
In der wöchentlich in der Zeit erscheinenden Kolumne „Fratzschers Verteilungsfragen“ hat der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) sich am Samstag dem Thema des Klimawandels gewidmet. „Energiekosten, Bürokratie, grüne Transformation. Die falschen Themen stehen im Mittelpunkt der Debatte über die Industrie“, erklärt Fratzscher gleich zu Beginn. „Die größte Gefahr“, die noch immer unterschätzt werde, sei der Klimawandel.
„Nicht die Energiewende gefährdet die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland, sondern die wirtschaftlichen Folgen der Erderwärmung“, glaubt Fratzscher. Schon heute sei es evident, dass „Hitze, Dürre, Unwetter und Naturkatastrophen“ zunehmend „die Grundlagen der deutschen Wirtschaft“ untergraben würden. Insbesondere in der Industrie würden die Folgen des Klimawandels voll durchschlagen, so der DIW-Präsident.
Doch nicht nur in der Wirtschaft würde man die Auswirkungen der globalen Erderwärmung dramatisch unterschätzen. Auch für den einzelnen Menschen sei die Klimakrise eine existenzielle Gefahr. „Im Sommer 2022 starben in Deutschland über 8.000 Menschen infolge hoher Temperaturen – mehr als durch Verkehrsunfälle, Grippe und Drogen zusammen“. Studien würden zudem zeigen, dass die Erderwärmung drastische Produktivitätsverluste zur Folge habe, die ebenfalls besonders die Industrie und darüber hinaus die Bauwirtschaft betreffen würden. Allein durch Hitzetage würden der Wirtschaft jährlich drei Millionen Arbeitstage verloren gehen, erklärt Fratzscher, der sich dabei auf Zahlen des Arbeitsministeriums beruft.
Zudem sieht Fratzscher die Staatsfinanzen und die finanzielle Stabilität Deutschlands wegen des Klimawandels unter enormem Druck. „Ohne präventive Maßnahmen zur Risikovorsorge droht eine steigende Belastung der öffentlichen Haushalte durch Klimaschäden – mit potenziell gravierenden Folgen für die staatliche Handlungsfähigkeit“, so der DIW-Präsident. Tatsächlich ist eine Ausweitung der Staatsverschuldung in den kommenden Jahren vor allem durch die faktische Lockerung der Schuldenbremse und das 500-Milliarden-Sondervermögen zu erwarten. Schon bis 2030 wird erwartet, dass die Verschuldung des Bruttoinlandsprodukts auf 74 bis 75 Prozent steigen wird. Im Jahr 2024 lag die Verschuldungsquote noch bei rund 62,5 Prozent.
Unternehmen würden wegen des Klimawandels nun reihenweise ihre Produktion ins Ausland verlagern, ist sich Fratzscher sicher. Dabei beruft er sich auf Zahlen seines eigenen Instituts. „Laut einer Umfrage des Instituts der deutschen Wirtschaft haben 47 Prozent der befragten Industriebetriebe Investitionen wegen Klimarisiken verschoben oder ins Ausland verlagert“, so Fratzscher. Doch auch hier spricht die Realität eine andere Sprache. Einer Untersuchung der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) zufolge sehen 76 Prozent der Unternehmen in den Energiepreisen ein hohes Risiko. Weiter heißt es: „Die Ergebnisse der DIHK-Umfrage zeigen, dass deutsche Industriebetriebe aufgrund hoher Kosten und unsicherer Rahmenbedingungen gegenwärtig Auslandsstandorte favorisieren“.
Fratzscher schlussfolgert dennoch: „Das schwindende Vertrauen in den Standort Deutschland ist damit nicht allein auf hohe Energiepreise oder Regulierung zurückzuführen, sondern ebenso auf das Ausbleiben einer entschlossenen Anpassung an ökologische Realitäten“. Die Debatten, die über die Wirtschaft in Deutschland geführt werden, würden aus diesem Grund völlig an der Wirklichkeit vorbeigehen. Man berücksichtige schlicht nicht, dass der Klimawandel „längst zur zentralen ökonomischen Bedrohung geworden“ ist.
Weiter erklärt er: „Der Widerstand gegen Klimaschutz, wie er sich in populistischen Erzählungen immer stärker manifestiert, ist daher nicht nur ökologisch kurzsichtig, sondern ökonomisch kontraproduktiv“. Nun bestehe dringender Handlungsbedarf. Das 500-Milliarden-Sondervermögen der Bundesregierung müsse nun klug eingesetzt werden: „Investitionen in klimaresiliente Infrastrukturen sollten oberste Priorität bekommen“. Weiter erklärt er: „Jeder Euro für Klimaschutz spart bis zu sieben Euro an Folgekosten durch Schäden“, ist sich Fratzscher sicher.
Zudem fordert Fratzscher gar die Erhöhung der Steuerlast, um einen sogenannten „Klima-Soli“ zu finanzieren. Konkret schlägt Fratzscher einen Zuschlag von „drei Prozent auf die Einkommensteuer“ vor. Dies würde für den Staat Mehreinnahmen von 25 Milliarden Euro jährlich bescheren. Zwar würde man in „Jahren von großen Katastrophen“ noch immer defizitär wirtschaften, könnte Klima- und Umweltschäden aber zumindest abmildern.
Insgesamt stehe Deutschland nun am „Scheideweg“, resümiert Fratzscher. Nur wenn man endlich die Dramatik des Klimawandels begreife, könne man wirtschaftlich zukunftsfähig bleiben. „Die zentrale Frage ist nicht, ob wir uns Klimaschutz leisten können – sondern ob wir uns die Kosten des Nichthandelns leisten wollen“. Bereite man sich nicht entschieden auf die Folgen des Klimawandels vor, sei Deutschlands Wirtschaft existenziell gefährdet. „Die ökologische Transformation ist keine Last, sondern unsere ökonomische Überlebensstrategie“, so Fratzscher abschließend. Die Faktenlage spricht dabei eine ganz andere Sprache.