
Die Kultur in muslimischen Staaten basiert auf dem Koran, der als reines Wort Gottes angesehen wird. Der Koran ist kein einheitlicher geistiger Block. Er ist in 22 Jahren von 610 bis 632 entstanden und spiegelt die geistig-religiösen Entwicklungen wider, die Mohammeds Überzeugungen in dieser Zeit genommen haben.
Man muss differenzieren zwischen:
In den frühen Suren warb Mohammed um die Gewinnung der Juden durch vielfaches Entgegenkommen:
Die Juden in Medina schlugen solches Entgegenkommen aus, sei es aus religiösen oder aus politischen Gründen. Dies führte zu einem tiefgreifenden Wandel der Politik des Propheten gegenüber den Juden:
Welche Koranstellen haben die größere Bedeutung, die judenfreundlicheren aus der koranischen Mekka-Frühzeit oder die späteren judenfeindlichen Medina-Suren?
Christliche Kirchen, die ideologisch-fundamentalistisch auf die Anbiederung mit dem Islam fixiert sind, verweisen zur Verteidigung des Islams wohlwollend auf die judenfreundlichen Stellen.
In der klassischen muslimischen Theologie hingegen gibt es die „Lehre der Abweichung“, der zufolge die älteren Koranverse nicht mehr gültig sind, sofern sie von jüngeren Koranversen ersetzt und korrigiert werden. Diese Lehre stützt sich auf Sure 2,107: „Welches Wort Wir auch aufheben oder dem Vergessen anheimgeben, Wir bringen ein besseres dafür oder ein gleichwertiges. Weisst du nicht, dass Allah die Macht hat, alles zu tun, was er will?“ Nach dieser klassich-muslimischen Auslegungsregel haben die späteren judenfeindlichen Koranverse höheres Gewicht und Autorität.
Der Freiburger Islamwissenschaftler Abdel-Hakim Ourghi setzte bei seinem Thesenanschlag an die Berliner Dar-as-Salam-Moschee zugunsten einer „Reform des Islam. 40 Thesen“ (2017) genau an diesem Punkt an: Die radikalen gewaltverherrlichenden Koranverse in den Medina-Suren dürfen von den gemäßigten Muslimen nicht mehr verharmlost oder ignoriert werden. Stattdessen müssen sie mithilfe der älteren Mekka-Suren radikal kritisiert und überwunden werden. Solange dem Islam das aus sich heraus nicht gelingt, behält er die Tendenz, eine Kultur und Religion der Gewalt, des Schreckens und des Judenhasses zu sein.
Eine nachhaltige Normalisierung des Verhältnisses muslimischer Staaten zu Israel braucht im Kern eine theologische Neubesinnung in der Auslegung des Korans in Anlehnung an die Mekka-Suren.