
Niemand, auch keines der Meinungsforschungsinstitute, kann es vier Wochen vor der Bundestagswahl vom 23. Februar halbwegs zuverlässig sagen: Wird der neue Bundestag aus vier oder fünf oder sechs oder sieben oder gar aus acht Fraktionen/Gruppen bestehen? Sicher ist nur, dass es in der Reihenfolge der Ergebnisse der aktuellen „Sonntagsfrage“ mindestens vier Fraktionen geben wird: CDU/CSU, AfD, SPD, Grüne. Und die vier anderen? BSW und FDP wackeln zwischen vier und sechs Prozent herum, könnten die 5-Prozent-Hürde also überwinden, oder auch nicht. Sicher unterhalb der fünf Prozent werden die Links-Partei und die Freien Wähler (FW) bleiben. Diese beiden allerdings können den Einzug in den Bundestag mit drei Direktmandaten schaffen und dann über „Liste“ rund 25 bis 30 Bundestagsabgeordnete mitziehen. Die Linkspartei versucht das mit der „Mission Silberlocke“. Die FW tun es mit aussichtsreichen drei bzw. vier, vor Ort gut verankerten Kandidaten.
Für zukünftige Koalitionen bedeutet all dies erhebliche Unsicherheiten. Das einzige, was sicher scheint, ist, dass mit der AfD niemand „will“. Relativ sicher dürfte das Zustandekommen einer Zweier-Koalition nur sein, wenn es im Bundestag nur vier Fraktionen geben wird. Dann allerdings, also ohne einen Einzug von FDP, BSW, Linkspartei, FW und Splitterparteien in den Bundestag, wären in diesem Bundestag etwa 20 Prozent der Wähler nicht repräsentiert, und in der Summe könnten 41 Prozent der Wählerstimmen für eine Regierungsbildung reichen. Dass es dennoch nicht für eine Zweier-Koalition reichen könnte, darauf setzen die FW als dritter Partner in einer von CDU/CSU geführten Koalition. So sie mit drei Direktmandaten und in der Folge mit 25 bis 30 weiteren MdBs in den Bundestag einzögen.
Nun also treten die Freien Wähler bundesweit erneut an. 2021 sind sie bei der Bundestagswahl bei 2,4 Prozent hängengeblieben. Bei der EU-Wahl 2024 waren es 2,7 Prozent. Sollten es wieder 2,4 bis 2,7 Prozent werden, so würden diese vor allem mit Stimmen aus Bayern zustande kommen. Wobei das Problem der FW außerhalb Bayerns ist, dass sie in den Sonntagsfragen bei den meisten Instituten nicht geführt werden, also dort schier unsichtbar sind.
Anders als 2021 setzen die FW nun darauf, dass sie über drei Direktmandate mit dann insgesamt 25 bis 30 Abgeordneten in den Bundestag einziehen. Bei der Wahl zum Bayerischen Landtag vom 8. Oktober 2023 (FW: 15,8 Prozent) war es den FW schon einmal gelungen, der CSU zwei Direktmandate abzuluchsen: mit FW-Chef Hubert Aiwanger im Wahlkreis Landshut und mit Roland Weigert im Wahlkreis Neuburg/Schrobenhausen. Das wollen die FW nun auch bei der Bundestagswahl schaffen. Allerdings sind die erheblich größeren Wahlkreise bei der Bundestagswahl (insgesamt 47) nicht identisch mit den Wahlkreisen bei einer Landtagswahl (91).
Im November 2024 haben die FW Bayern ihre vier Leute nominiert, mit denen sie unter Umgehung der 5-Prozent-Hürde in den Bundestag einziehen wollen.
