Die CDU/ CSU steht vor einer folgenschweren Grundsatzentscheidung

vor etwa 22 Stunden

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Bildquelle: Tichys Einblick

Es ist ein beispielloser Vorgang, der sich da am Freitag im Bundestag anbahnt. Gleichzeitig ist es ein Offenbarungseid für die Union unter Friedrich Merz. Die Wahl der SPD-nahen Juristin Frauke Brosius-Gersdorf zur Richterin am Bundesverfassungsgericht könnte zur Zerreißprobe für CDU und CSU werden. Nicht etwa, weil es um Kompetenz oder juristische Erfahrung geht, sondern weil es um die letzten winzig-kleinen Spurenreste konservativer Werte, dieser nach eigner Beurteilung christlichen Partei, die die Parteiführung nun offenbar bereit ist zu opfern. Noch drohen Abgeordnete der CDU/ CSU, die gemeinsame Front aus CDU/ CSU, SPD, Grünen und Linken verlassen zu wollen – der seltsame Anti-AfD-Block könnte damit zerbersten. Merz, der bei der Wahl zum Bundeskanzler zunächst durchgefallen ist, droht damit eine erneute Niederlage – danach könnte er kaum noch Kanzler bleiben. Gefahr droht jetzt auch von der katholischen Kirche, von der sich die CDU das C ausgeliehen hat.

So warnt der Leiters des Berliner Büros der katholischen Kirche, Prälat Karl Jüsten,  vor der Wahl der Juristin. Zwar macht der oberste Interessenvertreter in Berlin klar, dass alle Abgeordneten in ihrer Wahl frei seien, erklärt aber auf BILD-Anfrage: Brosius-Gersdorfs Positionierung zur Abtreibung berge „die Gefahr einer weiteren Polarisierung der Gesellschaft, die die Regierungskoalition von CDU/CSU und SPD verhindern sollte“.

„Wenn ein nach Entwicklungsstufe und Lebensfähigkeit des Menschen abgestuftes Lebensschutz-Konzept vertreten und die Menschenwürde des ungeborenen Lebens infrage gestellt wird, bedeutet dies einen verfassungsrechtlichen Paradigmenwechsel.“ Jüsten warnt vor schwerwiegenden Konsequenzen der Wahl. Dies könne „Auswirkungen auf die Schutzwürdigkeit menschlichen Lebens in verschiedenen Lebenssituationen haben“. Das bedeutet: Würde sich eine solche Sichtweise in Karlsruhe durchsetzen, wären das Leben alter und kranker Menschen an ihrem Lebensende nicht mehr unantastbar. So nicht nur Jüstens Sorge. Die Tür wäre geöffnet zu einer allgemeinen Eugenik, die über lebenswertes und lebensunwertes Leben entscheidet. Am Beginn des Lebens, bei Krankheit, am Ende der Lebensspanne und letztlich auch darüber, ob andere Gruppen den Schutz der allgemeinen Menschenrechte und unantastbaren Würde genießen, wie es bislang in Artikel 1 Grundgesetz noch klar formuliert ist. Wer entscheidet künftig darüber, welche Kranke weiter behandelt werden oder ob aus Kostengründen abgeschaltet wird?

Brosius-Gersdorf hat in einem Fachaufsatz erklärt, die Menschenwürde beginne erst mit der Geburt. Genau hat sie das nicht definiert. Beginnt das, wenn der Kopf ganz oder halb zu sehen ist, oder muss der Säugling ganz den Mutterleib verlassen haben, oder beginnt die Menschwerdung erst mit der Durchtrennen der Nabelschnur? Das was sie sagte, lässt in jedem Fall jedem mit christlich-abendländischem Werte-Verständnis das Blut in den Adern gefrieren. 1993 urteilte das Bundesverfassungsgericht noch, dass auch ungeborenes Leben Menschenwürde besitzt. Doch nun soll ausgerechnet eine Frau Verfassungsrichterin werden, die genau diese Grundlage angreift. Und das mit Unterstützung ausgerechnet jener Partei, die das “C“ für christlich im Namen trägt.

Nach tagelangen Schweigen und nur zwei Wortmeldungen von den deutschen Diözesanbischöfen Voderholzer und Oster haben sich am Donnerstag am späten Nachmittag zwei weitere deutsche Diözesanbischöfe (Woelki und Dieser) zu Wort gemeldet und Kritik an der geplanten Ernennung von linksradikalen Höchstrichterin mit Unterstützung von CDU/CSU geübt. „Die Menschenwürde darf nicht zur Diskussion gestellt werden“, schreibt Rainer Maria Kardinal Woelki in einer Aussendung.

