
Ziehen wir ein kurzes Resümee des Koalitionsvertrags: Die Politikwende fällt nicht aus. Es wird nur mehr von dem angestrebt, was grüne und rote Koalitionäre als „große Transformation“ dem Land schon zugemutet haben. Verhandlungsungeschick von Friedrich Merz reicht als Erklärungsansatz nicht aus. Sie wollen es so, die CDU folgt der SPD und den Ideen der Grünen bedingungslos:
Das mag ja noch ein paar Jahre halten, bis die Wegzehrung der monströsen Schuldenermächtigung, die „Sondervermögen“ genannt werden muss, aufgebraucht ist wie das überkommene Erbe der früheren Bundesrepublik. Das sollte man bedenken und sich daran orientieren. Es ist die Vollendung der großen Transformation, die die Ampel wollte und unter Merz beschleunigt fortgesetzt wird, weil mit der Einbeziehung der CDU in den Block des rot-grünen Lagers der Widerstand gebrochen wird.
Es ist ein grenzenloser Staat, dessen Regierung sich ein neues Volk sucht und das vorhandene als Steuersklaven betrachtet. Die große Transformation ist eine Politik, die den unaufhaltsamen Klimawandel mit allen Mitteln stoppen will und aus der schieren Unmöglichkeit die Konsequenz zieht, dass demokratische wie rechtsstaatliche Machtbegrenzungen einfach entsorgt werden, weil sie vermeintlich den von der Herrschaftsclique gewollten Klimazielen im Wege stehen. Dass ein Staat, der gegen die Interessen seiner Bürger handelt, notwendigerweise zum Unterdrückungsstaat wird, und dass die immer weiter zunehmende Lautstärke von Propaganda, Verteuerung, von amtlich verbreiteter Hetze auf Widersacher und wachsender Hass auf gedankliche Abweichler nur noch größeren Widerstand und noch größere Zwangsmaßnahmen nach sich zieht: Das zu erkennen, sind sie zu schlicht in ihren Gemütern. Historisches Bewusstsein fehlt.
Deshalb wird Friedrich Merz nur ein Übergangskanzler bleiben. Gut, das reicht ihm; ein paar Jahre Kanzlerkrone sind ja auch genug für einen Anwalt, der außer ein paar stattlichen Honorarnoten und lärmenden Reden nur Leere hinterlässt kurz vor seinem 70. Geburtstag. Und so lässt er sich treiben. Ein scharfzüngiger Autor meint, Friedrich Merz sei der große Betrüger, der Scharlatan, und die CDU die dazugehörige Zusammenballung von Tricksern und Lügnern, die es ganz genau so wollen, wie sie es jetzt in ihr Koalitionsprogramm geschrieben haben. Zu viel Ehre für Merz. Der plappert nur nach, was ihm die Sozis abverlangen, damit er ihre Stimme im Bundestag bei der Kanzlerwahl erhält.
Und das Verlangte ist von der besonderen Qualität, die eine Saskia Esken oder ein Lars Klingbeil halt so ausstrahlen. Weil sie mit der Leitung der Kantine einer Oberfinanzdirektion überfordert wären, wurden sie Parteivorsitzende. Nach der CDU ist das das bedauernswerte Schicksal der einst so ehrwürdigen sozialdemokratischen Partei, die heute für einen Helmut Schmidt oder Willy Brandt, um nur die Jüngeren ihrer Geschichte zu nennen, keinen Platz mehr auch nur als Pförtner in der Parteizentrale des Unterbezirks Gelsenkirchen fände.
„Und das wurde nicht ihr Staat“, lautet der Titel eines vergessenen Buchs aus dem Jahr 1985. Peter Mertz beschäftigt sich mit den Erfahrungen von Schriftstellern, die nach ihrer Emigration in der unmittelbaren Nachkriegszeit in die Bundesrepublik Deutschland kamen. Es beleuchtet, wie sie mit der neuen Umgebung, der Gesellschaft und den politischen Verhältnissen zurechtkamen – oder eben nicht. Für die allermeisten wurde die BRD kein Zuhause, sei es wegen kultureller Entfremdung, politischer Differenzen oder der Schwierigkeit, sich in einem Land zu integrieren, das von seiner Nachkriegsgeschichte geprägt war. Es wurde nicht ihr Staat. Heute sagen mir viele Leser: „Das ist mein Land, aber nicht mehr mein Staat.“ Es ist der Auszug der Deutschen aus der Bundesrepublik Bonner Prägung, in der Wohlstand, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie wuchsen und selbstverständlich wurden und die die Bürger der DDR auch für sich verwirklichen wollten. Die Pläne lösen Angst und Sorge aus.
