
Um sich ein Bild von den Veränderungen des linken Lagers zu machen, sollte ein Betrachter sehr verschiedene Schauplätze zwischen Berlin und New York in den Blick nehmen, um die Punkte anschließend miteinander zu verbinden. Das progressive Glaubenssystem des Wokismus, mit der Linken nicht ganz deckungsgleich, aber eng verwoben, befindet sich auf dem absteigenden Ast, zumindest in den Vereinigten Staaten, auch in Großbritannien. Dort erklärte der Oberste Gerichtshof kürzlich, es gebe durchaus eine biologische Definition des Begriffs Frau. Der genau wegen dieser waghalsigen Ansicht aus der Universität Sussex weggemobbte Biologin Kathleen Stock sprach ein anderes Gericht eine Entschädigung von 585 000 Pfund zu. Die Zeiten ändern sich also allmählich, wenn auch nicht überall im gleichen Tempo.
Wer allerdings meint, der linke Komplex würde synchron mit der Lehre von weißer Schuld und Opferhierarchie schrumpfen, der unterschätzt die ungeheure Anpassungsfähigkeit des linken Kerns. Sobald die Immunkraft der restlichen Gesellschaft gegen eine Variante zunimmt, breitet sich die nächste schon aus. Dass die auf Beseitigung der bürgerlichen Gesellschaft kaprizierte Bewegung bis heute alle historischen Brüche und vor allem ihre eigenen Experimente ziemlich unbeschadet überlebte, verdankt sie schließlich nicht irgendeiner positiven Bilanz, sondern ihrem beneidenswerten Mutationstalent. Sie durchläuft gerade eine dieser Mutationen, weil sie sich auf zwei neue Wählergruppen einstellt. Um es vorwegzunehmen: Egal, in welchem der beiden Milieus linke Anführer Stimmen und Gefolgschaft suchen, sie werfen in jedem Fall viel Theoriegepäck ab.
Die Taxonomie der Xier-Xer-They-Neopronomen tritt genauso in den Hintergrund wie die toxische Männlichkeit. Von der Identitätspolitik bleibt nur übrig, was sich auch unter den neuen Bedingungen kapitalisieren lässt, nämlich nicht besonders viel. Der Charme des neuen Angebots der linken Parteien besteht vor allem in seinem sehr einfachen Zuschnitt. Für das, was kommt, bietet sich der Begriff Brachial- oder Raubsozialismus an, und das mit einer Zutat, um die es diesem Text ebenfalls gehen soll. Zusammenfassend lässt sich die aufgefrischte Grundorientierung etwa so beschreiben: weniger Berkeley, mehr Venezuela.
Den Raubsozialismus in der Praxis erklärte neulich die Fraktionsvorsitzende der Linkspartei in der Talkshow „Markus Lanz“. Dort wiederholte sie den Standpunkt ihrer Partei, mit der Vermietung von Wohnraum dürfe niemand Gewinn machen, wobei sie „Gewinn“ und „Mietwucher“ praktisch synonym verwendet. Als ihr der Moderator entgegenhielt, dass sich gut die Hälfte der Mietwohnungen im Eigentum von Kleinanlegern befinden, die damit für ihr Alter vorsorgen, und deren Einnahmen nach Steuern gerade die Inflationsrate halbwegs ausgleichen, zeigte sich Reichinnek unbeeindruckt: Niemand dürfe Mietwucher betreiben, auch Sparer mit einer Rendite von 2,5 Prozent nicht. Absicherung für später? Da müsse der Staat eben mehr Rente zahlen, dann brauche auch niemand eine Wohnung für seine Alterssicherung.
Natürlich weiß die Politikerin, dass die Rentenkasse schon jetzt ohne den jährlichen Zuschuss von gut 120 Milliarden aus der Steuerkasse noch nicht einmal die in Deutschland üblichen bescheidenen Beträge auszahlen könnte. Ab 2030, wenn sich die Babyboomer aus dem Erwerbsleben verabschieden, verschlechtert sich das Zahler-Empfänger-Verhältnis noch einmal drastisch. Mit diesem Wissen erreicht sie allerdings nicht die von ihr angepeilte Zielgruppe. Dieser Klientel verspricht ihre Partei einen generellen Mietendeckel, wie es ihn in Deutschland ab 20. April 1936 schon einmal gab, in der DDR unter leichter Modifizierung bis 1990. Außerdem sollen WG-Zimmer höchstens 400 Euro im Monat kosten.
