
188 Verhandlungstage über drei Jahre: Es war ein langer Prozess, doch jetzt ist Alaa Mousa, auch als „der syrische Folterarzt“ bekannt, vom Oberlandesgericht Frankfurt am Main schuldig gesprochen worden – wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit in zehn Fällen, Mord in einem Fall und Kriegsverbrechen gegen Personen in drei Fällen. Er wurde zu lebenslanger Haft verurteilt, und da das Gericht die besondere Schwere der Schuld feststellte und anschließende Sicherheitsverwahrung anordnete, wird sie auch wirklich lebenslang sein.
Hört man sich die Anklage der Bundesanwaltschaft an – sieben Stunden hielten die beiden Bundesanwältinnen vor dem Staatsschutzsenat ihr Schlussplädoyer –, ist es nicht übertrieben, Mousa als „Folterarzt“ zu beschreiben. Es ist keine haltlose, reißerische Bezeichnung, wie man sie aus fett gedruckten Schlagzeilen sonst kennt. Mousa stammt ursprünglich aus Homs in Syrien, studierte Medizin, arbeitete in einem Militärkrankenhaus in Homs, bevor er nach Damaskus wechselte und schließlich nach Deutschland kam. Seine Tätigkeit im Militärkrankenhaus Homs lässt sich jedoch kaum als „Arzt“ betiteln. Er war Teil einer Gruppe Ärzte, die man dort als die „Beseitigungsgruppe“ kannte.
Beseitigt wurden inhaftierte Oppositionelle gegen Assad und sein Regime. Schnell und sauber beseitigte Mousa jedoch nicht. Einem 14-jährigen Jungen in seiner Gefangenschaft soll er Alkohol über die Genitalien gegossen und sie daraufhin angezündet haben. Mehrere Häftlinge soll er mit einer ähnlichen Methode, etwa gezielt an Wunden, angezündet haben. Nachts soll er sie drangsaliert haben, indem er sie an der Decke hängte oder mit kaltem Wasser übergoss. Einen jungen Mann soll er an der Decke aufgehängt haben, sodass ihm beinahe das Rückgrat brach.
Bei Verhören sollen die Gefangenen mit Stromstößen und Schlägen gequält worden sein.
Einem Mann spritzte er eine tödliche Dosis Gift. Bevor er starb, trug Mousa ihm auf, er solle die Huren grüßen. Infolge solcher Misshandlungen sollen mindestens 70 Gefangene in diesem Gefängnis zu Tode gekommen sein, heißt es von der Bundesanwaltschaft. Der vorsitzende Richter schreibt Mousa in seiner Urteilsverkündung zu, er hätte seine „sadistischen Neigungen bei der Folter ausgelebt“. Dabei „genoss er vor allem, ihm minderwertig und unterlegen erscheinenden Menschen körperliche Schmerzen zu bereiten“.
Alaa Mousa galt „als Musterbeispiel für Integration“, wie es etwa die FAZ formulierte. Er hatte bereits in Syrien begonnen, Deutsch zu lernen, sein Traum war es, hierher zu kommen und sich ein neues Leben aufzubauen. Da er Arzt ist – beziehungsweise war – und Deutschland einen Ärztemangel hat, konnte er 2015 mit Visum per Flugzeug nach Deutschland reisen und sich diesen Traum für sich und seine Familie zumindest bis 2020 erfüllen. Mit seiner Frau und seinen zwei Kindern lebte er in Hessen und arbeitete lange als Orthopäde.
Seine Kollegen sollen ihn sehr geschätzt haben. Nun, bei dem, was man heute über ihn weiß, dürfte er sich mit Knochenbrüchen und ausgerenkten Gliedern noch sehr viel besser auskennen, als seine Kollegen es wohl jemals geahnt haben. Mousa ging in die Statistiken ein als Bereicherung für unser Land. Bis ihn zwei seiner Opfer, damals Gefangene in dem Militärkrankenhaus in Homs, wiedererkannten.
Sie schilderten die grauenvollen Misshandlungen, die sie selbst erlebt oder beobachtet hatten. Insgesamt über 50 Zeugen wurden im Prozess angehört, mehrere Sachverständige sagten aus, es wurden zahlreiche Urkunden und Fotos als Beweismittel eingereicht. Derartige Taten sind schwer nachzuweisen, insbesondere wenn das Geschehen Jahre her und hunderte Kilometer entfernt passiert ist. Mousa streitet noch immer alles ab. Er sieht sich als Opfer einer Verschwörung gegen ihn. Seine Verteidiger bezeichnen ihn als Opfer seiner Zeit.
Die Frage „Was geht uns eigentlich Straftaten in Syrien an?“ könnte in diesem Fall durchaus seine Berechtigung haben. Immerhin handelte dieser Prozess von Gewalttaten, die ein Syrer als Teil eines syrischen Regimes anderen Syrern in Syrien angetan hat – das ruft nicht gerade intuitiv die deutsche Justiz auf den Plan. Zuständig war das Frankfurter Oberlandesgericht auf Grundlage des Weltrechtsprinzips. Demnach können sämtliche Taten des Völkerstrafrechts auf der ganzen Welt verhandelt werden.
