
Immer, wenn man sich damit tröstet, dass es nicht noch schlechter kommen könnte, eilen die künftigen Koalitionäre dem nächsten Tiefpunkt entgegen. Glauben will man der künftigen Koalition schon jetzt nichts mehr. Denn die künftigen Koalitionäre haben sich, wie es aussieht, eine Generalvollmacht erteilt, jedes Versprechen zu brechen, das sie gegeben, jede Aussage zu widerrufen, die sie getätigt haben, nichts von dem, was sie sagen, gilt oder in den Worten von Lars Klingbeil: „ich habe in der Ampel-Koalition erlebt, was es bedeutet, wenn man sich finanziell festgemauert hat.“ Eine Billion Euro Neuverschuldung nennt Klingbeil „festgemauert“. Jeder Geschäftsmann, der so agierte, stünde bereits vor dem Richter. Im Misstrauen unterscheiden sich die künftigen Koalitionäre übrigens nicht von den Bürgern, gegen deren Interessen sie regieren wollen, denn so wie ihnen die Bürger nichts mehr glauben, glauben die künftigen Koalitionäre untereinander auch nichts. Im Misstrauen vereint, möchte man jubilieren, wenn es zum Jubeln wäre.
Erst haben SPD und Union unter großen Mühen einen Koalitionsvertrag zustande gebracht, den auch die SPD allein ohne Hilfe der Union hätte notieren können, denn er ist durch und durch rotgrün, dann beglücken sie die Medien, die ja nicht immer auf Donald Trump und J.D. Vance schimpfen können, damit, dass sie all das, was sie vereinbart haben, grundsätzlich und kategorisch anders verstehen als der Partner, anders gemeint haben wollen, zumindest anders interpretieren, als hätte den Koalitionsvertrag Chat GPT entworfen.
Der Grund für das lustige Interpretationsspiel ist allerdings beschämend einfach, sie wollen ihrer Basis ein X für ein U vormachen. Die SPD-Führung muss den Vertrag durch die Mitgliederbefragung bekommen und die CDU treibt die Sorge um, dass ihr die Mitglieder wie die Wähler davonlaufen – im Westen, denn im Osten, wo man auf Blockflötentöne allergisch reagiert, sind sie schon weg, Wähler und Mitglieder. Das drohende Fiasko in den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt oder in Mecklenburg-Vorpommern kann die CDU nur noch dadurch verhindern, dass die Landesverbände der AfD oder die AfD insgesamt verboten oder den Kandidaten der AfD das passive Wahlrecht entzogen wird. Dass in der EU inzwischen alles möglich ist, zeigt der Umgang mit Marine Le Pen, zeigen die Vorgänge in Rumänien und Polen.
Auf dem Theater würde man das, was Klingbeil, Merz und Co. veranstalten eine Schmiere nennen. Man fühlt sich auf der Staatsbühne, banausisch unterhalten, als würde Zettels Truppe aus dem Sommernachtstraum oder aus dem „Peter Squenz“ von Andreas Gryphius im Ernst auftreten. Wenn einer der Laienschauspieler sich einen groben Fehler erlaubt hatte, jammerten die Amateure betreten, dass sie wohl eine „Sau“ gemacht hätten. Die jüngste Sau nun, die diesmal von Lars Klingbeil durch Berlin Mitte getrieben wurde, war die im Grunde ehrliche Ankündigung, dass die künftige Regierung Steuererhöhungen beabsichtigt. Und nicht zu knapp. Wie schrieb Heiner Müller in „Die Hamletmaschine“ über einen toten Diktator: „ER WAR EIN MANN NAHM ALLES NUR VON ALLEN.“
Die Zusammenfassung all dessen, was sich diese Koalition, die erst einmal eine Koalition werden will, bisher erlaubt hat, spricht gegen das drohende Kabinett Merz-Klingbeil. Erst genehmigt man sich durch Trickserei mit dem alten Bundestag eine gigantische Schuldenerhöhung für die neue Regierung, dann legt man ein Koalitionsvertrag vor, der keine nennenswerte Veränderung zur Ampel-Regierung aufweist, außer, dass man das NGO-Regime wesentlich verstärken, die Demokratie- und die Meinungsfreiheit noch weiter einschränken und wie in einer Diktatur gegen Andersdenkende und gegen die Opposition vorgehen will, als nehme man sich ein Vorbild an Breshnews Zeit ohne Uhren. Während Friedrich Merz in Wahrheit die Unternehmenssteuerreform soweit auf die lange Bank geschoben hat, dass sie eigentlich schon hinten heruntergefallen ist, deutet Klingbeil schon mal an, dass es trotz Rekordschulden wohl auch Rekordsteuerhöhungen geben wird.
