
Erinnert sich heute noch jemand an jenen dramatischen Moment, als Kanzlerin Merkel 2008 auf dem Höhepunkt der sogenannten Finanzkrise gemeinsam mit dem Sozialdemokraten Steinbrück vor die öffentlich-rechtlichen Kameras trat und wortwörtlich erklärte: „Die Spareinlagen sind sicher“? Die Regierung persönlich garantierte für alle privaten Spareinlagen. Aber das klang alles andere als beruhigend.
Man muss die Frage stellen: War das rückblickend der Moment, in dem die Weichen für Deutschlands spätere Talfahrt gestellt wurden? Die Leichtigkeit des Fußballwunders von Deutschland zwei Jahre zuvor war jedenfalls längst verflogen. Jeder hatte damals von „Hypo Real Estate“ gehört, aber nur wenige können hinreichend erklären, was es bedeutete und mit Deutschland zu tun hatte.
Waren es Schröder und Fischer, die mit ihrer Absage an den Irakkrieg die Amerikaner enttäuschten und die dafür – ohne es zu wissen – endgültig aus der Nachkriegsschutzzone ausgestoßen wurden? Das kann ja nur von einem Verschwörungstheoretiker stammen, die kommenden Plagen über Deutschland auf dieses hingeheulte „I am not convinced“ von Außenminister Fischer gegenüber US-Verteidigungsminister Rumsfeld zurückzuführen. Aber die zeitliche Abfolge stimmt doch.
Zugegeben, es waren nach der Merkel-Steinbrück-Erklärung noch ein paar schöne Jahre für Deutschland. Florian Illies schrieb „1913 – Der Sommer des Jahrhunderts“, dass zum Bestseller wurde und noch einmal jenes letzte Jahr erzählte, bevor die alte Welt unter dem Kanonendonner des Ersten Weltkriegs in Schutt und Asche zerlegt wurde.
Illies konnte nicht ahnen, dass sein „1913“ mit Blick auf 2013 zudem etwas Prophetisches haben würde. Vielleicht noch mit einer Gleichzeitigkeit versehen: Während „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ – kurz „Pegida“ – in Dresden Zehntausende auf die Straßen brachte, feierten viele Deutsche immer noch das 7:1 über Brasilien und die anschließend gewonnene Fußballweltmeisterschaft 2014. Dann fiel die große Düsternis über Fröhlichen her.
Aber reden wir über 2015, vor nunmehr zehn Jahren, als alles begann. Ich selbst musste mich von einer Reihe von Luxusautomobilen verabschieden. Nicht den eigenen, sondern jenen, die ich fast 15 Jahre lang als Werbetexter betreute.
Dieser mächtige und ungeliebte Phaeton aus der Gläsernen Manufaktur von Volkswagen war mir ebenso ans Herz gewachsen wie Dresden als seine Produktionsstätte. Ja, ich bin in diesen Jahren auch ein Dresdner geworden.
Wer einmal die Elbe nach Bad Schandau heruntergefahren ist und an den breiten Ufern, gleich neben der deutschen Fahne, die senkrecht aufsteigenden Rauchzeichen der Kugelgrills gesehen hat nebst den Sachsen wie Miniaturfiguren einer Eisenbahnlandschaft im Schatten der Festung Königstein, der kann ja gar nicht anders, als hier Heimat zu erkennen, ohne je auf einem der Monoblockstühle dabei gesessen zu haben.
Sie merken es auch gerade: Mein Herantasten an diesen rückblickend kaum fassbaren Giganten aus weit über eintausend Artikeln bei Tichys Einblick ist auch ein großes Ausweichen. Das Portal von Roland Tichy ist heute zusammen mit dem monatlich erscheinenden Heft das größte der Neuen Medien. Seither gab es erfolgreiche Auskopplungen so wie auch Neugründungen. Aber ein nachhaltiger Erfolg wie bei Tichys Einblick kommt nicht von ungefähr. Der Dirigent und ein paar erste Geigen haben dafür mächtig abgeliefert. Wer das noch Arbeit und Einkommen nennt, der muss Masochist sein oder krankt an zu niedrigem Puls. Wir alle, allen voran Roland Tichy als Verantwortlicher, hätten die ruhige Kugel schieben können – Schreibtalent findet überall Widerhall.