Prominentester Kandidat ist der FW-Bundesvorsitzende Hubert Aiwanger (53). Er ist seit 2018 bayerischer Wirtschaftsminister und stellvertretender Ministerpräsident. Bei der Landtagswahl 2023 hat er das Direktmandat im Wahlkreis Landshut mit 37,2 Prozent gegen den CSU-Bewerber Helmut Radlmeier (24,8 Prozent) errungen. Aiwanger will am 23. Februar 2025 als Direktkandidat im niederbayerischen Wahlkreis Rottal/Inn antreten. Dieser Wahlkreis war seit 1994 mit Max Straubinger fest in Hand der CSU. Straubinger erzielte teilweise über 60 Prozent, bei der letzten Wahl 2021 aber nur noch 35,1 Prozent. Für die CSU kandidiert dort nun Günter Baumgartner; er ist Bürgermeister in der Rottal-Gemeinde Bayerbach. Aiwangers Chancen hier stehen durchaus gut, hat er doch gegenüber seinem CSU-Konkurrenten einen uneinholbaren Bekanntheitsgrad. Allerdings ist man in diesem Wahlkreis nicht nur glücklich darüber, dass Aiwanger so urplötzlich und eigenmächtig „hereinschneit“. Ein Handicap für Aiwanger ist auch, dass er sich nicht eindeutig erklärt hat, ob er wirklich nach Berlin gehen und seinen Ministerposten in Bayern aufgeben wird.
Dass Aiwanger, wiewohl im Landkreis Landshut beheimatet, in den Wahlkreis Rottal-Inn ausweicht, hat mit einem zweiten, recht aussichtsreichen FW-Kandidaten zu tun: Peter Dreier (58). Peter Dreier ist für die FW seit 2014 Landrat des Landkreises Landshut. Bei der Kommunalwahl von 2020 setzte er sich im ersten Wahlgang mit 73 Prozent gegen sieben Mitbewerber durch. Nun ist der Bundestagswahlkreis, für den Dreier antritt, zwar größer als der Landkreis Landshut; er schließt nämlich auch den Bereich Kelheim ein. Dieser Wahlkreis wird seit 2013 von Florian Oßner (CSU) repräsentiert. Bei der Bundestagswahl von 2021 errang Oßner das Mandat mit 36,4 Prozent. Das könnte für Peter Dreier zu schaffen sein.
Dritter FW-Kandidat ist der parteilose Michael Wörle (57). Er ist seit 2014 Erster Bürgermeister der Stadt Gersthofen bei Augsburg. Nun tritt er für den Bundestagswahlkreis Augsburg-Land gegen den Mandatsinhaber Hansjörg Durz (CSU) an. Durz hatte das Direktmandat bei der Wahl 2021 mit 40,6 Prozent errungen. Das waren zwar erheblich weniger Prozente, als er zuvor erreicht hatte: 60,6 Prozent bei der Wahl 2013 bzw. 47,8 Prozent bei der Wahl 2017. Dennoch dürfte es für den FW-Mann Wörle schwer werden.
Der vierte der FW-Kandidaten wiederum dürfte relativ gute Aussichten haben: die seit 2020 amtierende Landrätin des Landkreises Oberallgäu inklusive Kempten, Lindau usw., Indra Baier-Müller (53). Sie hatte dieses Amt nach 23,3 Prozent im ersten Wahldurchgang bei der Stichwahl überraschend mit 51,8 Prozent errungen. Bei der Wahl am 23. Februar 2025 tritt sie gegen die amtierende Bundestagsabgeordnete Mechthilde Wittmann von der CSU an. Diese hatte ihr Mandat 2021 mit gerade eben 29,7 Prozent gewinnen können.