Enteignung von Immobilien sieht das Parteiprogramm ebenfalls vor. Erst einmal für große Wohnungsunternehmen, aber grundsätzlich gibt es dort keine Eigentumsgarantie. Reichinnek könnte gar nicht deutlicher sagen, dass sie einer bestimmten Klientel etwas anbieten will, und deshalb jeden Wohnungseigentümer als legitimen Gegner betrachtet. Auch ein Angestellter, der rechnen und damit die künftige Rentenhöhe realistisch einschätzt kann, weshalb er vielleicht eine vermietete 60-Quadratmeter-Unterkunft zulegte, als das noch mit mäßigem Gehalt und Sparwillen ging, gehört für den neuen Stern der Linken jetzt zum kapitalistischen System. Er gehört folglich mit gestürzt. Um es kurz zu machen: Zum Gegner- und Beuteschema zählt im Plünderungssozialismus jeder, der irgendetwas aus eigener Kraftanstrengung besitzt, was andere gern besäßen oder zu Tiefstpreisen nutzen möchten. Im programmatischen Portfolio der SED-Fortsetzungspartei findet sich deshalb auch die Forderung nach staatlich verbilligten Lebensmitteln; subventioniert schon deshalb, weil ihr Preis deutlich sinken, der Mindestlohn aber gleichzeitig auf 15 Euro steigen soll.
Als Bonus fordert die Linkspartei eine Reduzierung der Arbeitszeit um 25 Prozent ab Außentemperaturen von 26 Grad. Das gab es nicht einmal in der DDR. Dass Reichinneks Trupp den antifaschistischen Kampf weiter intensivieren und dafür mehr staatlich finanzierte Stellen schaffen will, versteht sich von selbst. Ob für die Beschäftigten, jedenfalls die Planstelleninhaber auch hitzefrei gilt, fällt in die Rubrik ‘Nebenwiderspruch‘. Aber die klären sich bekanntlich früher oder später.
Als Linkspartei-Chef Jan von Aken im Wahlkampf eine Preisobergrenze für Döner und Schokolade forderte, machten sich einige aus der grünen Konkurrenz und der eine oder andere progressive Medienvertreter über seinen grob gezimmerten Materialismus lustig. Damit bewiesen er nur, wie sehr er noch in der alten linken Ideenwelt feststecke. Wie sehr, das merkte die Linke bei der Bundestagswahl. Das Paket mit kontrollierten Mieten, Staatsdöner und der Aussicht auf Geldakquise bei denen, die generell über ein bisschen davon verfügen, verkaufte sich namentlich über TikTok sensationell gut an eine überwiegend jüngere Kundschaft. Auf dem Gebiet des politischen Marketings setzten die Erben von Erich Honecker und Günter Mittag damit neue Standards.
Aus dem eben gar nicht so neobürgerlichen Grünen-Anhang wanderten 700 000 Wähler zu genau dieser Linkspartei mit ihrer Verheißung: Wir plündern für euch. Mittlerweile liegen Grüne und Linke in Umfragen etwa gleichauf. Das führte bei den Grünen erst zu einem Schock und dann zu einem sehr zügigen Schwenk. Die Vorsitzende der Grünen Jugend Jette Nietzard, die Reichinnek penibel kopiert, erklärte den „Kurs der Mitte“ für gescheitert. Aus ihrer Sicht operierte Robert Habeck mit seinen öffentlichen Nachdenklichkeitsübungen viel zu weit abseits von den neuen Erfordernissen. Den speziell grünen Plan zum Abkassieren der Normalbürgers – Krankenkassenbeiträge auf Zinsen und alles andere, was beim Sparen anfällt – trug der Spitzenkandidat a. D. im Wahlkampf beispielsweise so half assed but not half assed enough vor, dass viele Besitzbürger im grünen Wählerbereich trotzdem Lunte rochen und sich Richtung Union davonmachten, während diejenigen, die jeden mit Sparerträgen grundsätzlich für reich und schlachtfähig halten, mit Liebesentzug reagierten.
