
Die Bahn kommt. Das tut sie, aber keineswegs immer und oft zu einer abweichenden Zeit. Weltbekannt ist die Deutsche Bahn AG nur noch für ihre Unzuverlässigkeit. Insofern ist das Staatsunternehmen ehrlich. Es zeigt, wie es um die Leistungsfähigkeit des Staates bestellt ist.
Die aktuelle Folge „Kissler Kompakt“ finden Sie hier:
Wer mit der Bahn fährt, gibt sich keinen Illusionen mehr über den Standort Deutschland hin. Er muss zufrieden sein, irgendwie und irgendwann irgendwo anzukommen. Die Einheimischen haben sich daran gewöhnt. Der allgemeine Eindruck aber ist verheerend. Die Bahn schadet dem Ansehen Deutschlands – und zwar seit Jahren.
Ich will ehrlich sein: Manchmal klappt es doch. Als ich am Wochenende mit dem ICE fuhr, hatte ich nur wenige Minuten Verspätung. Tränen der Dankbarkeit rannen mir über das Gesicht. Auf der Hinfahrt war das Bordbistro geöffnet, auf der Rückfahrt gab es immerhin ein „eingeschränktes Speisenangebot“. Das war mehr, als ich erwartete.
Ein geöffnetes Bordrestaurant im ICE ist keinesfalls selbstverständlich.
Die Pünktlichkeit der ICE- und Intercity-Züge lag im März bei lediglich 65,6 Prozent. Als pünktlich gelten auch Verspätungen von bis zu fünf Minuten. Eine Spanne, die in Japan zur öffentlichen Beschämung führen würde.
Die neue deutsche Pseudo-Pünktlichkeit von 65,6 Prozent lag zwei Punkte niedriger als im Vorjahreszeitraum. Als mildernde Gründe werden angegeben: Zwischen Celle und Uelzen fiel ein Baum auf die Oberleitung. Am Mainzer Hauptbahnhof sorgte ein Vogel für einen Kurzschluss. Die Deutsche Bahn kennt mehr Ausreden als Auswege.
Nun soll alles besser werden. Union und SPD versprechen einen neuen Bahnvorstand – Ende der Dienstreise, Herr Lutz! Außerdem heißt es im Koalitionsvertrag: „Wir werden mit Investitionen in die Infrastruktur dafür sorgen, dass die Bahn wieder pünktlich fährt.“ Eher gibt es eine Arbeitslosenquote von null als eine pünktliche, eine grundsätzlich verspätungsfreie Bahn.
Bahnvorstand Richard Lutz: Seine Tage an der Spitze der DB scheinen gezählt.
Woran liegt es? Die Gründe sind bekannt. An ihnen hat sich unter Kanzler Scholz nichts geändert. Die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft beklagt marode Trassen, veraltete Technik, einen Fachkräftemangel und generell zu wenig Mitarbeiter. Das stimmt. Doch mir als steuerzahlendem Bahnnutzer sind die Gründe egal.
Ich möchte einfach, dass die Leistung, für die ich doppelt bezahle, mit der Fahrkarte und mit meinen Steuern, erbracht wird. Ich möchte in einem sauberen Zug in der angegebenen Zeit mein Ziel sicher erreichen. Da gibt es Nachholbedarf: bei der Sauberkeit, der Pünktlichkeit, der Sicherheit.
Die Bahn versagt in ihrem Kerngeschäft, weil sie sich von ihrem Kerngeschäft verabschiedet hat. Bahnchef Richard Lutz spricht es in vollendetem Denglisch aus: Der „zentrale Purpose“, also der Hauptzweck des Unternehmens, sei die Nachhaltigkeit.
Lutz wörtlich: „Mit der Starken Schiene haben wir Nachhaltigkeit als zentralen Purpose in unserer Konzernstrategie verankert. Mit der grünen Transformation und unserer sozialen Verantwortung verfolgen wir dabei einen ganzheitlichen Ansatz, der die gesamte Deutsche Bahn umfasst.“
Ein Staatsunternehmen singt das ideologische Lied des Staates, dem es gehört. Deshalb auch erstrahlt das Bahn-Logo in den Farben der Regenbogen-Community. So einfach ist das. Das Nachhaltigkeitsprogramm Starke Schiene führt dazu, dass die Bahn sich wie eine Glaubensgemeinschaft präsentiert – oder ist es eine Sekte? Sehen Sie selbst:
Ein Mädchen wird für die Klimaängste der Elterngeneration instrumentalisiert. Ein „Wir“ wird aufgerufen, um ein gemeinsames Anliegen herzustellen. Im Namen des Klimaschutzes wird Panik geschürt. Moraldarsteller symbolisieren eine bunte Gesellschaft. Alle Zutaten für eine Weltanschauungsgemeinschaft sind versammelt.
Die Bahn ist aber nicht dazu da, die Weichen im Kopf der anderen neu zu stellen. Sie sollte sich darauf beschränken, die Weichen im Schienenverkehr richtig zu stellen – und auf keinen Fall sollte sie ihr Versagen im Kerngeschäft durch moralische Nebengeschäfte überkompensieren.
Wer keine Prioritäten setzt, scheitert. Die Deutsche Bahn setzt die falschen Prioritäten.