
Was hatten die Christdemokraten nicht aus der Opposition heraus gegen die Schulden-Ampel mobilisiert. Die Schuldenbremse war streckenweise fast schon als heiliger Gral hochgehalten worden, die Ausgabenpolitik der Ampel wurde lächerlich gemacht und verurteilt. Noch im Dezember saß Friedrich Merz im Fernsehen bei Maischberger und erklärte: „Wir nehmen 1.000 Milliarden Euro Steuern ein pro Jahr – 1 Billion – und damit sollen wir nicht auskommen?“ Im Bundestag erklärte er, die Union sei „sehr zurückhaltend, wenn es um weitere Änderungen des Grundgesetzes geht“.
„Die #Schuldenbremse schützt das Geld und die Steuerzahlungen der jungen Generation. Sollen wir deren Geld heute schon ausgeben? Wir nehmen 1.000 Milliarden Euro Steuern ein pro Jahr – 1 Billion – und damit sollen wir nicht auskommen?“ ™ pic.twitter.com/Cg8Sk9H68J
— Friedrich Merz (@_FriedrichMerz) December 5, 2024
Offenbar gilt auch hier der alte Politikersatz: Was schert mich mein Geschwätz von gestern? Jetzt will die zukünftige Merz-Regierung die Verschuldung via „Sondervermögen“ drastisch erhöhen. 500 Milliarden, mal eben mehr als das Volumen eines Bundeshaushaltes, für „Infrastruktur“. Verteidigungsausgaben, die über ein Prozent des deutschen Bruttoinlandsproduktes hinausgehen, sollen zudem von der Schuldenbremse ausgenommen werden. Insgesamt könnte man wohl auf eine Billion neue Schulden kommen – nach oben offen.
Die 180-Grad-Wende, nachdem man die Verschuldungspolitik der Ampel in Bausch und Bogen verdammt hatte, war nicht nur peinlich für die Union: Sie bedeutet auch eine massive Eskalation der Verschuldungspolitik in historischem Ausmaß. Seit Beginn der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 ist die Verschuldung des Bundes bereits um rund die Hälfte gestiegen – von etwas über einer Billion auf circa 1,7 Billionen Ende 2024.
Die Pläne der zukünftigen Koalition würden diesen Rahmen nochmal sprengen: die zusätzlichen Milliarden – 500 Milliarden für „Infrastruktur“und entsprechende Schulden für Verteidigung – würden die Schuldenlast des Bundes erneut um mehr als die Hälfte steigern. Die Zinsausgaben würden dementsprechend um jährlich circa 18 Milliarden Euro auf über 50 Milliarden steigen. Bereits jetzt werden fast acht Prozent des Bundeshaushaltes für die Tilgung der Bundesschuld aufgewendet – 2024 waren 34,2 Milliarden Euro allein Zinszahlungen.
Die Diskussionen über Einsparungen im Haushalt werden bisher kaum geführt, zumindest nicht öffentlich. Dabei sind sie dringend erforderlich. Der Staat kann sich nicht zum wiederholten Male unter Verweis auf eine globale Notlage über alle Maße verschulden und gleichzeitig weiter Unsummen im Haushalt für sogenannte „Demokratieförderung“, absurde Entwicklungshilfen, unnötige Subventionen und Co. verprassen. Es wäre nicht nur symbolisch wichtig, für seriöse Politik auch im Haushalt Prioritäten zu setzen.
Dass man den Anspruch, Verteidigung aus dem regulären Bundesetat zu finanzieren, offenbar weitgehend aufgegeben hat – trotz Rekordvolumen der Staatseinnahmen – ist absurd. Genauso Infrastruktur – beides sind Kernaufgaben des Staates, die der Kernhaushalt erfüllen können muss. Fragt man Menschen, wofür sie Steuern zahlen, antworten sie instinktiv: Straßen, Schulen, Krankenhäuser. Genau das, wofür man jetzt meint, 500 Milliarden Schulden machen zu müssen. Das wirft doch die Frage auf: Was ist eigentlich mit unserem Steuergeld passiert?
Gegen genau diese hemmungslos eskalierte Verschuldungspolitik war die Union zu Felde gezogen – zurecht. Doch es war ganz offensichtlich alles nur ein Wahlkampfgag.
Hätte die Ampel so eine Haushaltspolitik gemacht, wäre sie von einem Friedrich Merz oder Unions-Finanzpolitikern in der Luft zerrissen worden. Jetzt plant die zukünftige Merz-Regierung es schwerwiegender, als die Ampel es je tat. Dann kann man sich auch ehrlich machen und die Schuldenbremse ganz abschaffen – falls das nicht ohnehin der Endpunkt der Schwarz-rot-grünen Gespräche ist.
