Deutschland will regelmäßig Afghanen abschieben

vor etwa 4 Stunden

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Bildquelle: Tichys Einblick

Großer Aufruhr in der Presse um die 81 Straftäter und Gefährder, die Freitagmorgen mit einem Qatar Airways-Charterflug von Leipzig nach Kabul flogen. Nach langen Verhandlungen zwischen Deutschland und Afghanistan stellt dieses Grüppchen den Startschuss für regelmäßige Abschiebungen dar. Offiziell bestreitet Kanzler Merz vorerst die Anerkennung des Taliban-Regimes.

Die Geheimverhandlungen für die Aufnahme der Abschiebungen verlief kompliziert. Der deutsche Botschafter für Afghanistan, Rolf Dieter Reinhard, residiert nach Schließung der Vertretung in Katar. Von Doha aus trifft er sich aber regelmäßig, wie zuletzt vor einigen Tagen, mit den Vertretern des afghanischen Außenministeriums in Kabul.

Knackpunkt ist die offizielle Anerkennung des Taliban-Regimes, die die deutsche Regierung vorerst bestreitet. Am Freitag gab Bundeskanzler Merz auf seiner Sommer-Pressekonferenz an: „Eine diplomatische Anerkennung des Taliban Regimes steht überhaupt nicht zur Debatte.“

Doch im Hintergrund wurden Gespräche auf verschiedenen Ebenen geführt, bei der es um die Aufforderung des Außenministeriums des Islamischen Emirats Afghanistan geht, die „Abschiebungen im Rahmen der normalen konsularischen Beziehungen und auf der Grundlage einer bilateralen Vereinbarung zu regeln“.

Der Sprecher Abdul Qahar Balkhi sagte, dass das Ministerium „die Entscheidung überwacht“ und man hofft, die Angelegenheit auf diplomatischem Wege regeln können, „um die Rechte der Bürger so zu schützen, dass afghanische Staatsangehörige nicht unter dem einen oder anderen Vorwand einem unbekannten Schicksal ausgesetzt werden“.

Um dies zu garantieren etablierte unter anderem der deutsche Bundesnachrichtendienst Kontakte zum afghanischen Geheimdienst und zu den Sicherheitsorganen vor Ort. Denn insgesamt geht es zunächst um rund 10.000 Ausreisepflichtige, von denen 2.000 für eine dringende Abschiebung vorgesehen sind. In einem Land, in dem nach Einschätzung der UN rund 70 Prozent der Einwohner von Armut betroffen sind, sicher keine geringe Zahl.

Abdulmutalib Haqqani, Sprecher des Ministeriums für Flüchtlinge und Wiedereinbürgerung des Islamischen Emirats, sagte: „Wir akzeptieren unsere Bürger, die von Deutschland abgewiesen werden, aber sie müssen freiwillig kommen und nicht gezwungen werden. Darüberhinaus muss die deutsche Regierung ihre Wiederansiedlung in Afghanistan finanziell unterstützen, so dass sie permanent bleiben können.“

Abgeschoben werden zunächst verurteilte Straftäter, aber auch Terrorverdächtige, die islamistische Anschläge in Europa geplant haben. Ursprünglich befanden sich auf der Liste des ersten Abschiebeflugs der Merz-Regierung sogar 100 Migranten, aber es gab Probleme 2/3 mit der Abgleichung des Fingerabdrucksystem oder der eindeutigen Identifizierung. Wie der Sprecher Abdul Qahar Balkhi erläuterte, konnte die konsularische Abteilung des afghanischen Außenministeriums lediglich 81 Papiere im Einklang mit den geltenden Rechtsnormen ausstellen. Zudem haben deutsche Organisationen teilweise Klage eingereicht.

Die Reaktionen der mittlerweile in Kabul Gelandeten, zu denen auch Minderjährige gehören, sind unterschiedlich. Einige gaben gegenüber der Presse an, dass sie froh sind aus Deutschland raus zu sein und gern in Afghanistan einen Neustart wagen wollen, andere von ihnen sagten, dass sie bald wieder versuchen werden, erneut nach Deutschland einzureisen.

