Die Brandmauer: Geschichte eines gescheiterten ideologischen Bollwerks

vor 3 Monaten

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Durch Deutschland weht der Wind politischer Veränderung: CDU und CSU stellen in dieser Woche mehrere Anträge und Gesetze für eine Wende in der Migrationspolitik im Deutschen Bundestag zur Debatte und wollen darüber auch abstimmen – und erstmals ungeachtet, ob eine Mehrheit nur mit Stimmen der AfD erreicht werden kann. Es ist der Anfang vom Ende der sogenannten „Brandmauer“, einem politischen Konstrukt, das vordergründig jegliche Form der Mitbestimmung der AfD verhindern soll, im Kern jedoch vor allem der Machterhaltung der politischen Linken in Deutschland dient.

Es dürfte ein Freudscher Versprecher gewesen sein, also das ungewollte Einräumen des wahren Gedanken, der dem neuen Grünen-Chef Felix Banaszak am Montag bei der Partei-Pressekonferenz der Grünen herausgerutscht ist. Denn mit seinem Satz, der die Pläne von CDU-Chef Friedrich Merz kritisieren sollte, erklärte Banaszak die eigentliche Aufgabe der „Brandmauer“: „Wir merken, dass es Schritt für Schritt immer weiter in die Normalisierung gleitet, die Stimmen der AfD zu nutzen, um gegen die Parteien links der Mitte Mehrheiten zu erringen.“

„Die Stimmen der AfD sollen genutzt werden, um gegen die Parteien links der Mitte Mehrheiten zu bilden“ bedeutet im Umkehrschluss: Ohne die Stimmen der AfD wird es niemals, jedenfalls in der jetzigen Zusammensetzung des Bundestages und aller Voraussicht auch nach der Bundestagswahl am 23. Februar, eine Mehrheit geben, bei der linke Parteien wie die Grünen oder die SPD nicht mindestens ein Wörtchen mitzureden hätten.

Die „Brandmauer“ war im Kern immer ein Erhaltungs-Instrument für linke Macht-Optionen unter dem Deckmantel der Verhinderung des „Vierten Reichs“ (um die in Teilen maßlosen Warnungen vor der AfD und ihrem angeblich Ansinnen, die liberale Demokratie abzuschaffen, mal spitz zu überzeichnen).

Dass mit der „Brandmauer“ im Deutschen Bundestag mehr als 10 Prozent – und nach der Wahl am 23. Februar wohl mehr als 20 Prozent und in Landesparlamenten teils mehr als 30 Prozent der Wählerstimmen – faktisch vom demokratischen Entscheidungsprozess ausgeschlossen werden, wird darüber hinaus in der Öffentlichkeit kaum problematisiert, sondern vielmehr zum Schutz der Demokratie verbrämt. Dabei ist die „Brandmauer“ eine rein politische Logik, kommt in keiner Verfassung, in keinem Gesetz vor.

Bemerkenswert im Zusammenhang der Schutz-Funktion für Macht-Optionen linker Parteien ist, dass die Union – also CDU und CSU – die „Brandmauer“ aus der Taufe gehoben haben. Wie alt besagtes politisches Konstrukt ist, ist nicht ganz einfach zu rekonstruieren. Fest steht jedoch, dass der ehemalige CSU-Politiker und Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer bereits 2014, kurz nach der Gründung der damals noch rein Euro-kritischen AfD und ihrem ersten Einzug in ein Landesparlament in Sachsen, von einer „Brandmauer“ sprach, um eine Zusammenarbeit mit der AfD auszuschließen. Ältere Erwähnungen des Wortes „Brandmauer“ im Zusammenhang mit der AfD ließen sich nicht finden.

Rechtsextreme marschierten in Chemnitz 2018 gemeinsam mit der AfD.

Richtig groß wurde die „Brandmauer“ erst 2018.

Nach der Tötung von Daniel H. am Rande des Chemnitzer Stadtfestes durch einen Iraker und einen Syrer gab es Demonstrationen der AfD in Chemnitz, an der sich auch rechtsextreme Gruppen beteiligt hatten. Die Debatten um angebliche „Hetzjagden“ kosteten den damaligen Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen gar seinen Job. Der Grünen-Politiker Cem Özdemir sagte damals: „Wir müssen eine Brandmauer in Richtung AfD errichten.“

Cem Özdemir brachte damals den Begriff „Brandmauer“ ins Spiel.

Die Debatte um die AfD und rassistische sowie teils rechtsextreme Positionen innerhalb der Partei, die sich nach der Flüchtlingskrise 2015 und 2016 von europakritischen Themen mehr und mehr auf das Thema Migration und Flüchtlinge fokussiert hatte, nahm an Fahrt auf.