Währenddessen wird die Frage nach dem Bedarf gar nicht diskutiert – stattdessen stellt man die Finanzplanung in dieser Sache von den Füßen auf den Kopf. Erst mal die Schulden machen, dann schauen wir mal, wofür überhaupt. Keine Sorge – das Geld wird die Politik sicher ausgeben können. Ob das dann am Ende sinnvoll und legitim war, steht auf einem anderen Blatt. Deshalb hat seriöse, konservative Haushaltspolitik immer die Frage nach dem „wofür“ vor das „wieviel“ gestellt. Diesen Grundsatz haben Merz und Söder mit einem Federstrich aufgegeben.
Währenddessen wird die Frage nach dem Bedarf gar nicht diskutiert – stattdessen stellt man die Finanzplanung in dieser Sache von den Füßen auf den Kopf. Wir machen einfach mal Schulden und gucken dann, wie wir sie ausgeben – Hauptsache, die Zahl ist am Ende schön hoch? Auch das hat mit seriöser Haushaltspolitik nichts zu tun.
Dabei verletzen die Pläne der Union unter Merz auch auf fatale Weise demokratische Gepflogenheiten. Dass der abgewählte Bundestag jetzt noch Verfassungsänderungen vornehmen soll, hat mehr als nur ein Geschmäckle – es ist de facto eine Absage der Politik an den Willen der Wähler, eine Missachtung des Souveräns. Jeder dritte Abgeordnete, der an der Abstimmung über Merz‘ Schulden-Pläne teilnehmen wird, ist abgewählt, verfügt über kein neues Mandat.
Trotzdem entscheiden Hunderte Abgewählte, die das Volk nicht mehr wollte, über eine Verfassungsänderung. Ja, wir haben neu gewählt – aber der alte Bundestag ändert noch schnell die Verfassung, weil der Politik das Wahlergebnis nicht passt. Das ist die demokratiefeindlichste Botschaft, die das politische Berlin senden könnte.
Und auch mit Blick auf neue Verteidigungs-Schulden gilt: Die Bundeswehr einfach mit Geld zu bewerfen, wird allein keine Lösung sein. Egal ob 100, 200 oder 500 Milliarden – bei den deutschen Streitkräften krankt es schon seit Jahren nicht primär am Budget. Für den schlechten Zustand der Streitkräfte sind die überwucherten bürokratischen Strukturen, insbesondere in der Beschaffung, maßgeblich verantwortlich. Vor allem hier muss eine Zeitenwende ansetzen – Verteidigungsminister Pistorius treibt das schon, wenn auch langsam, voran.
Eine einfache Sofortlösung für ein seit Jahrzehnten verwachsenes, strukturelles Problem gibt es aber nicht – egal, wie viel Geld investiert wird. Sie in die notorisch ineffizienten Strukturen einfach hineinzuschütten – nach dem Motto: viel hilft viel – ist keine verantwortungsvolle Politik. Gerade das Beschaffungsamt der Bundeswehr ist berüchtigt gut darin, horrende Summen in einem Dschungel aus Juristerei, deutschen und europäischen Regulierungen und Inkompetenz versanden zu lassen. Eigentlich müsste man die Bundeswehr-Beschaffung im Milei-Stil niederreißen und von Grund auf neu aufbauen – aber dazu fehlt Merz der Mut.
Und auch hier wird die Frage nach dem Bedarf nicht diskutiert. Was braucht die Bundeswehr wofür? In welche Waffen, welche Technologie wird sie investiert? Wäre ein Sonderbudget für die Drohnenkriegsführung oder die Flugabwehr nicht zielgenauer, als erst mal pauschal einen Haufen Geld auf das Militär zu werfen – und sollte man das nicht vielleicht vorher klären? Eine kopf- und ziellose Eskalation der Bundesverschuldung hilft auch der deutschen Verteidigung nicht.
All das ist ein Dammbruch ohne sinnvolle Folgen. Und viel schwerer als das Ende irgendeiner streitbaren Verfassungsgesetzgebung wiegt ein Bruch mit fundamentalen Prinzipien der fiskalischen, bürgerlichen Verantwortung, die gerade CDU und CSU einst hochhielten – lange vor der Schuldenbremse.
Die neuen Schulden sind gemütlich und angenehm für die Regierungsbildung und sie vermeiden schmerzhafte Kürzungen. Doch die Krise zieht immer weiter auf. Statt Lösungen und Reformen trinkt die neue Regierung das Land in einen letzten Rausch vor dem umso brachialeren Kater.