Es ist bereits der dritte Prozess dieser Art hierzulande. Deutschland machte bereits 2020 den Anfang, als vor dem Oberlandesgericht Koblenz dem Syrer Anwar R. der Prozess gemacht wurde – der weltweit erste Prozess wegen Staatsfolter in Syrien. Der ehemalige Vernehmungschef eines Gefängnisses des syrischen Geheimdienstes in Damaskus war für die Folter von mindestens 4.000 Menschen verantwortlich gewesen und wurde zu lebenslanger Haft verurteilt.
Ende Mai dieses Jahres nahmen nun BKA-Beamte den Syrer Fahad A. fest, der in der gleichen Einheit, der „Geheimdienstabteilung 251“, wie Anwar R. Häftlinge gefoltert haben soll. Er selbst und seine Familie streiten das ab. Vielmehr sehen sie ihn als einen Helden, der Häftlingen geholfen und Akten zur Aufklärung aus dem Gefängnis geschmuggelt haben soll. Für die Folter seien Spezialisten zuständig gewesen, dazu habe Fahad A. nicht gehört. Doch auch ihn belasten Zeugenaussagen schwer.
Doch es ist auch nur der dritte Prozess dieser Art in Deutschland. Wenn man bedenkt, wie viele Menschen täglich nach Deutschland kommen und schon in den letzten zehn Jahren nach Deutschland gekommen sind – ohne Überprüfung, ohne Pass oder mit falscher Identität –, ist es schwer vorstellbar, dass man die Kriegsverbrecher, die sich hier im Land aufhalten, an nur einer Hand abzählen können soll.
Dass sie überhaupt aufgeflogen sind, ist in allen Fällen nur Augenzeugen zu verdanken, die nicht nur das Glück hatten, die Folter zu überleben, sondern es bis nach Europa geschafft haben, nach Deutschland gereist, ihren Folterern hier zufällig über den Weg gelaufen sind und sich dann noch an die deutschen Behörden gewandt haben. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich viele Kriegsverbrecher hier unbemerkt ein neues Leben aufbauen können, ist damit wohl groß.
Wenn man aus einem Land, das von Krieg, Terror und Gewalt gezeichnet ist, einfach jeden in unser Land lässt, dann holt man sich auch Krieg, Terror und Gewalt ins Land. Warum sollten ausgerechnet nur die drei zu Hause bleiben, wo sie nichts mehr vorfinden als die Zerstörung, die sie angerichtet haben? Auch Terroristen wollen ein warmes Bett, auch Folterknechte wollen eine Krankenversicherung, auch Gewalttäter wollen ein warmes Essen auf dem Tisch.
Das ist das, was die „Open Borders“ und „Refugees Welcome“-Fraktion vergisst, ignoriert oder weglässt, wenn sie die Kritik an bedingungsloser Aufnahme und Asyl ohne Identitätsnachweis als schlichtweg menschenfeindlich abtut. Wir werben damit, ein sicherer Fluchtort zu sein. Doch wir haben weder die Kapazitäten, so viele Menschen würdevoll und für die Kommunen schaffbar aufzunehmen und unterzubringen, noch können wir diese vermeintliche Sicherheit noch garantieren.
Wem die deutschen Opfer egal oder statistisch noch zu wenig ausschlaggebend sind, der sollte sich wenigstens diesem immanenten Selbstwiderspruch, diesem fundamentalen Versagen der deutschen Flüchtlingspolitik stellen. Diese perverse, zynische Verdrehung von „Zuflucht“, die es bedeutet, in Kauf zu nehmen, politisch Verfolgte mit ihren Folterern in ein Flüchtlingsheim zu pferchen.
Unsere Sozialsysteme, Schulen, Sicherheitssysteme brechen zusammen, die Stimmung ist aufgeladen und gespalten. Und wem hat es nun genützt? Uns nicht. Den Flüchtlingen, um die es angeblich ging, auch nicht. Und bei den wenigen Erfolgsgeschichten von integrierten Fachkräften sind dann auch noch Kriegsverbrecher mitgerechnet. Nun muss man feststellen, dass man wirklich – also wirklich – absolut keine Ahnung hat, wen wir da in unser Land geholt haben. Mörder, Vergewaltiger und sogar Kriegsverbrecher.
Ausgerechnet Deutschland wird jetzt die Spitze der Aufklärung der syrischen Regimeverbrechen, weil die ganzen Mittäter hier sind. Und wir wissen nicht, wie viele weitere Kriegsverbrecher wir gerade noch wie Komplizen bei uns verstecken lassen, weil sie bei ihrer Beseitigung sorgfältig genug waren, keine Zeugen übrig zu lassen, die nach Deutschland reisen und sie identifizieren könnten.
Wer wirkliche Flüchtlinge schützen will, der braucht zwangsweise und bedingungslos Grenzkontrollen und Überprüfungen der Identitäten. Sonst lässt man Menschen, die in ihren Heimatländern verfolgt, gepeinigt und gefoltert worden sind, den langen Weg in die vermeintliche Sicherheit reisen, nur um hier die gleichen Gesichter des Terrors wiederzufinden, vor denen sie geflohen sind. Wie ein Albtraum, aus dem man niemals aufwachen kann. Selbst wenn man hunderte Kilometer über die halbe Erdkugel flieht. Gibt es etwas Grausameres?