Worte wie Märchen aus Tausendundeiner Nacht! Der grüne Limes der zentralgesteuerten Transformation hält Stand, noch immer steht das über Jahrzehnte errichtete Bollwerk der deutschen Wirtschaft im Sturm der anbrandenden Wirklichkeit. Doch es ziehen dunkle Wolken auf im Reich der Moralisten und Weltenretter: Als Folge der jahrelangen Realitätsabkehr wächst die Gefahr einer ökonomischen Krise, die das Potenzial birgt, brüchiges Design wie das Eurosystem zu zerschlagen. Die wenigsten sind auf den Moment vorbereitet, in dem diffuse Ahnung in Gewissheit umschlägt und sich die chronische Überschuldung der Europäer in eine Vertrauenskrise am Anleihenmarkt übersetzt. Für Strukturreformen und eine Rettung des deutschen Sozialstaatsmodells ist es dann zu spät, wenn seine Zeit nicht bereits jetzt schon abgelaufen ist.

Thomas Kolbe, studierter Volkswirt, arbeitet seit über 25 Jahren als freiberuflicher Autor sowie als Medienmacher für Kunden aus verschiedenen Branchen und Wirtschaftsverbänden. Als freier Publizist widmet er sich schwerpunktmäßig ökonomischen Prozessen und beobachtet geopolitische Ereignisse aus dem Blickwinkel der Kapitalmärkte.

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