Der Wortlaut von Kardinal Woelki auf kath.net: „Die Unantastbarkeit der Menschenwürde, die Artikel 1 des Grundge-setzes festschreibt, muss ohne Einschränkungen für alle Menschen zu jedem Zeitpunkt ihres Lebens gelten – von der Empfängnis an bis zum natürlichen Lebensende. Es geht hier nämlich um ein Menschenrecht, sogar um das Grundrecht eines jeden Menschen. Würde dieses grundlegende Menschenrecht nicht mehr anerkannt, wäre es nur folgerichtig, dass auch die übrigen Menschenrechte außer Kraft träten. Keine menschliche Gesellschaft, auch nicht der Staat, kann darauf verzichten, das Lebensrecht des Menschen, und zwar eines jeden Menschen, anzuerkennen und zu schützen, sei er jung oder alt, geboren oder ungeboren, behindert oder nicht behindert. Wo der Staat das Lebensrecht als Grundrecht des Menschen nicht mehr schützt, sondern es der privaten Verfügung überlässt, hat er sich selbst als Rechtsstaat aufgegeben“.

Die Wahl ist kein Zufall. Sie ist Teil eines ideologischen Großprojekts. Der Umcodierung des Grundgesetzes, Stück für Stück, durch eine stillschweigende Allianz von Linken, Grünen, SPD und der machtverliebten inzwischen auch linken Union. Wer das Verfassungsgericht kontrolliert, kann die politischen Spielräume ganzer Generationen verschieben. Brosius-Gersdorf ist nicht nur eine Professorin. Sie ist die Speerspitze eines neuen ideologischen Zeitgeists: postchristlich, postkonservativ, postmoralisch.

Die Union hat die Möglichkeit diese Wahl zu verhindern. Sie könnte sagen, Nein, bis hierhin und nicht weiter.Stattdessen erleben wir das genaue Gegenteil. Jens Spahn ruft zur Gehorsamssitzung um 8 Uhr morgens, Friedrich Merz verweigert sich der Diskussion, erklärt aber öffentlich, er habe „kein Problem“ mit der Kandidatin. Das nennt man keinen Gewissensentscheid, sondern eine Kapitulation vor dem linken Meinungskartell.

Jene 50 bis 60 Abgeordneten, die erklären, diesmal offenbar ihrem Gewissen folgen zu wollen, droht die Fraktionsführung mit einer „Staatskrise“, sollten sie nicht zustimmen. In welchem politischen System leben wir eigentlich, wenn ein freier Abgeordneter unter Androhung einer Systemkrise zum Kreuzchen genötigt wird? Die Gefahr besteht, dass diejenigen, die die Backen aufgeblasen haben, schnell verstummen wenn der Verlust des Mandats droht – wie bei der Aufgabe der Schuldenbremse bereits geübt und vorgeführt.

Friedrich Merz war angetreten, um das Ruder herumzureißen, um der Union ihr konservatives Rückgrat zurückzugeben. Heute sieht es so aus, als sei er nicht der Gegenentwurf zu Angela Merkel, sondern ihr Erbe. Der vollständige Bruch mit den einstigen Grundsätzen Familie, Leben, Verantwortung, Gewissen. Wer sich fragt, warum die AfD in Umfragen wächst, warum die CDU an Rückhalt in der eigenen Basis verliert, warum in ländlichen Regionen der Parteiapparat bröckelt? Hier könnte er die Antwort finden. Eine Partei, die den Lebensschutz aufgibt, weil sie Angst vor einer Koalitionskrise hat, ist keine Volkspartei mehr. Sie ist ein Verwaltungsorgan des Zeitgeists.

Wenn Brosius-Gersdorf am Freitag mit den Stimmen der Union gewählt wird, dann wird es nicht nur ein juristischer Skandal sein. Es wird ein politischer Dammbruch mit Ansage sein. Die CDU/CSU-Fraktion hätte dieses eine Mal tatsächlich ein Zeichen setzen können. Viel Rückgrat hätte das nicht erfordert. Aber sie wird vermutlich zeigen, dass sie bereit ist, auch noch den Rest auf dem Altar der Macht zu opfern.

In Michail Bulgakovs “Der Meister und Margarita” sagt Jesus in einem fiktiven Gespräch zu Pontius Pilatus: Die Feigheit ist die allergrößte Sünde”.

Aber seit Freud wissen wir auch, dass Sünde und Lust untrennbar verbunden sind. Ob die CDU/ CSU Abgeordneten morgen mit Lust sündigen werden?

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