Die Leiden des jungen L.: Signalisiert der CDU-Generalsekretär ein Scheitern der Koalitionsverhandlungen?

vor 3 Monaten

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Carsten Linnemann antwortet immer. Ganz gleich, ob gewöhnliche Bürger aus seinem Wahlkreis, einfache CDU-Leute, Journalisten oder Mitglieder aus Fraktion und Parteispitze. Ein Teil des großen Vertrauens, das dem CDU-Generalsekretär inner- und außerhalb der Union entgegenschlägt, hat mit dieser Verlässlichkeit zu tun.

Manchmal wird es spät, manchmal hat er einen schier endlosen Tag hinter sich, und es ist auch kaum ein Anliegen zu klein oder zu unwichtig, dass Linnemann sich nicht zurückmeldet. Das war als Abgeordneter so, ist so geblieben, als Linnemann Chef der Mittelstandsunion wurde und hat sich auch im Amt des CDU-Generalsekretärs nicht geändert. Mitunter geht es bis an die Grenzen der seelischen Belastbarkeit.

Immer nahbar: CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann auf einer CDU-Wahlkampfveranstaltung am 22. Februar 2025 in Paderborn.

Linnemann ist das, was man eine „ehrliche Haut“ nennt, und was in der Politik in dieser Form nicht zum Standard gehört oder zumindest auffällt. Positiv auffällt. Als er im Wahlkampf von den Kollegen bei Welt-TV gelöchert wurde, was passiere, wenn die SPD die harte Begrenzung der illegalen Migration nicht mittrage, rutschte ihm der Satz heraus: „Wenn es keinen Koalitionspartner gibt, der da mitgeht, dann können wir nicht regieren“. Eine gefährliche Festlegung für einen Profipolitiker, der eigentlich immer mit allen und jedem können muss. Bei Markus Lanz erklärte er, warum ein Ruck in der Wirtschaftspolitik durchs Land gehen müsse und dass er dafür in die Politik gegangen sei. Wenn das nicht möglich sei, könne er auch nach Hause gehen. Das Interessante ist: Ihm trauen viele genau das zu.

Unionsleute, die in diesen Tagen mit Linnemann telefonieren, berichten von einem mehr und mehr frustrierten, niedergeschlagenen CDU-Generalsekretär, der die Sackgasse nicht nur spürt, in die sich die Union manövriert hat, sondern auch mit sich ringt, was er davon mittragen kann.

Unionsmitglieder berichten von einem zusehends frustrierten CDU-Generalsekretär.

Öffentlich schaltet er bei kritischen Nachfragen meist in den Courage-Modus, erklärt mit Nachdruck und angestrengten Falten auf der Stirn, dass Deutschland gar keine andere Chance habe, als aus der jetzigen Delle herauszukommen, wenn man Wohlstand, Sozialsystem und Verteidigungsbereitschaft erhalten wolle. Im direkten Zwiegespräch klingt das dann schon mal etwas nachdenklicher und erinnert an die Tage im Wahlkampf, als er Interviews im Dutzend gab, um Missgeschicke von Kanzlerkandidat Friedrich Merz (Habeck als Wirtschaftsminister, Schuldenbremse etc.) wie „einzufangen“, wie man intern sagt. „Sie wissen doch selbst, wie es ist“, schiebt er in solchen Situationen nach. Es klingt dann wie eine Bitte um Verständnis und danach, ihn doch nicht noch weiter zu quälen. Linnemann verbiegt sich nicht.

Das Problem: In dieser Situation der Koalitionsgespräche gibt es für den CDU-Frontmann aus Paderborn, den Sohn einer Buchhändler-Familie, wenig zu beschönigen. Mit dem Milliarden-Schulden-Paket hat die Union der SPD-Gegenseite ein Geschenk gemacht, dass diese alles andere als „dankend“, sondern mit hämischem Grinsen entgegengenommen hat. Bei den inhaltlichen Gesprächen schaltet der Wahlverlierer SPD nun wieder auf Null und rechnet den Schulden-Vorschuss keineswegs als Liebesdienst an, der mit großzügigem Entgegenkommen gegenüber der Union goutiert wird. Im Gegenteil: Die Genossen verweisen darauf, dass am Schluss ihr Mitgliederentscheid steht, bei dem die Basis den Daumen über den Koalitionsvertrag hebt oder senkt.

Dr. Carsten Linnemann, Sohn einer Buchhändlerfamilie aus Paderborn, beim Schützenumzug in seiner Heimatstadt im Juli 2022.

Entsprechend schlecht ist die Stimmung an der Unionsbasis. In der Jungen Union ist der Unmut mit Händen zu greifen, namhafte Konservative machen sich immer öfter Luft, sagen Insider, und in der Fraktion soll es eine Gruppe von dreißig bis vierzig Abgeordneten geben, die Stand jetzt fest entschlossen sind, bei einem solchen „Stillstandbündnis“ nicht mitzumachen. Am Ende sind es in der Union dann nie so viele, die wirklich den Aufstand wagen, aber ein gutes Zeichen ist das nicht für Friedrich Merz, der unlängst beim FAZ-Leserforum erklärte, wenn diese Koalition nichts wird, dann sei er ohnehin weg. Die Union dürfte dann allerdings auch in den Keller rauschen.

Kein Wunder also, dass Bild bei den Worten von Linnemann am Montag in der Parteizentrale besonders gut auf die Zwischentöne hörte, als der vom „möglichen Koalitionspartner SPD“ sprach, den Zeitplan bis Ostern infrage stellte und Merz’ Aussage bei der FAZ als „Ehrlichkeit“ gewertet wissen wollte. Unter normalen Umständen harmlose Bemerkungen, in dieser Situation und aus dem Mund von Linnemann dann doch ein ernstzunehmendes Alarmsignal. Unionsleute, die ihn lange kennen, schließen zudem nicht aus, dass Linnemann am Ende sogar als Generalsekretär zurücktreten könnte, wenn er das Verhandlungsergebnis nicht mittragen kann oder will. „Er würde selbstverständlich Merz mitwählen, aber wenn er überzeugt ist, dass dieser Vertrag nicht trägt, kann man das nicht ausschließen“, meint ein Wirtschaftspolitiker der Union.

Linnemanns Problem: Theoretisch müsste er in seiner Position alles schlucken, was CDU-Parteikollegen ihm zumuten. Doch genau das kann er nicht.

Das Problem: Eigentlich KANN Linnemann nicht zurücktreten, ohne die gesamte Union in Turbulenzen zu stoßen und Merz eine Art Misstrauensvotum mitzugeben. Im Grunde müsse man in seiner Position auf Gedeih und Verderb alles schlucken, sagen Linnemanns Freunde. Doch genau das kann er nicht. Da sei er anders als andere Politiker. Im Augenblick kann der CDU-General allerdings die miese Stimmung an der Unionsbasis noch als Druckmittel für die eigenen Verhandler und gegenüber der SPD einsetzen und damit drohen, dass ein Koalitionsvertrag, der achtzig Prozent SPD und zwanzig Prozent Union enthält, keine Chance habe.

Ob das ankommt und jemanden beeindruckt, steht allerdings in den Sternen, unter denen ein mögliches Bündnis stehen würde. Ganz gleich, wie es ausgeht: Es sind keine guten.

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