Aber dann explodierte unsere Welt von einem Tag auf den anderen. Was viele Corona-Kritiker später als eine Art Erweckungserlebnis beschrieben – jenen Moment, als der Staat gegenüber seinen Kritikern die Maske fallen ließ –, war für uns tägliches Brot.
Von Ende 2015 bis etwa 2020 gab es niemanden, der in Deutschland quantitativ mehr Regierungskritik ablieferte. Und mit den rasant wachsenden Leserzahlen – heute sind es viele Millionen pro Monat – näherten wir uns bei Tichys Einblick auch jenem magischen Zeitpunkt, an dem wir insgesamt zu den meistgelesenen Regierungskritikern wurden.
Aber es wäre eine verfälschte Erinnerung zu behaupten, es habe sich immer nur gut angefühlt. Nein, was wir erlebten, war das Gegenteil eines Triumphzuges, denn mit jedem Leser mehr wurden auch die Angriffe gegen das Portal umfassender. Hier kann man in der Nacherzählung nur die dicksten Brocken vom Feld räumen und vergisst dann wieder den noch dickeren. Einer davon hieß Gerald Hensel. Er steht stellvertretend für einen neuen Typus deutscher Blockwart, er ist der personifizierte Gegenentwurf eines „Nie wieder!“
Hensel hatte sich eine Liste gebastelt und dort Portale wie „Achse des Guten“ und „Tichys Einblick“ eingetragen. Diese Liste sollten Werbetreibende und Unternehmen abgleichen und bei den Genannten keine Werbung mehr schalten.
Und Hensel war nicht irgendein Hansel – jedenfalls beruflich nicht. Er war für die große Werbeagentur Scholz & Friends tätig, er kam also aus der Werbung wie ich auch. Ich konnte mir ganz gut ausmalen, wie diese politischen Kampagnen in dieser verrückten Welt von „Neununddreißigneunzig“, dem französischen Skandalroman aus einer übergeschnappten französischen Werbeagentur, entstanden waren. Die Veröffentlichung kostete Frédéric Beigbeder den Job in einer bekannten Werbeagentur und katapultierte ihn auf Platz eins der Bestsellerlisten.
2017 gründete Hensel dann den Verein Fearless Democracy, der nach eigenen Angaben „als inhaltlicher Partner von öffentlichen Institutionen, Journalismus und Privatwirtschaft eine Rolle gegen Populisten und Extremisten“ spielen und nach Darstellung von Laura Lucas in Übermedien die „Wirkweise der populistischen Wut-Industrie im digitalen Zeitalter für alle verständlich offenlegen“ will. 2019 gründete der Verein gemeinsam mit der Kampagnenplattform Campact die gemeinnützige Organisation HateAid.
Wie gesagt, die Liste der Angriffe ist lang. Mir sind vor allem die vielen etablierten beruflichen Verbindungen und Funktionen (von der Chefredaktion bei Xing bis zum Vorsitzenden der Ludwig-Erhard-Stiftung) von Roland Tichy in Erinnerung, von denen mit jedem neu inszenierten Angriff und Pseudoskandal zuverlässig eine auf der Strecke blieb.
Als Welt-Redakteur Robin Alexander seinen Bestseller „Die Getriebenen“ veröffentlichte, wäre vom Titel her gedacht ein Bestseller direkt aus der Redaktion der „Neuen Medien“ erwartbar gewesen. Aber der immer so persönlich beleidigt wirkende Talkshow-Nomade strickte lieber an der Legende einer getriebenen Angela Merkel, die 2015 gar nicht anders gekonnt haben soll, als die überwiegend jungen muslimischen Männer der illegalen Zuwanderung ins Land zu lassen.
Heute wissen wir es dank unserer Arbeit bei TE besser, und das Buch des Welt-Redakteurs findet sich schon in der einen oder anderen Bücherzelle für Aussortiertes, bleibt aber auch dort ein Ladenhüter – die These widerlegt und keine neue aufgelegt.