Mehr als diese vier Kandidaten hatte Aiwanger nicht zu bieten. Dem Vernehmen nach konnte Aiwanger weitere kommunal bestens verankerte FW-Bürgermeister bzw. Landräte nicht gewinnen. Dabei stellen die FW seit der Kommunalwahl 2020 insgesamt 13 der 71 bayerischen Landräte. Absagen dürfte sich Aiwanger wegen der bald anstehenden Kommunalwahl 2026 eingehandelt haben. Das könnte auch die Überlegung von Aiwangers Lebensgefährtin Tanja Schweiger sein, die 2014 für die FW das Amt der Landrätin des Landkreises Regensburg errang und nicht für den Bundestag antritt. Eine Absage dürfte Aiwanger auch von Roland Weigert bekommen haben. Dieser hätte Chancen gehabt, ein MdB-Mandat zu erringen. Der ehemalige Landrat von Neuburg-Schrobenhausen hatte bei den bayerischen Landtagswahlen 2023 ein Direktmandat errungen. Zwischen ihm und Aiwanger knistert es aber.
Der FW-Bundesvorstand hat am 16. November 2024 einen 14-Punkte-Leitantrag verabschiedet. Am Samstag, 25. Januar, soll für die Bundestagswahl 2025 online ein FW-Parteiprogramm beschlossen werden. Kernpunkte werden unter anderem sein:
• Wiederherstellung einer wettbewerbsfähigen Wirtschaft • Stopp der illegalen Zuwanderung • konsequentes Vorgehen bei Gewalt- und Sexualdelikten mit Haftstrafen • kein Bürgergeld für Arbeitsfähige, die zumutbare Arbeit ablehnen. • 2000 Euro/Monat Einkommen steuerfrei, auch als Hinzuverdienst • keine weiteren Belastungen der Kommunen durch Bundesgesetze. • Unterstützung von Friedensbemühungen für der Ukraine; bis dahin volle Unterstützung der Ukraine gegen den Aggressor Russland • Stärkung der flächendeckenden Gesundheits- und Pflegeversorgung • Stopp der Renten-Doppelverbeitragung, gegen höheres Renteneintrittsalter. • Einführung eines attraktiven Gesellschaftsjahres für alle • Reform des Ampel-Selbstbestimmungsgesetzes
Söders CSU wird für die Wahl am 23. Februar derzeit zwischen 41 und 45 Prozent taxiert. Das wären erheblich mehr als die 31,7 Prozent, die die CSU in Bayern bei der Bundestagswahl vom 26. September 2021 – als bis dahin schlechtestes CSU-Wahlergebnis – eingefahren hatte. Dennoch ist bei der CSU eine Nervosität ob der FW-Ambitionen spürbar. Das hat nicht nur damit zu tun, dass das Verhältnis zwischen Söder und Aiwanger als angespannt gilt. Das hat auch damit zu tun, dass die CSU jede Stimme braucht, da ihr sonst gewonnene Direktmandate abgezogen werden könnten. Das heißt, nicht jeder gewählte CSU-Direktkandidat würde in den Bundestag einziehen, wenn bayerische Mandate an die FW gehen. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt warnt bayerische Wähler: „Wer FW wählt, schwächt die bayerische Stimme im Bundestag. Stimmen für die FW sind verlorene Stimmen. Wer FW wählt, stärkt das linke und populistische Lager.“
Der CSU-Gegenkandidat des Landshuter Landrats Peter Dreier (FW), Florian Oßner, poltert: „Die AfD und die FW sind in der Konnotation ähnlich.“ Da bangt einer, der seit 2013 für die CSU im Bundestag sitzt, doch sehr um sein Mandat. Denn Dreier ist ein ausgesprochen beliebter Landrat, gegen den auch die jüngste CSU-Attacke nicht verfängt. Die CSU unterstellt, Dreier sei verantwortlich für die Schulden des Landkreises. Was die CSU nicht dazu sagt: Sie stellt im Kreistag (70 Sitze) mit 17 Kreisräten die zweitgrößte Fraktion und hat zusammen mit den FW (20 Sitze) noch jeden Haushalt, auch mit den Stimmen des Kreisrats Florian Oßner, mitgetragen.
Am 23. Februar ist die Urnenwahl zum Bundestag. Liegen Sie mit Ihrer Prognose besser als die Demoskopen? Machen Sie mit bei der TE-Wahlwette!