Die Finnlandisierung der Ukraine

vor etwa 3 Stunden

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Bildquelle: Tichys Einblick

Kaum hatte Russland im Februar 2022 die Ukraine überfallen, da sagte Ungarns Ministerpräsident voraus, wie und wann dieser Krieg enden werde. Dann nämlich, wenn die USA und Russland direkt miteinander verhandelten. Er wurde dafür von den Guten und Mächtigen der EU-Politik, und vom ukrainischen Präsidenten Volodimir Selensky selbst, angegriffen als wäre er ein Verräter. Niemals! Nur die Ukraine könne über ihr Schicksal entscheiden! Zwischen den Zeilen bedeutete das: „Der Westen” wird und muss Russland besiegen, der Krieg ist eine historische Chance, Moskau strategisch niederzuringen und nebenbei China eine Lektion zu erteilen: Seht, das passiert, wenn man uns herausfordert.

Am Montag saßen nun die Spitzen derselben Länder, und teilweise dieselben Politiker, in Washington am Verhandlungstisch mit Präsident Donald Trump und bedankten sich unterwürfig dafür, dass er das getan hatte, was Orbán immer wünschte und voraussagte: Er hatte die Hand in Richtung Moskau ausgestreckt und Präsident Wladimir Putin in die USA eingeladen, um über ein Ende des Krieges zu sprechen. Erst danach hatte er auch Selensky zum Gespräch einbestellt, und der hatte dann mit den „Europäern” gesprochen und vereinbart, dass auch sie bitte kommen sollten: Die „Koalition der Willigen” der einstigen europäischen Großmächte Deutschland, England, Frankreich und Italien. Ach, und den finnischen Präsidenten Alexander Stubb.

Der wurde nachher von fast niemandem in den europäischen Medien zitiert, obwohl er das Einzige gesagt hatte, was wirklich wichtig war: Finnland habe „nach 1944 eine Lösung gefunden” für das Problem, vor dem die Ukraine heute stehe, und könne daher mit gutem Rat dienen. Genauer formulierte er es in einem Gespräch mit dem Wall Street Journal: Finnland habe nach dem verlorenen Weltkrieg seine „Unabhängigkeit bewahrt, aber wir verloren die Souveränität, über unsere Zukunft zu entscheiden, und wir verloren Territorium”. Er übertrage das auf die Ukraine und komme zu dem Schluss, „dass etwas Vergleichbares mit der Ukraine passiert”.

Zwischen Viktor Orbán und Alexander Stubb (die einander politisch nicht sonderlich gewogen, aber beide realistisch sind) liegt die pragmatische, faktische Wahrheit übder die Lage der Ukraine und ihr wahrscheinliches Schicksal. Sie steht in krassem Gegensatz zu allem, was „die Europäer” seit 2022 wie eine Mantra herunterbeteten – Russland müsse sich zurückziehen, die Ukraine müsse gewinnen, darin werde man ihr beistehen bis – nun, „solange nötig”. Nichts von dem steht mehr.

Orbán verursachte auch einen Aufschrei der Gerechten in der EU, als er – als turnusmäßiger EU-Präsident – im vergangenen Jahr zu allen maßgeblichen Akteuren reiste, um ein gemeinsames Nachdenken über realistische Parameter für einen Waffenstillstand oder Frieden anzustoßen: Zu Selensky, Putin, zum chinsesischen Präsidenten Xi Jinping, zum türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Er berichtete dabei fortwährend an die EU-Spitzen und formulierte eine potentiell bahnbrechende Idee: Wenn die EU noch etwas gestalten wolle in der Geopolitik, dann müsse sie einen eigenen, europäischen Friedensplan für die Ukraine ausarbeiten. Er wurde dafür als Verräter bezeichnet.

Aber hätte man auf ihn gehört, dann wären die EU-Politiker jetzt nicht wie Schäfchen in der Herde dem Ruf Trumps nach Washington gefolgt, um zu vernehmen, was er und Putin entschieden hatten – sondern sie hätten selbst die Zukunft gestalten können.