Zur Ironie der Geschichte gehört sicherlich – und das führt uns zur Finanzkrise zurück –, was eine Online-Enzyklopädie über die Entstehung des Buches schreibt: Um Merkels „ständigen Krisenmodus“ zu veranschaulichen, habe Robin Alexander zunächst an eine Darstellung ihres Handelns in der Eurokrise gedacht. Die Flüchtlingskrise habe ihm jedoch die Möglichkeit geboten, seine Thesen noch prägnanter darzustellen.
Wie viele Interviews habe ich für TE geführt? Es müssen Hunderte gewesen sein. Ihre Relevanz wuchs hier oft erst im Nachgang, wir hatten den richtigen Riecher. Wenn ich etwas hervorheben soll aus dieser intensiven Zusammenarbeit mit Roland Tichy, dann sicher das: Wir waren uns da besonders nah, wo wir gleichzeitig etwas liegen sahen, das uns zu journalistischen Trüffelschweinen Front machte.
Ich interviewte Gerald Knaus, als der wirklich noch glaubte, er könne auch bei den Neuen Medien punkten, wenn er mit einem der damals führenden Migrationsexperten im Land ins Gespräch geht – denn das waren wir ja mittlerweile: Migrationsexperten mit der Besonderheit, dass wir unabhängig in dem waren, was wir taten. Das wusste auch Knaus, später jammerte er über kritische Leserbriefe.
Auch das wird unterschätzt: Die Leserbindung von Tichys Einblick ist etwas Besonderes. Wenn man beim Fußball vom zwölften Mann spricht, dann sind die Leser von Tichys das zusätzliche Redaktionsmitglied, die Qualitätskontrolle, der Chef vom Dienst am fertigen Produkt. Die Kommentare sind die notwendige Zutat: Ohne Hitze bleibt es Teig und wird kein Kuchen.
Hier also im Interview der Soros-startfinanzierte Macher dieses unsäglichen Türkei-Deals, der auch im aktuellen Ärmelkanaldeal wieder seine Finger im Spiel hat. Und auf der anderen Seite quasi eine Telefon-Direktleitung zu Martin Sellner, als der ein Schiff charterte und mit der C-Star aufs Mittelmeer hinausfuhr, um vor Ort zu sehen, was diese Seenot-Schlepper dort tatsächlich veranstalten, wenn Menschen sich vor der libyschen Küste absichtlich in Seenot bringen, um dann über das gesamte Mittelmeer hinweg nach Europa „gerettet“ zu werden.
Sellner berichtete Mitte 2017 gegenüber TE, was er vor Ort sah und wie er es interpretierte: „Die NGOs wollen uns weismachen, dass Retten und Schleppen untrennbar miteinander verbunden wären. Das Gegenteil ist der Fall! Würden alle Schiffe die Geretteten zurück an die nahe Küste bringen, würden sie viel weniger Zeit beim Schleppen nach Europa verschwenden, und viel weniger würden ertrinken!“
Knaus und Sellner in einem Boot? So etwas gibt es nur bei Tichys Einblick. Das ist bis heute die Grundzutat für die hohe Glaubwürdigkeit von Magazin und Portal.
Wenn mich jemand fragt, beschreibe ich es manchmal als „Schicksalsgemeinschaft“. Man könnte auch „Krieger“ sagen, denn die Belastungen waren wirklich enorm. Die Narben der Diffamierungen und beruflichen wie privaten Ausgrenzungen sind zweifellos geblieben. Und wir hätten uns in den Jahren ab 2015 nicht träumen lassen, dass sich diese Diskreditierungen unter dem Corona-Regime ab 2020 noch einmal steigern ließen und noch viel persönlicher wurden.
Ja, wir waren viel besser gewappnet als andere. Aber den Stich kommen sehen, bedeutet nicht automatisch, ihm ausweichen zu können. Doch dann kann man sich entscheiden: Nehme ich dieses Mal das Florett oder doch gleich den Säbel? Hauptsache es ist immer noch etwas Kraft im Arm. Das wünsche ich uns.