Die große Akten-Absage: Ein bürokratisches Meisterwerk

vor 7 Tagen

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Bildquelle: Tichys Einblick

Wie herrlich doch die Mühlen der europäischen Bürokratie mahlen! Mit einem Schreiben – so präzise  wie ein Schweizer Uhrwerk und so herzlich wie ein Steuerbescheid – hat das Komitee für öffentliche Gesundheit (SANT) des Europäischen Parlaments meine Anfrage nach Einsicht in einige – nennen wir es mal – „leicht brisante“ Dokumente abgeschmettert.

Aber lassen Sie mich die Geschichte von Anfang an erzählen.

Bereits mit Antritt meines Mandates im Europäischen Parlament war mir klar, dass ich meine Nase in die sagenumwobenen Covid-Impfstoffverträge stecken möchte. Aller Warnungen zum Trotz begann ich, meine Fühler auszustrecken und Kontakte zu knüpfen. Zur Einhaltung des korrekten „Dienstweges“ wurden einige Mails und Gespräche in dieser Angelegenheit vorweg verschwendet.

In einer Anwandlung von Naivität und Vertrauen in die Transparenz europäischer Institutionen bemüßigte ich mich in dieser Sache sodann im Februar 2025 mittels eines höflichen Schreibens an den ehrenwerten Vorsitzenden des SANT-Komitees. Mein Anliegen? Zugang zu einer Reihe unverfälschter Dokumente – unter anderem Kaufverträge und Vorab-Vereinbarungen mit Impfstoffherstellern wie BioNTech-Pfizer, Moderna, AstraZeneca und Co. –, allesamt aus der heißen Phase der Corona-Zeit.

Warum ich dies tat? Nun, ich bin schlicht ein neugieriger Mensch, der gerne versteht, wie Milliarden von Steuergeldern in Impfstoffdeals geflossen sind. Ein bisschen Aufarbeitung, ein Hauch von Transparenz – das kann doch nicht zu viel verlangt sein, oder? Scheinbar doch.

Mein Schreiben war ein Muster an Höflichkeit und Präzision, gestützt auf das Rahmenabkommen zwischen dem Europäischen Parlament und der Kommission, das – oh Wunder – genau solche Anfragen von Ausschussvorsitzenden an die Kommission erlaubt. Zumindest in der Theorie wäre das Parlament in der Lage, die Kommission einer gewissen Kontrolle zu unterwerfen. Ich war zuversichtlich, dass meine Bitte auf fruchtbaren Boden stoßen würde. Schließlich, wer könnte etwas gegen ein bisschen Einsicht in die Vergangenheit haben, wenn es um die größte Gesundheitskrise unserer Zeit geht? Also ging ich – vertrauend auf die intakte Kontrollfunktion des Europäischen Parlaments – davon aus, dass ich als Abgeordneter sowie als Mitglied eben dieses Ausschusses und somit auch antragsberechtigt, selbstverständlich diese Akteneinsicht bekommen würde. Doch weit gefehlt.

Lassen Sie mich Ihnen die Antwort präsentieren, die Anfang April 2025 in meinem elektronischen Briefkasten landete. Die SANT-Koordinatoren, in ihrer unermesslichen Weisheit, haben sich am 19. März 2025 zusammengesetzt und meine Anfrage mit einer Eleganz abgewehrt, die jedem Dressurpferd zur Ehre gereichen würde.

Der Hauptgrund für die Absage? Halten Sie sich fest: Die Covid-19-Pandemie stünde nicht auf dem aktuellen Arbeitsprogramm des SANT-Komitees! Ja, Sie haben richtig gelesen. Die Pandemie (bzw. die staatlichen Maßnahmen), die die Welt in Atem hielt, Millionen Leben veränderte und die Gesundheitspolitik auf den Kopf stellte, ist offenbar passé. Ein alter Hut. Ein Thema, das nicht mehr hip genug ist, um die kostbare Zeit der SANT-Koordinatoren zu beanspruchen. Stattdessen verweist man mich auf den Bericht des Sonderausschusses COVI, der – wie praktisch – bereits alles aufgearbeitet haben soll, was es zur Pandemie zu sagen gibt. Warum also noch in alten Verträgen wühlen? Stimmt. Es steht in der vorgehaltenen Entschließung des Parlaments, dass man unter anderem Transparenz in Bezug auf den Kauf von Covid-19-Impfstoffen schaffen möchte. Welch vortrefflicher Grund, eine Einsicht in solche Verträge zu verweigern und die eigenen „guten Vorsätze“ gleich mal zu brechen.

