
In Frankfurt gibt es – oder gab es zumindest – an die 150 Kirchen. Viele von ihnen, wahrscheinlich die meisten stehen inzwischen leer, werden nicht mehr bedient, wie es in der Angebots-und-Nachfrage-Sprache heißt, die auch von Bischöfen und Kirchenpräsidenten gern gesprochen wird. Sie werden dann entweiht und abgerissen, verkauft oder umgewidmet, als Turnhallen oder Restaurants weiterbetrieben; beliebt ist auch die Umnutzung als Moschee, schließlich ist der Islam im Kommen. Ausgeschlossen ist lediglich der Betrieb als Spielhalle oder Bordell, einstweilen jedenfalls.
Die Kirche macht es wie die Bundesregierung, sie rüstet um. Wo die Mausoleen Gottes, ein Ausdruck Nietzsches, zumachen, da machen die zentralen Ämter auf. Das Kirchenpräsidentenamt in Darmstadt beschäftigt an die 250 Leute, das GEP, das Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik, das Dutzende von Organen, Portalen, Plattformen und sonstigen Diensten betreibt, rund 180 Mitarbeiter. Nicht die Innovation muss sich rechtfertigen, sondern das Bestehende, verkündet die moderne Kirche. Und bestraft ihren Ahnherrn Martin Luther, indem sie ihm in effigie die Augen verbindet.
Die Kirche will dem Zeitgeist dienen, und weil der flüchtig ist, muss sie den Glauben immer wieder neu erfinden. Beim Feminismus war sie von Anfang an dabei; nachdem die Frauen in den Führungsgremien die Mehrheit erobert haben, zieht das Programm allerdings nicht mehr. Dann kamen „Queer“ an die Reihe; doch auch die haben ihre Opferrolle ausgespielt, nachdem gleichgeschlechtliche Neigungen, wie ein (inzwischen pensionierter) Theologe spottete, zur Berufsvoraussetzung fürs Pfarramt geworden sind. Was blieb? Die LGBTIQ+-Community – und die wird nun bedient.
Das Evangelische Jugendpfarramt der Stadt Frankfurt warb für eine Gruppenreise zum CSD nach Köln. Die jungen Leute sollen Zeichen setzen, Haltung zeigen, für Akzeptanz, Respekt, Offenheit und so weiter – man kennt die Phrasen, weiß schon, was da gemeint ist; aber vielleicht doch noch nicht alle. Deswegen der Hinweis auf die Orte zur Entspannung, die Gelegenheit zum Austausch mit anderen Teilnehmern „und unseren Teamern“ bieten; die Teamer wollen schließlich auch was von der Sache haben. Wer dann immer noch nicht kapiert hat, dem wird versprochen, „dass wir gemeinsam mit euch die Zimmerverteilung und alle Regeln gendersensibel und offen angehen“. Denn in der Kirche soll Platz für alle sein.
Im Ganzen lautete der Text wie folgt (inzwischen, da vergangene Veranstaltung von der Webseite entfernt worden, hier noch aufzurufen):
„Was bei den einen für Menschenrechte und Selbstbestimmung steht, löst bei anderen Unsicherheiten oder Widerstand aus und wird sogar bekämpft. Immer mehr Länder – auch in Europa – drängen gewonnene Freiheiten wieder zurück: reproduktive Rechte für Frauen, LSBTIQ+-Rechte, die Möglichkeit zu Gender Studies und Sexualkundeunterricht. Auch in Deutschland ist eine Verschiebung und Verhärtung des öffentlichen Diskurses zu beobachten, sobald es um Gender, Feminismus oder LSBTIQ+-Themen geht. Was steckt dahinter und warum ist es wichtig, darum zu wissen? Was hat das Thema mit Diskriminierung zu tun? Welche Fragen und Aufgaben hat man besonders zu beachten, wenn man mit jungen Menschen oder im Bildungskontext arbeitet? Der Fachtag vermittelt Wissen und lädt zur Reflexion ein. Die Workshops bieten eine thematische Vertiefung und Impulse für die Jugend- und Bildungsarbeit.
Workshop 1: Antifeminismus und Queerfeindlichkeit online erkennen und handeln Workshop 2: Kreative Ansätze in der queeren Antidiskriminierungsarbeit Workshop 3: Jungen*arbeit – Eine Positionierung gegen Antifeminismus – Ansätze für die pädagogische Praxis Workshop 4: Gendersensibler Räume in der pädagogischen Arbeit mit trans*-, inter*- und nichtbinären Personen“
Das Ganze muss natürlich unterfüttert, wissenschaftlich ausgebaut und angeleitet werden, und dazu sind die kirchlichen Akademien da. „Gender, Sexualität und Menschenrechte“ hieß der Titel einer Veranstaltung, an der ich zu diesem Erkenntnisgewinn teilnehmen wollte, aber nicht durfte, denn wenn es ans Eingemachte geht, ist die Kirche nicht mehr für alle, sondern nur noch für „Fachleute“ da. Wer Fachmann/Fachfrau/Fachperson ist, also kommen, Fragen stellen und berichten darf, darüber entscheidet die Akademie in Abstimmung mit dem Bundesfamilienministerium, das auch bei diesem workshop als großzügiger Spender auftrat.
Neulich hatte sich eine große Zeitung über die Interessenten beklagt, die vor Versuchen am lebenden Objekt, in diesem Fall: an Kindern nicht zurückschrecken. Niemand, so die Zeitung, habe Einblick in das innere Erleben eines Kindes, das sich in seinem angeborenen Geschlecht nicht wohlfühlt. Nicht zu übersehen seien dagegen die ideologischen Kräfte innerhalb der Transgender-Bewegung, die eine offene Debatte mit allen Mitteln verhindern wollten. Als solche nannte die Zeitung die Grünen und die FDP; die Evangelische Kirche und das Familienministerium wären wohl hinzufügen.
Die Kirche hat Grund für solche Taschenspielereien. Bis heute beruft sie sich auf eine Schöpfungsgeschichte, die davon erzählt, dass Gott den Menschen nach seinem Bilde schuf, und zwar als Mann und Frau: was für ein Bild darf oder soll man sich von ihm nun machen? Früher kannte sie auch noch ein Kirchenlied, in dem es heißt: „Mit Mutterhänden leitet Er / Die Seinen stetig hin und her“ – Worte und Texte, aus denen sich doch nur eins ergibt: dass die Frage nach dem Geschlecht Gottes Blödsinn ist. Früher wussten das die Leute, heute dürfen sie es nicht mehr wissen. Sie sollen sich dümmer stellen als sie sind, denn wovon sonst würden die Fachleute leben, deren Beruf es ist, sinnlose Fragen zu beantworten?