Deutschland geht deshalb nicht unter. Es verplempert sich wirtschaftlich nur durch den Unsinn der neuen Planwirtschaft. Sein Gemeinsinn verkommt in dem Maße, wie Tradition und gemeinsame Kultur verfliegen und Repression zum Alltag wird. Es wird eine noch stärker gespaltene Gesellschaft: Viele aus dem Bürgertum werden es schon schaffen, ihren Kindern auch eine gute Ausbildung und Startchancen zu verschaffen, trotz des Elends im migrantisch und gewerkschaftlich geprägten öffentlichen Schulsystem; man kennt das von den teuren wie hervorragenden Privatschulen Großbritanniens. Nicht mehr „Klassenkämpfe“ werden die Gesellschaft erschüttern, sondern Auseinandersetzungen unterschiedlicher Identitäten. Amerikanische Migrationsforscher nennen es „Eth-Class Society“: Aus der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Herkunftsgruppe leitet sich auch der kulturelle und materielle Wohlstand ab; soziale Lage und Herkunft überschneiden sich. Das kann nicht friedlich abgehen; Schon jetzt fordern Muslime eine Islam-Quote im Bundeskabinett.
Verteilungskämpfe werden die Folge sein, die durchaus vorhandene Durchlässigkeit nach Leistung und Begabung wird blockiert, weil sich die da oben abschotten, und die da von unten Teilhabe einfordern. Das ist kein buntes, sondern tendenziell raues Multikulti. Den Vorgeschmack erlebt jeder, der einen Volksfestplatz oder Weihnachtsmarkt betreten will und von schwerbewaffneten Polizisten zwischen monströsen Merkel-Pollern kontrolliert wird – wobei schon heute die Hamburger Polizei wegen mangelnder Deutschkenntnisse das Lückendiktat bei Bewerbern abschafft.
Viele Gesellschaften Südamerikas haben sich so verkeilt ineinander, die Folgen sind bekannt. Mittlerweile wird ja selbst den woken Predigern unheimlich, was sie da geschaffen haben. Während Friedrich Merz, Boris Pistorius und Frau von der Leyen das Land auf Krieg einstimmen, stimmt das Volk Ole Nymoen zu und liest sein Buch: „Warum ich niemals für mein Land kämpfen würde: Gegen die Kriegstüchtigkeit“ ist derzeit der absolute Bestseller.
Und im Bildungsbürgerblatt des neuen Deutschlands sorgt sich eine Autorin, dass möglicherweise auch ihr verhätschelter Sohn, der doch zum „Denker, Verwalter, Lenker“ erzogen wurde, in einem matschigen Schützengraben verenden könnte – die Frage ist: Wie wird dieser Sohn wenigstens Drohnenpilot, um aus dem warmen Hinterhalt lenken und zuschauen zu können, wie die Kinder der Rechten im Grabenkampf verrecken, denn dazu sind die doch da?
Es ist ein schauriges Bild, das da entsteht. Einer gespaltenen Gesellschaft, in der selbst das rotgrüne Milieu nicht mehr unbegrenzt auf die Ressourcen und Kinder der arbeitenden Schicht zurückgreifen kann, sondern mit in den Mahlstrom gezogen wird.
Meine Bitte an Sie: Wie sieht Ihr Bild von der Zukunft Deutschlands aus? Kippt die große Transformation doch noch? Was sind Ihre Pläne? Wir sammeln Ihre Beiträge und bilden sie als Dokumente des Umbruchs ab. Es ist Zeit, Abschied zu nehmen von der alten Republik und sich neu zu sortieren.
Zeit, die Krise für sich zu nutzen.