
Wie steigt man in eine Geschichte ein, die einen bewegt und ein bisschen traurig macht? Antwort: Man steigt ein wie in ein Cabrio. Dach runter, Haare in den Wind, in die Sonne geblinzelt – herrlich. Dann regnet es oder es ist dunkel. Verdeck runter, Schluss mit dem Cabrio-Feeling. Bis morgen, tschüss Cabrio.
Und das genau ist der traurige Teil dieser Cabrio-Geschichte. Die Luft wird dünn für Cabriolets. Nicht für meines, ich habe schon lange keines mehr. Ich meine für alle Cabrios. Und für alle Cabrio-Liebhaber. Bis morgen, tschüss Cabrio? Es müsste besser heißen: Tschüss Cabrio, tschüss für immer.
Ein BMW 328 Roadster, Mille Miglia Unikat aus dem BMW Museum.
In Deutschland werden immer weniger Cabrios gekauft. Die Statistik des Kraftfahrt-Bundesamtes zeigt: Im vergangenen Jahr kamen 40.984 neue Cabrios auf die Straße – ein Fünftel weniger als im Jahr zuvor. Vor fünf Jahren waren es noch mehr als 70.000, vor 15 Jahren 103.000. Heute macht der Anteil von Cabriolets am Neuwagenmarkt insgesamt nur mehr 1,5 Prozent aus. Ein Sprecher vom Verband des Kraftfahrzeuggewerbes in Stuttgart sagte dem Spiegel: „Diese Zahlen bestätigen einen Trend, den wir in unserer Branche schon länger beobachten. Das Cabrio, einst Symbol für automobile Freiheit, steht unter Druck durch SUVs und E-Mobilität.“
Der Fachbegriff „unter Druck stehen“ galt jahrzehntelang für Cabrio-Fahrer, die das Verdeck ihres Autos nicht aufmachen konnten, weil draußen noch Schnee lag. Manche der ganz irren Cabrio-Fahrer sind dann schon im Februar offen gefahren, weil gerade die Sonne schien. Man lässt sein Cabrio nicht geschlossen – koste es, was es wolle.
Warum nur fahren die Menschen kaum noch Cabrios? Ich glaube nicht daran, dass die SUVs die Cabrios verdrängt haben. Die haben lange und mit bestem Einvernehmen zusammengelebt. Wer es konnte, hat den SUV am Wochenende abgestellt und das Mini-Cabrio, den offenen Peugeot oder den T-Roc rausgeholt. Ich glaube, das langsame Sterben der schönsten Autos der Welt hat einen andren Grund. Wenn du offen fährst, willst du dein Auto auch hören. Und: Darf’s noch ein bisschen Diesel sein, der aus dem Auspuff kommt? Oder doch lieber das Super-Benzin für den Oldtimer? In jedem Fall durfte es duften. Das gehört zum Cabrio-Leben dazu.
Aber auf einer toten Batterie zu sitzen und das Abenteuer der Freiheit genießen zu wollen – geht das zusammen? Ich glaube nicht. Meine Cabrios waren englische Autos mit lauten Einspritzanlagen, du hörtest jeden Tritt aufs Gaspedal. Oder unverschämte Achtzylinder, die bei jeder Beschleunigung röhrten wie ein Hirsch in der Brunft. Vielleicht waren Cabrio-Fahrer, die einen Morgan Plus 8 fuhren, auch wirklich irgendwie in der Brunft.
Lange vorbei, diese Fans gibt es kaum noch. Denn leider ist nicht nur der Absatz der Cabrios gesunken, auch das Angebot. Einst konnte man bei BMW oder Audi die Hälfte aller Modelle auch als Cabrio erwerben, heute beträgt dieser Wert noch knapp ein Fünftel. Bei Opel gibt’s kein einziges mehr. Die meisten Neuzulassungen konnte VW im vergangenen Jahr verzeichnen (7.718). Das verdanken die Wolfsburger allein dem T-Roc, der damit 2024 auch das meistverkaufte Cabrio war.
Mein gesunder Menschenverstand wehrt sich, dem schönsten aller Autos auf Wiedersehen für immer zu sagen. Es kann, es darf nicht sein. Und als Kronzeugen möchte ich einen Mann aufrufen, der nie ein offenes Auto kennengelernt hat, sondern nur offene Pferdekutschen. Er heißt Johann Wolfgang von Goethe (1749 bis 1832). Aber seine Weisheit war damals gültig – und sie ist es bis heute geblieben.
Er schrieb: Wenn ihr’s nicht erfühlt, ihr werdet’s nicht erjagen.