Als erste und bisher einzige Partei hatte die CDU in der Folge so etwas wie eine „Brandmauer“ beschlossen – und zwar nach rechts und links. „Die CDU Deutschlands lehnt Koalitionen und ähnliche Formen der Zusammenarbeit sowohl mit der Linkspartei als auch mit der Alternative für Deutschland ab“, heißt es im sogenannten Unvereinbarkeitsbeschluss der Partei, der im Dezember 2018 beim Parteitag in Hamburg beschlossen worden ist.

Als erster offizieller Bruch der „Brandmauer“ ist die Wahl des Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich (FDP) im Februar 2020 diskutiert worden. Kemmerich wurde im dritten Wahlgang mit den Stimmen von CDU, FDP und AfD ins Amt gewählt, nachdem der bisherige Amtsinhaber Bodo Ramelow (Linke) in den beiden vorausgegangenen Wahlgängen keine absolute Mehrheit erreicht hatte. In Deutschland brach eine gigantische Debatte aus, die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel schaltete sich aus Südafrika ein, nannte die Wahl „unverzeihlich“ und forderte, das (demokratische) Ergebnis rückgängig zu machen.

Das Bundesverfassungsgericht entschied später, dass Merkel mit diesen Äußerungen gegen ihre Neutralitätspflicht als Kanzlerin verstoßen habe.

Sie verzieh den Bruch der Brandmauer so gar nicht: Susanne Hennig-Wellsow (Linke) wirft Thomas Kemmerich (FDP), dem neuen Thüringer Ministerpräsidenten, ihre Blumen vor die Füße und wendet sich ab.

Noch deutlicher wurde die Ablehnung gegen die AfD, noch härter der Mörtel der Brandmauer, als Anfang März 2021 die Gesamtpartei AfD durch das Bundesamt für Verfassungsschutz als „rechtsextremer Verdachtsfall“ eingestuft worden ist. Weitere solcher Einschätzungen zu AfD-Landesverbänden waren vorausgegangen oder folgten. Die Landesverbände in Thüringen, in Sachsen und Sachsen-Anhalt werden von den dortigen Landesverfassungsschutzbehörden als „gesichert rechtsextremistisch“ eingestuft.

Obwohl es sich dabei lediglich um die Einschätzung einer politisch weisungsgebundenen Behörde, nicht jedoch um einen Richterspruch handelt, werden diese Bewertungen seither wie ein Beipackzettel rund um die Partei geführt. Dabei ist die AfD nicht verboten, es gibt auch kein Verfahren, das ein solches Verbot anstrebt. Die Partei tritt bei demokratischen Wahlen als zugelassene Partei an und holte – trotz „Brandmauer“ und negativer Bewertung des Verfassungsschutzes und der politischen Gegner – immer bessere Wahlergebnisse.

Auch der heutige CDU-Chef Friedrich Merz hatte seine Ablehnung gegenüber der AfD immer wieder betont. Sein Ziel als CDU-Chef sei es, die AfD zu halbieren – tatsächlich haben sich die Zustimmungswerte seit der Bundestagswahl 2021 (und infolge der Bilanz der Ampel-Regierung) verdoppelt. Der Unmut in der Bevölkerung hat zugenommen, dass politische Probleme nicht pragmatisch gelöst werden. Die Unzufriedenheit in der Bevölkerung hat im selben Tempo zugenommen wie die Härte der Verunglimpfungen gegen die AfD und wie ihre Zustimmungswerte.

In der Tat duldet die AfD Politiker und Mitglieder unter sich, die mit rechtsextremen Äußerungen aufgefallen sind. Immer wieder wird über derlei Entgleisungen berichtet. Weiterhin fallen immer wieder AfD-Politiker mit Positionen auf, die eher Propaganda des Kreml zu beinhalten scheinen und als russlandfreundlich gelten.

Björn Höcke, AfD-Chef in Thüringen, gilt in der Öffentlichkeit als Inbegriff der Rechtsausleger innerhalb der Partei.

Die politische Realität mit zwei Jahren Rezession (und alles andere als rosigen Aussichten) und – allen voran – mit den negativen Folgen der Migration, die in Terror-Akten wie in Mannheim und Solingen, in Attentaten wie in Magdeburg und Aschaffenburg gipfelten, haben den öffentlichen Druck nun jedoch so weit erhöht, dass die Union dem „Brandmauer“-Dogma, an das sie selbst noch bis vor Wochen geglaubt hat (Stichwort: „Zufallsmehrheiten“) nicht mehr standhalten kann.

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Plötzlich soll pragmatische Realpolitik über der „Brandmauer“-Ideologie stehen. Plötzlich sind Mehrheiten auch unter Zurhilfenahme von AfD-Stimmen recht, wenn SPD und Grüne nicht mitmachen wollen. Entsprechend groß ist die Panik bei den Parteien, die nicht mitmachen wollen. Denn mit dem Wegfall der „Brandmauer“ fällt auch ihr Macht-Automatismus weg.