Doch das wahre Juwel der Antwort ist der Verweis auf die „loyale Zusammenarbeit“ zwischen Parlament und Kommission. Denn die Handlungen der EU-Kommission während der Pandemie seien bereits ausreichend untersucht worden und „aus Prinzip der loyalen Kooperation zur Kommission“ würde man von der Beantragung vertraulicher Informationen absehen. Loyale Zusammenarbeit schlägt somit parlamentarische Kontrollrechte. Getreu dem Motto „Happy Wife – Happy Life“ wird die EU-Kommission hofiert und lieber der Mantel des Schweigens von Fusseln gereinigt, als diesen zum Wohle der Transparenz in den Altkleidersack zu transferieren. Respekt. Hört sich wirklich nach sehr demokratischen Prozessen an.

Auch sei meine Anfrage – so die Koordinatoren – nicht „angemessen“ mit der aktuellen Arbeit des Komitees verbunden. Angemessen! Ein Wort, das so vage ist, dass man damit einen ganzen Ozean an Ablehnungen füllen könnte. Gerissen ist diese Begründung natürlich auch. Denn: Muss die Anfrage stets eine Verbindung zur aktuellen Arbeit des Komitees aufweisen, so kann Vergangenes natürlich nicht eingesehen werden. Dieser Schachzug ist – wie könnte es anders sein? – natürlich frei von Hintergedanken. Denn Kontrolle ist höchst selten vergangenheitsbezogen. Wie konnte ich das nur übersehen.

Die Krönung des Ganzen ist der wohlgemeinte Ratschlag, ich möge meine Anfrage „erneuern“, sobald die Pandemie wieder auf die Agenda des SANT-Komitees gesetzt werde. Auch hier eine völlig einleuchtende Begründung. Wir schauen im Europäischen Parlament natürlich nur dann auf ein Problem, wenn es endlich (wieder) da ist. Prävention durch Analyse von möglichen Fehlern ist natürlich Zeitverschwendung. Wie konnte ich nur auf diese Idee kommen?

Wann genau die Pandemie wieder salonfähig wird, bleibt ein Mysterium, das nur die SANT-Koordinatoren zu lüften vermögen. Oder die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Möglicherweise möchte man bis zur 78. Weltgesundheitskonferenz im Mai 2025 keinen Wurm reinbringen. Denn da soll ja endlich das Pandemieabkommen glorreich und in bestmöglicher Einigung abgestimmt werden.

Da wäre wohl eine vorherige Akteneinsicht mit Blick auf desaströse Impfstoffeinkäufe unerquicklich. Der Schein muss gewahrt werden. Völlig einleuchtend. Das 1×1 der Gefälligkeit. Wie konnte ich das nur aufs Spiel setzen?

Was bleibt, ist ein bittersüßer Nachgeschmack. Meine Bitte nach Transparenz, nach einem Blick hinter die Kulissen und in die Unterlagen der milliardenschweren Impfstoffdeals, wurde mit einem bürokratischen Meisterstreich abgeschmettert. Keine Aufarbeitung, keine Akteneinsicht, nur ein höfliches „Vielleicht später“.

Doch ich gebe nicht auf. Weder eine unser Kontrollrecht beschneidende Loyalität zur EU-Kommission noch die Aversion des Komitees, mir Einblick in „Vergangenes“ zu gewähren, werden mich von neuerlichen Vorstößen abhalten. Bis dahin werde ich weiterhin mit einem Augenzwinkern die bürokratischen Tänze der EU akribisch beobachten. All dies in der Hoffnung, dass eines Tages Transparenz nicht nur ein Schlagwort, sondern Realität wird.

Dr. Friedrich Pürner, neugieriger MdEP

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