
Der Wahltag ist der Festtag der Demokratie. Und Deutschland hat gewählt, so sehr wie seit der Wiedervereinigung noch nie: Die Wahlbeteiligung von 82,5 Prozent ist Beleg für ein politisch bewegtes Land.
Aber wie so häufig im heutigen Deutschland ist nicht alles Gold, was glänzt: Die Bundestagswahl 2025 hat auch zwei Demokratie-theoretische Skandale gezeigt. Denn zum einen konnten bis zu 200.000 Auslandsdeutsche ihre Stimme nicht abgeben, weil ihre Briefwahlunterlagen nicht rechtzeitig angekommen waren. Darüber hinaus schlägt die Wahlrechtsreform der Ampel-Regierung voll zu: 23 Bundestagskandidaten, die ihren Wahlkreis teils mit großem Abstand gewonnen haben, werden nicht dem Deutschen Bundestag angehören.
BSW-Politiker Fabio De Masi
Rund 13.000 Stimmen fehlen dem Bündnis Sahra Wagenknecht, um die 5-Prozent-Hürde zu überspringen, so in den Bundestag einzuziehen und die Koalitions-Optionen für Wahlsieger Friedrich Merz extrem zu erschweren. Wenig im Vergleich zu den rund 200.000 Deutschen, die im Ausland leben und die sich für die Bundestagswahl eingetragen hatten, von denen jedoch viele nicht wählen konnten, weil ihre Briefwahlunterlagen nicht rechtzeitig angekommen waren. Wie viele es genau sind, ist unklar. „Es geht um Tausende, wenn nicht Zehntausende“, zitiert die Tagesschau den Verfassungsrechtler Ulrich Battis.
Auf NIUS-Nachfrage teilte die Bundeswahlleiterin mit, dass ihr zu der Zahl der Auslandsdeutschen, die nicht wählen konnten, keine Informationen vorlägen.
Wegen Tausender nicht abgegebener Stimmen von Auslandsdeutschen prüft das BSW nun auch, die Bundestagswahl anzufechten. Fabio De Masi, Europapolitiker der Wagenknecht-Partei, kündigte noch in der Wahlnacht bei X an: „Ich fürchte, diese Wahl wird noch Karlsruhe beschäftigen.“ Gemeint: das Bundesverfassungsgericht, das seinen Sitz in Karlsruhe hat. Der Bundestag entscheidet am Ende über eine mögliche Anfechtung der Wahl.
Nicht nur die offensichtliche Unfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland, allen Wählern rechtzeitig ihre Unterlagen zukommen zu lassen, sind ein Demokratie-Skandal, auch die Auswirkungen der Wahlrechtsreform der Ampel-Regierung sorgt für große Entrüstung.
Insgesamt 23 Wahlkreiskandidaten, die von der Mehrheit der Menschen vor Ort gewählt worden sind, werden nicht dem Deutschen Bundestag angehören. Besonders betroffen: 15 Mal die CDU, 4 Mal die AfD und 3 Mal die CSU. Auch die SPD hat ein Direktmandat in Bremen verloren.
Es ist exakt das eingetreten, was an der Wahlrechtsänderung kritisiert worden ist: beinahe ausschließlich die Opposition ist betroffen. Die Wähler vor Ort werden geschwächt, während die Macht in Parteizentralen wächst, weil entscheidend ist, wer für die Landeslisten nominiert wird und das ist davon abhängig, wie treu man der Führung einer Partei ist. Inhaltliche Ausreißer müssen um einen aussichtsreichen Listenplatz fürchten und sind nicht einmal sicher im Bundestag, wenn sie die Wähler in ihrem Wahlkreis überzeugen.
So regt sich Volker Ulrich im Netz auf.
Der CSU-Politiker Volker Ulrich etwa hat seinen Wahlkreis Augsburg-Stadt mit zehn Punkten Vorsprung gewonnen – und der schimpft bei X: „Den hart umkämpften Wahlkreis Augsburg habe ich mit 31,1 Prozent und über 10 Prozentpunkten Vorsprung gewonnen. Und dennoch nicht im Bundestag? Das neue Wahlrecht ist unfair und undemokratisch. Verloren haben vor allem meine Wähler und das Vertrauen in die Demokratie.“
Ulrich war in Augsburg gegen die Grünen-Politkerin Claudia Roth angetreten, die er zwar mit 10,5 Prozentpunkten hinter sich ließ, die jedoch – im Gegensatz zu ihm – über die bayerische Landesliste der Grünen in den neuen Deutschen Bundestag einziehen wird. Das und die Wahlrechtsreform nimmt er Roth offenbar übel: „Sie sind keine Demokratin diesbezüglich“, schimpft er in einem Video. Die Ampel habe den Wahlkreis so zugeschnitten, dass er trotz Sieg vor Ort nicht in den Bundestag einziehe. Als „Unverschämtheit“ bezeichnete Roth Ulrichs Vorwurf.
Auch CSU-Generalsekretär Martin Huber bezeichnete das neue Wahlrecht der Ampel als „demokratisches Unding“. Weiter sagte er: „Dieses undemokratische Ampel-Wahlrecht muss dringend reformiert werden.“
Auch bei der AfD dürfte der Ärger über das neue Wahlrecht groß sein: Die Direktkandidaten in Halle, Leipzig I, Rostock und Oberhavel-Havelland II ziehen trotz regionaler Mehrheit nicht in den Deutschen Bundestag ein.
Das Bundesverfassungsgericht hatte die Wahlrechtsreform im Sommer 2024 für verfassungskonform erklärt. Das Gericht entschied, dass die Kombination von Verhältniswahl und Wahlkreiswahl zwar möglich sei, jedoch im Grundgesetz nicht vorkomme und der Gesetzgeber daher die Freiheit habe, dies zu verändern. Die Kritik an der Wahlrechtsreform der Ampel reißt seitdem dennoch nicht ab – und wird nun noch einmal befeuert werden.
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