In einem Interview, das Klingbeil der Funke-Mediengruppe gab, sagte der SPD-Chef: „Ich habe jetzt aber auch zur Kenntnis genommen, dass Friedrich Merz öffentlich gesagt hat, dass man Steuererhöhungen nicht für alle Zeit ausschließen kann. Insofern gilt, dass wir die finanzielle Situation immer wieder neu bewerten werden.“ Trotz einer Verschuldung von Minimum 1 Billion Euro – reife Leistung.
Auf die konkrete Nachfrage, ob das Steuererhöhungen bedeuten könnte, bekräftigte Klingbeil: „Die Vereinbarung lautet: keine Steuererhöhungen. Aber ich habe in der Ampel-Koalition erlebt, was es bedeutet, wenn man sich finanziell festgemauert hat.“ Im Klartext: was kümmert mich mein Geschwätz von gestern, Steuererhöhungen werden kommen. Man wird denen, die arbeiten und Werte schaffen, noch mehr wegnehmen, noch mehr Gutausgebildete werden das Land verlassen, man wird viel Geld brauchen, damit NGO-Ritter und EEG-Barone weiter ihre Parties feiern können, damit die Fortführung von Habecks Wirtschaftspolitik weiter subventioniert werden kann, damit die Turbomigration in die deutschen Sozialsysteme weiterfinanziert wird und überhaupt das Pflege- und Gesundheitssystem weiter vor dem Zusammenbruch irgendwie mehr schlecht als recht bewahrt bleibt.
Seit Merkel erlebt Deutschland Regierungen, die gegen die Interessen des deutschen Volkes agieren, gegen die Interessen der deutschen Bürger, für die die Bürger, die sie im Grunde verachten, nur noch als Melkkuh und Sozialstaatsobjekt existieren.
Friedrich Merz sucht nach einem Namen für seine Titanic-Koalition, wie wäre es mit „Verschuldung und Raub“, denn ab einer bestimmten Höhe verwandeln sich Steuern in Raub, oder mit „Rückschritt und Niedergang.“ Man versteht aber auch, weshalb Carsten Linnemann nicht in die neue Regierung eintreten möchte.
In einem sind die künftigen Koalitionäre schon jetzt sehr erfolgreich, nämlich im Erzeugen einer bleiernen Depression. Hermann Hesse hatte einmal geschrieben, dass jedem Anfang ein Zauber innewohne, doch diese künftige Koalition stellt keinen Anfang dar, sondern die Fortsetzung der Dekadenz der Merkel-Jahre und ihres Ampel-Appendixes. Man könnte auch sagen, dass gegen das, was uns nun erwartet, die Ampel noch eine nette Veranstaltung war.
In der „Geschichte eines Deutschen“ hatte der wirklich bedeutende Sebastian Haffner über den Reichskanzler aus der katholischen Zentrumspartei im englischen Exil im Rückblick geschrieben: „Brüning selbst hatte dem Land nichts zu bieten als Armut, Trübsinn, Freiheitsbeschränkung und die Versicherung, dass etwas Besseres nicht zu haben sei.“ Zuvor hatte Haffner gallig angemerkt: „Meines Wissens ist das Brüningregime die erste Studie und, sozusagen, das Modell gewesen zu einer Regierungsart (…): Der Semi-Diktatur im Namen der Demokratie und zur Abwehr der echten Diktatur.“