Die Bundespolitik in der Depressionsspirale

vor 8 Tagen

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Gefallen sich die Deutschen in ihrer Depression? Im Stillstand, wie ein Wahlkampfmanager sagen würde? Seit der Bundestagswahl stelle ich mir diese Frage immer wieder. Und falls Sie jetzt höflich schmunzelnd den Finger heben und anmerken, allein diese Zeitbeschäftigung sei doch für eine junge Frau ein dröger Zeitvertreib, kann ich nur die Wimpern niederschlagend entgegnen, dass ich so jung nun auch nicht mehr bin – und zudem meine medizinische Ausbildung womöglich meine Neigung bestärkt hat, die Menschen außerhalb meines Freundes- und Familienkreises gelegentlich wie durch ein Terrarium zu beobachten, durchaus zugewandt, mitunter, doch stets mit Abstand, analytisch. Was hat er denn, der, der da so sitzt?

Was hat er denn, der Deutsche, der von allem so unberührt wirkt? Der sich gibt, als hielte er wie Atlas die Welt und doch nur aussieht wie ein Mann, der nackt im Schneesturm steht – zu festgefroren, um ins Warme zu fliehen.

Er hat den versprochenen Politikwechsel nicht bekommen und fragt sich nun beim zweiten Kaffee, ob dies womöglich ein Anlass wäre, wütend zu werden. Aber was ist schon Wut. Kommt das nicht aus Amerika? Es sieht so hässlich aus, wenn die Amerikaner wütend sind. Und wenn Alice Weidel über Windmühlen schimpft.

Sollte man besser traurig sein? Weltschmerz ist ein Wort, das die Deutschen erfunden haben. Sie finden es edel, weil es die eigene Sensibilität gegenüber der komplexen Weltlage demonstrieren soll. Ja, traurig darf man sein in Deutschland. Und wenn es Überhand nimmt, kann man vom Hausarzt ja ein paar Lächelpillen bekommen. Was wählt ein Trauriger? Wirklich die Veränderung?

In meiner Ausbildung im Krankenhaus habe ich einige klinisch Depressive gesehen, auch mit ihnen gesprochen. Was sie eint, ist ihr Starrsinn. Was man ihnen auch vorträgt, an tröstenden, aufpäppelnden Worten, an Handlungsoptionen und Perspektiven – es wird abgeschmettert. Es geht alles nicht, das dafür Notwendige könne nicht geleistet werden. Das vermeintliche Jammertal ist in Wahrheit eine Mauer, die von den Kranken selbst hochgehalten wird – mit einer Kraft, die sie beteuern nicht zu besitzen. Bei schweren Fällen helfen nur Elektroschocks.

Braucht Deutschland den Elektroschock? Nun, ich möchte den metaphorischen Bogen nicht überspannen. Die Ungeniertheit und die ungebrochene Kontinuität, mit der in Deutschland alles Kontroverse, Streitbare, eben Lebendige niedergedrückt wird, ist jedenfalls beängstigend. Regierungskritische Witzbildchen werden mit Haftstrafen geahndet. Schwarz-Rot schreibt sich den Kampf gegen die „Desinformation“ in den Koalitionsvertrag. Was so mancher CDU-Wähler wohl für Habecks persönliche Orwell-Perversion hielt, wird jetzt von der neuen Regierung komplett ohne sein Zutun weitergeführt.

Währenddessen wird jedes größere gesellschaftliche Problem – Migration, Wirtschaftskrise, Inflation – stets vertagt, aber nie gelöst. Wähler sein in diesen Tagen fühlt sich an wie eine ewige Feedbackrunde einer pädagogischen Lehrveranstaltung. „Ich sehe deinen Schmerz“ – Toll, und was machen Sie dagegen? – „Ich sehe, du bist ungeduldig“. Ein modernes Fegefeuer.

Zugegeben ist das alles nicht ganz ohne Komik. Die „bewusste Verbreitung falscher Tatsachenbehauptungen“ sei nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt, formulieren SPD und Union im Koalitionsvertrag. Klingt eigentlich wie eine Aussage eines unbeholfenen Juristen-Papas, der dem Sohnemann klarmachen will, dass er böse wird, wenn der Kleine ihm Lügengeschichten auftischt. Und vielleicht ist es langfristig für die Gesundheit der Seele am klügsten, über solche Dinge zu lachen. Heimlich im Privaten freilich oder mit dem Bademantel in Bereitschaft. Aber an manchen Tagen wünscht man sich dann doch lieber einen Politikwechsel als einen neuen Grund, eine Satire niederzuschreiben.

Gefällt sich der Deutsche in seiner Depression? Ich glaube, immer weniger. Unter der Decke der Ungerührtheit brodelt es, von links wie rechts. Allein Friedrich Merz und die Führungsriege der Union scheinen das nicht zu sehen. Sie sind die fleischgewordene Leistungsverweigerung, Getriebene ihres Umfelds – gelungene Politik ist für sie erfolgreiche Konfliktvermeidung. Deswegen halten sie wohl einen Koalitionsvertrag, der sich liest als wäre er der Feder eines Grünen entsprungen, auch für einen Sieg.

Auf den Wähler könnte das heilend abstoßend wirken. Und so könnte es am Ende vielleicht doch Friedrich Merz sein, der die Deutschen dazu verleitet, sich aus der selbstgewählten Apathie heraus zu kämpfen. Manchmal ist das beste Antidepressivum ein Blick in den Spiegel.

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