„Einigungsfähigkeit heißt aber nicht Kompromisslosigkeit, heißt nicht friss oder stirb, heißt nicht entweder stimmt mir zu oder ich stimme mit Rechtsradikalen. Das ist nicht Mitte, das ist Ideologie“, sagt Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck, nachdem er selbst Mehrheiten rechts der Mitte mit dem ideologischen Konstrukt „Brandmauer“ verhindert hatte. Bundeskanzler Olaf Scholz sagt, er sei „empört“, warnte, dass der nächste Schritt eine schwarz-blaue Koalition sein könne und Friedrich Merz Wortbruch beginge.

Olaf Scholz und Robert Habeck warnen in den schrillsten Tönen vor den Plänen der Union – weil sie um ihren Machthebel „Brandmauer“ fürchten?

In der Union steht man weiter hinter den Plänen, die eigenen Anträge und Gesetze für eine Migrationswende einzubringen – vollkommen egal, wer zustimmen könnte, vollkommen egal, ob eine Mehrheit nur mit der AfD möglich ist. Zwar wirbt Merz weiter für die Stimmen aus der sogenannten „demokratischen Mitte“, also von SPD und Grünen, die allerdings schon angekündigt haben, dass sie dagegen stimmen werden. Diese Stimmen braucht es aber nicht: Denn auch die FDP und das BSW wollen den Vorstößen der Union zustimmen. Zusammen mit der AfD wäre die absolute Mehrheit im Deutschen Bundestag erreicht.

Natürlich wollen CDU und CSU nicht einräumen, dass sie mit dem „Brandmauer“-Dogma, das sie selbst mit aufgebaut und über Jahre verteidigt haben, de facto brechen. Man würde die „Brandmauer“ natürlich weiter aufrechterhalten. Es gebe weiterhin keine Zusammenarbeit mit der AfD, schon gar keine Koalition. In die Präambel der Anträge für die Migrationswende wurden AfD-kritische Passagen integriert. Und es wird versucht, die Definition der „Brandmauer“ umzudeuten. Die längste Zeit umfasste das „Brandmauer“-Konstrukt auch, dass kein Gesetz oder Antrag NUR DURCH Stimmen der AfD zu einer Mehrheit gelangen darf.

Dazu sind CDU und CSU nun jedoch bereit: das zu tun, um aus ihrer Sicht „das Richtige“ zu tun.

CDU-Chef Friedrich Merz und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt zeigen sich fest entschlossen, über ihre Anträge und Gesetzesvorhaben abstimmen zu lassen, egal wer zustimmt.

Nun soll die „Brandmauer“ nur noch tatsächliche Absprachen und Koalitionen meinen, die man mit der AfD weiterhin nicht mache. Aber nicht das Beschließen von Gesetzen, die ohne AfD keine Mehrheit finden würden.

Die Wähler werde sich jedoch fragen: Wenn man für die „richtige“ Migrationspolitik mit der AfD zu Mehrheiten kommen kann, wieso sollte man das auch nicht bei Wirtschaftsfragen, bei der Abschaffung des Bürgergeldes, dem Wiederhochfahren der Atomkraft und zahlreichen anderen Themen machen, die die Union für „richtig“ hält, eine Zustimmung von SPD und Grünen aber ausgeschlossen scheint. Es wird nicht vermittelbar sein, in Zukunft nicht mehr „das Richtige“ aus ideologischen Gründen zu tun, wenn es bei der Migration möglich war.

„Das, was in der Sache richtig ist, wird nicht falsch, dadurch, dass die Falschen zustimmen“, sagte Merz – und weiter: „Wir werden uns weder von den Sozialdemokraten noch von den Grünen, ganz sicher auch nicht von der AfD sagen lassen, welche Anträge, welche Gesetzentwürfe wir im Deutschen Bundestag zur Abstimmung stellen.“

Damit gibt Merz zu, was seit Jahren, seit Anbeginn der „Brandmauer“ gelebte Praxis ist. Rot und Grün haben CDU und CSU zwar nicht vorgeschrieben, welche Anträge und Gesetze sie einbringen, aber welche Anträge und Gesetze Mehrheiten finden – mithilfe der „Brandmauer“.

Dass diese Logik, dieses politische Konzept für den Machterhalt linker Parteien in dieser Woche zum ersten Mal nicht greifen wird, markiert das Scheitern dieses ideologischen Bollwerks. Es ist der Anfang vom Ende der „Brandmauer“. Die Wahlergebnisse bei der Bundestagswahl und auch bei kommenden Wahlen werden den Einsturz der dann nur noch rhetorisch existenten „Brandmauer“ weiter beschleunigen. Somit besteht die Möglichkeit, dass ein Land, das seit Jahren – bei Landtagswahlen, bei der Europawahl und wohl auch am 23. Februar – die Parteien rechts der Mitte mit großer Mehrheit wählt, auch „Rechts-der-Mitte-Politik“ bekommt.

Mehr NIUS: Die große „Brandmauer“-Debatte: Was passiert, wenn Grüne und SPD nicht mehr mit der CDU koalieren wollen

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