Mit dem Flug mitgereist sind deutsche Polizeibeamte, die Akten zu Straftäter mit sich führen, die sie direkt den Behördenvertretern vor Ort übergeben. In Bezug auf diese Verfahren erklärte Abdulmutalib Haqqani, dass die „Entscheidungen im Einklang mit den Islamischen Sharia Gesetzen getroffen werden, nachdem die Dokumente verifiziert wurden.“ Mit der Verifizierung dürften die örtlichen Gerichte jedoch überlastet sein, denn die deutschen Deportationen zurückgewiesener Asylanten bilden derzeit den geringsten Teil eines internationalen Flüchtlingsstroms.

Seit dem Angriff Israels und der USA auf den Iran hat die Mullah-Regierung in den letzten vier Wochen bereits Hunderttausende Afghanen von den geschätzten sechs Millionen Flüchtlingen mit einem vierzehntägigen Ultimatum des Landes verwiesen. Gleiches gilt für eine Reihe anderer Länder wie Pakistan oder aktuell sogar Tadschikistan.

Das afghanische Ministerium für Flüchtlinge und Wiedereinbürgerung gab am Donnerstag gegenüber der Presse an, dass im Juni-Juli „entweder mit Zwang oder freiwillig“ 820.207 Afghanen aus dem Iran zurückgekehrt sind, 20.613 aus Pakistan und 659 aus der Türkei. 40.000 Flüchtlinge kommen pro Tag über die Grenzübergänge Islam Qala und Pul-e Abrisham. Dabei wurden zahlreiche Familien auseinandergerissen. Vor allem für allein reisende Frauen ist das extrem gefährlich, da ihr Alleinreisen in Afghanistan verboten ist.

Mit diesem extremen Flüchtlingsstrom ist das Taliban-Regime komplett überfordert, zumal Hilfsmittellieferungen nach Angaben der UNHCR nur unregelmäßig das Land erreichen. In dieser sich zuspitzenden Lage dürften auch die offiziell 1.000 Euro Handgeld, die jeder aus Deutschland Abgeschobene erhält, kein langfristiges Überleben sichern.

Der Betrag wurde festgelegt, um einem Stopp des Bundesverwaltungsgerichts vorzubeugen, das ein Abschiebeverbot vorsieht, wenn dem Rückgeführten in seiner Heimat die „sofortige Verelendung“ droht. Bei einem Gespräch mit einem der Abgeschobenen wird deutlich, dass dieser Betrag im Einzelfall allerdings auch deutlich größer gewesen sein dürfte.

In einem Wettlauf gegen die Zeit führt Deutschland unter der Hand Gespräche, bei denen es um die Kooperation der Länder in den Bereichen Erziehung, Gesundheit und wirtschaftliche Entwicklung geht. Nach Insiderinformationen sind bereits Gelder zugesagt worden, wenn 3/3 sich die afghanischen Regierungsvertreter gegenüber der Presse bedeckt halten. Denn man versucht den Spagat, die Anerkennung des Islamischen Emirats Afghanistan zu vermeiden.

Gegenüber Focus Online bestätigte der Taliban-Sprecher Suhail Shaheen: „Wir haben uns inoffiziell mit Vertretern der deutschen Regierung und den Vertretern vieler europäischer Länder getroffen. Diese Gespräche sind notwendig, und es gibt sie, auch wenn sie nicht offiziell sind. Es gibt auch einige deutsche NGO‘s, die in Afghanistan tätig sind. Es gibt Themen, die wir klären müssen, und das geschieht in diesen Kontakten.“

Währenddessen mutmaßt die Pakistanische Presse, dass deutsche Deportationen in wirtschaftlichen Schwierigkeiten begründet sind und die Regierung unter Druck steht, weil die extremrechte Partei AfD weiterhin an Wählern gewinnt. Auch in der arabisch-sprachigen Presse wird in der Berichterstattung eine Akzentverschiebung deutlich, wenn betont wird, dass Grenzkontrollen Asylsuchende abweisen und der Familiennachzug ausgesetzt ist. Zugleich blickt man sorgenvoll auf die aktuelle Konferenz mit Deutschland, Frankreich, Polen, Österreich, Dänemark und Tschechien, die weitere EU-Deportationen vorbereiten sollen.

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