
Viele Erfolge kann die FDP in drei Jahren Ampel nun wirklich nicht vorweisen. Doch einer ist fraglos der, einem Aufweichen der Schuldenbremse widerstanden zu haben. Dies war der Anlass, den Kanzler Olaf Scholz (SPD) genommen hat, um die Partei um ihren Vorsitzenden, den damaligen Finanzminister, Christian Lindner rauszuwerfen. Friedrich Merz und die CDU haben Wahlkampf damit gemacht, für die Schuldenbremse einzustehen – um sie noch vor der Konstituierung des 21. Bundestags aufzugeben. Der schnellste Wahlbetrug in der Geschichte der Bundesrepublik.
Für die FDP müsste das eine Erfrischungskur sein. Eigentlich. Doch die Partei kann davon nicht profitieren. In den Umfragen bleibt sie stabil unterhalb der entscheidenden fünf Prozent. Die Gründe dafür sind nicht schwer zu finden: Aktuell frustrieren CDU und CSU ihre Wähler mit der Behauptung, in einer Koalition mit der SPD die schlimmsten Auswüchse grün-linker Politik zu verhindern – und mit der Tatsache, in Wirklichkeit diese grün-linke Politik überhaupt erst zu ermöglichen. Dazu ist die FDP keine glaubwürdige Alternative. Genau mit der gleichen Kombination haben Christian Lindner und Marco Buschmann die FDP in genau die Bodenlage geführt, in der sich die FDP derzeit befindet. Liberale und konservative Wähler suchen keine Partei, die grün-linke Auswüchse begrenzt – sie suchen eine Partei, die grün-linke Auswüchse beendet und zurückbaut.
Die FDP hat noch keinen personellen Neu-Anfang gemacht. Formell ist Christian Lindner immer noch im Amt – auch wenn er Anfragen von Journalisten abblockt mit dem Hinweis, nun eine „Privatperson“ zu sein. Ein Neu-Anfang ist auch nicht in Sicht. Denn alles deutet darauf hin, dass die Partei im Mai den bisherigen Fraktionsvorsitzenden Christian Dürr zum neuen Bundesvorsitzenden wählt. Lindner hat in der Ampel das Richtige analysiert und versprochen, aber das Falsche getan. Dürr war der, der ihm ermöglicht hat, das Falsche umzusetzen.
2013 ist die FDP schon einmal aus dem Bundestag geflogen. Doch ziemlich bald gab es ein Comeback. Das lag zum einen an der Personalsituation. Anders als Dürr bedeutete Lindner seinerzeit tatsächlich einen neuen Anfang. Unter Guido Westerwelle war er zuvor Generalsekretär geworden, gab das Amt dann aber unter und wegen des sich anbahnenden neuen Vorsitzenden Philipp Rösler ab. Als der – erwartungsgemäß – die FDP aus dem Bundestag heraus gemisswirtschaftet hatte, musste sich Lindner daher nicht mehr zu Rösler abgrenzen.
Zum anderen gab es damals noch Leben in der Partei. Schon vor der Niederlage von 2013 hatte sich auf Facebook die Gruppe „FDP Liberté“ gegründet. Rund um den Binger PR-Experten Hasso Mansfeld und den Mainzer Neue-Medien-Star Tobias Huch. Sie verpassten der Partei nach dem Rauswurf aus dem Bundestag eine neue Optik – mit einem Design in Magenta-Farben – und sorgten so ein wenig für Optimismus. Vor allem drängten sie aber darauf, dass die FDP neben den Wirtschaftsthemen auch wieder das Feld der Bürgerrechte verstärkt bespielte.
Eine wichtige Voraussetzung für den Wiederaufstieg: In der Asylpolitik Angela Merkels von 2015 und den folgenden Jahren sowie während der Pandemie schaffte es Lindner, rund zehn Prozent der Wähler davon zu überzeugen, dass seine Partei die seriöse Alternative zu der in den Ländern regierenden Allparteienkoalition aus Union, SPD, Grünen und Linke sei. Dass er dieses Versprechen in der Ampel nicht einlösen konnte, ist ausreichend dokumentiert.
Doch das Nicht-Einhalten des Versprechens erklärt, warum nach diesem Rauswurf sich eben keine Gruppe wie „FDP Liberté“ gründet. Dieses Mal nimmt es einfach keiner mehr der Partei ab, wenn sie sagt, das nächste Mal nehmen wir Bürgerrechte aber ernst. Wirklich. Nicht einmal in der FDP glaubt derzeit ernsthaft jemand daran, mit Bürgerrechten wieder glaubhaft werden zu können. Vor allem mit seinem „Selbstbestimmungsgesetz“ hat Marco Buschmann dieses Thema für die FDP für absehbare Zeit verbrannt. Kein liberaler Wähler nimmt einer Partei ab, eine liberale Alternative zu sein, wenn deren Justizminister das Aussprechen der Wahrheit unter staatliche Verfolgung gestellt hat.