Orbán und Stubb waren im Vorfeld die beiden Vermittler zwischen Trump, Putin und „den Europäern”. Stubb mehr als Orbán, was Kontakte mit „den Europäern” betrifft; er spielte einst Golf mit Trump, seither können sie miteinander, und Stubb ist als zentristischer, liberaler Christdemokrat die Verkörperung der politischen EU. Er wird, anders als Orbán, in Brüssel geschätzt, und so konnte er Brücken bauen, wie Orbán es nicht vermochte, obwohl er mit Trump vielleicht noch besser kann, aber in Brüssel hasst man ihn eben.

Orbán half mehr als Stubb, was Kontakte mit Putin betrifft. Im Vorfeld des Gipfeltreffens am Montag erwähnte Trump seine europäischen Gäste kollektiv, aber nur einen mit Namen: Viktor Orbán. Ihn habe er in einer „wichtigen Frage” konsultiert: „Kann die Ukraine den Krieg gewinnen?” Orbán, so sagte Trump, habe dabei ein Gesicht gemacht, als sei Trump ein wenig dumm: Natürlich könne die Ukraine den Krieg nicht gewinnen.

Das war Orbáns Analyse seit den ersten Wochen des Krieges, und noch etwas anderes: Die Zeit sei gegen die Ukraine. Deswegen sei ein rascher Waffenstillstand un Kiews Interesse. Denn je länger es dauert, desto mehr Menschen, Volksvermögen und Territorium werde die Ukraine verlieren. Wie wurde er dafür niedergemacht von den Granden der europäischen Politik! Und jetzt saßen sie alle am Montag da und sagten genau dasselbe: Ein Waffenstillstand müsse her, möglichst schnell. Es war, als säße Orbán mit am Tisch: Seine Analyse der Lage bereits seit 2022 war die Basis für alles Denken über eine mögliche Lösung. Auch Stubb’s Einsicht, die Ukraine werde ihre Souveränität verlieren, formulierte Orbán bereits 2023: Die Ukraine sei bereits jetzt kein souveräner Staat mehr, sie sei nicht in der Lage, selbstständig ihr Schicksal zu bestimmen. Deswegen könne sie auch kein Nato-Mitglied werden.

Noch jemand hatte einen entscheidenden Gedanken beigetragen: Die italienische Regierungschefin Giorgia Meloni. Sie erwähnte beim gemeinsamen Pressetermin mit Trump am Montag, dass das entscheidende neue Element beim Nachdenken über Sicherheitsgarantien für die Ukraine am Anfang „eine italienische Idee” gewesen sei: Eine Beistandspflicht für die Ukraine „wie Artikel 5 der Nato”, aber ohne einen Nato-Beitritt. Ein potentiell folgeenschwerer Schritt für jene, die dabei mitmachen wollen, wohl gerne Großbritannien, Frankreich und vielleicht Polen, nicht aber die USA.

Deutschland hat sich bereits prophylaktisch aus der Liga der Risikofreudigen verabschiedet: Ohne deutsche Truppen, ließ Außenminister Wadephuhl wissen.

Da stehen wir also nun: Alle jene, die Orbán’s Werben für einen Waffenstillstand vor zwei-drei Jahren verurteilten, wollen nun selbst einen Waffenstillstand. Jene, die Orbáns Worte über die verlorene Souveränität der Ukraine als Verrat und „Anbiederung an Putin” attackierten, sehen es nun ähnlich.

Orbáns Forderung nach einem europäischen Friedensplan lehnten sie ab, deswegen sind sie nun gezwungen, den USA hinterher zu laufen. Orbáns Diktum, die Ukraine könne nicht Nato-Mitglied werden, ist nun offizielle Position der USA und somit auch der „Europäer”.

Nächste Station: Die Ukraine dürfe auf keinen Fall EU-Mitglied werden, sagt Orbán. Die EU-Granden sind von dieser Aussage entsetzt. Schauen wir einmal, was sie in einem Jahr sagen werden.

Als Folge der europäischen Kurzsicht und Ohnmacht besteht nun die Gefahr, mit eigenen Truppen in den Krieg hineingezogen zu werden. Die EU redet seit Jahren von „Wehrhaftigkeit” und „strategischer Autonomie” von den USA. Brilliante Chance für Trump: Sollen die Europäer doch bezahlen, mit eigenem Geld amerikanische Waffen für die Ukraine kaufen, und mit eigenen Soldaten alles Risiko eingehen. Gewinner sind die USA und Russland, der Verlierer heisst Europa.

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