Eine Gruppe namens „Liberale Mitte“ versucht zwar mit liberal-konservativen Themen wieder zu punkten, fordert unter anderem eine härtere Migrationspolitik und einen offeneren Umgang mit der AfD. Doch der Gruppe fehlt es an namhaften oder charismatischen Personen, die sie vertritt. Ihr Positionspapier fand durchaus Widerklang in den Medien – ohne dass ein einziges Mitglied namentlich erwähnt worden wäre. Und die „Liberale Mitte“ fordert halt im Prinzip das, was Lindner während der Ampel auch gefordert – aber nicht umgesetzt – hat.
Der rheinland-pfälzische Landesverband hat im November seinen Vorsitzenden Volker Wissing verloren. Weil der Verkehrsminister nach dem Ende der Ampel im Amt bleiben wollte, hat er die Partei verlassen. Anfang April hat die Partei seine bisherige Stellvertreterin Daniela Schmitt zur Nachfolgerin gewählt. Nach Wissings Wechsel nach Berlin folgte sie ihm schon ins Amt des rheinland-pfälzischen Wirtschaftsministers – und sorgte dort für einen Doppelskandal: Sie nahm ihren Mann, einen Unternehmer, auf staatliche Wirtschaftsreisen mit. Außerdem erhielt sein Unternehmen einen günstigen Kredit von einer Staatsbank, in dessen Verwaltungsrat Schmitt den stellvertretenden Vorsitz innehat.
Für Schmitt bestand der Skandal nicht im Kredit oder in der Mitreise ihres Mannes. Sondern darin, dass Medien darüber berichteten. Für die Wirtschaftsministerin war das Auswuchs einer innerparteilichen Opposition gegen sie. Der Parteitag strafte Schmitt zwar mit einem schlechten Ergebnis von 67,5 Prozent ab. Allerdings wagte es keiner aus der vermeintlichen innerparteilichen Opposition, gegen sie anzutreten. Ganz viel mosern, aber im entscheidenden Moment keinen Hintern in der Hose. Die FDP ist auf Landesebene so lau und morsch wie auf Bundesebene.
Eine skandalgeschwächte Ministerin. Eine blasse Spitzenkandidatin. Obendrein – nach eigenen Angaben – geschwächt durch innerparteiliche Opposition. So will die FDP in Rheinland-Pfalz das Comeback von zwei Prozent in den Umfragen auf fünf Prozent in der Wahl schaffen. Ähnlich desolat sieht es in Sachsen-Anhalt aus. Dort sieht Insa die Partei seit Juni vergangenen Jahres konstant bei 4 Prozent. Im Osten Deutschlands hat die FDP eigentlich nie Fuß gefasst. Ausnahmen waren immer begründbar. Etwa in Sachsen-Anhalt 2021, als es Lindner gelang, die FDP einem ausreichend großen Anteil an liberal-konservativen Wählern seine Partei als seriöse Alternative zur Allparteienkoalition zu verkaufen. In den Wahlen des vergangenen Septembers rutschte die FDP im Osten sogar teilweise unter die Grenze von einem Prozent – unterhalb der keine Parteienfinanzierung mehr ausgezahlt wird.
Wer nach Sympathien urteilt, mag das vielleicht nicht für ein schlimmes Szenario halten. Doch für eine Partei bedeutet es eine Katastrophe: Rechtsanwälte und Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes bilden das Rückgrat einer Partei. Sie können in der Entstehung woke-linken Identitätsquatsch abfangen und politische Initiativen darauf abklopfen, ob sie tatsächlich umsetzbar sind und einen vernünftigen ordnungspolitischen Rahmen bedeuten. Oder ob es der spinnerte Quatsch ambitionierter Geisteswissenschaftler ist. Wie eine Partei verlottert und in die Bedeutungslosigkeit abrutscht, wenn sie zu lange ohne solche Mitglieder auskommen muss, zeigt sich zum Beispiel an der SPD in Bayern.
Auf Länderebene wächst der FDP kein Personal nach. Daniela Schmitt kennt der Autor dieser Zeilen nur, weil er selbst eine rheinland-pfälzische Vergangenheit hat. Für das Personal aus Sachsen-Anhalt müsste er nachschlagen – hält das aber für Zeitverschwendung. Wären sie gut, würde er sie kennen. So bleiben der FDP in der öffentlichen Wahrnehmung künftig nur ihre Veteranen, denen es vor allem darum gehen wird, ihr eigenes Scheitern schönzureden.
Vom aktiven Personal her, das im Fernsehen und im Internet zu sehen sein wird, wird die FDP auf zwei Darsteller reduziert. Zum einen ist das Dürr. Zum anderen Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Eine liberale Politikerin, die Bürger anpöbelt und Bürger anzeigt, wenn diese sie angepöbelt haben. Eine liberale Politikerin, die nicht nur an der Abschaffung der Gleichheit vor dem Gesetz mitgewirkt hat. Sondern auch noch eine liberale Politikerin, die diese Sonderrechte für sich genüsslich ausschöpft. Eine liberale Politikerin, die wie eine Feudalfürstin handelt, spricht und auftritt. Ein Grund, warum ihre Partei derzeit am Boden liegen bleibt – und nach näherem Anschauen auch genau dorthin gehört.