Solche Themen handhaben die Grünen nach dieser Erfahrung heute gründlich anders. Ihr Vizefraktionsvorsitzender Andreas Audretsch erzählte kürzlich im Bundestag, der Wohnungskonzern Vonovia hätte bei der Übernahme eines anderen Wohnungsunternehmens eine Milliarde Grundsteuer durch einen Trick „gespart“. Das sei ein Skandal. War es nicht; Vonovia kaufte Unternehmensanteile eines anderen Unternehmens und keine Wohnungen, es fiel also auf völlig rechtskonforme Weise gar keine irgendwie umgehbare Grundsteuer an. Von dieser angeblichen „Steuerlücke“ kam Audretsch dann zu etwas völlig anderem: Steuer- und Erbrecht für Immobilien, also ein Thema, das ohnehin kaum Konzerne betrifft, dafür aber alle Kleineigentümer. Durch die Streichung von „Privilegien und Ausnahmen“, so der Grünenvertreter, könnte der Staat auf diesem Gebiet 15 Milliarden Euro mehr einnehmen. Viele „Privilegien und Ausnahmen“ gäbe es hier gar nicht abzuschaffen: das Recht, eine Immobilie nach zehn Jahren steuerfrei zu verkaufen und die Finanzierungszinsen abzusetzen, Freibeträge für Erben, außerdem die Möglichkeit für Kinder, die Erbschaftssteuer zu vermeiden, wenn sie Haus oder Wohnung der verstorbenen Eltern bewohnen. Wer das verhindern will, kann seinen Bürgern auch gleich mitteilen, dass er private Vermögensbildung nur dann duldet, wenn die Früchte früher oder später überwiegend beim Staat landen.
Wie schon bei der Linkspartei weckt jetzt auch bei den Grünen selbst Kleinbesitz Begehrlichkeiten. Wenn Nietzard mit dem Spruch „eat the rich“ auf Instagram wirbt, meint sie keine Milliardäre, die sich von Plünderlinken sowieso nicht fangen und auswringen lassen. Sondern diejenigen, bei denen es tatsächlich sozialistisch-realistisch etwas zu holen gibt. Die 15 Milliarden Euro tauchen übrigens noch bei einer anderen Partei auf, der SPD. Ihr linker Flügel – und bei der Gelegenheit fragt man sich, was es dort sonst noch gibt – schlägt dem kommenden Parteitag die Einführung eines „Grunderbes“ in der Höhe von 20 000 Euro vor, ausgezahlt für jeden Jungbürger zum 18. Geburtstag. Diese Verteilungsaktion würde die nämlichen 15 Milliarden jährlich kosten; die nötigen Mittel dafür soll der Staat ebenfalls bei den Erben einsammeln. Schon seit längerem läuft eine medial-politische Kampagne, um Erbschaften an sich zum „leistungslosen Einkommen“ und damit zur öffentlichen Verfügungsmasse zu erklären. Im Fall eines breit gestreuten Geldgeschenks zur Volljährigkeit steht noch nicht einmal die Leistung einer Familie dahinter, sondern nur das Konzept, mit privaten Ersparnissen staatlich Begünstigte zu schaffen.
In tausenden Politikerwortmeldungen und Medienbeiträge betonen Etatisten immer wieder, welche Milliardensummen durch Erbe und Schenkung in Deutschland von einer Hand in andere gelangen, und beklagen es als Skandal, dass deren Besteuerung angeblich viel zu niedrig ausfällt. Als besonders talentiert in der Rahmensetzung zeigt sich Universalstichwortgeber Marcel Fratzscher vom DIW: „Die Dunkelziffer bei Erbschaften und Schenkungen ist groß.“ Es existieren tatsächlich keine genauen Zahlen darüber, wie welche Werte die Bürger in Deutschland durch Erbe oder Schenkung weiterreichen. Und zwar deshalb, weil die meisten Erbschaften und Schenkungen weit unter den jeweiligen Freibeträgen liegen. Etwa in der Hälfte der deutschen Erbfälle wechseln Werte bis maximal 33 000 Euro den Eigentümer. Der Staat erfasst nur steuerpflichtige Vorgänge. Indem der DIW-Präsident daraus, dass die meisten bestenfalls Kleinbeträge erhalten, eine „Dunkelziffer“ macht, empfiehlt er sich mit seinem feinen Gespür für die Zeitläufte schon einmal für den Posten des Vordenkers unter den Raubsozialisten.
Bei etwa einer Million Verstorbenen pro Jahr und einem steuerpflichtig übertragenen Vermögen in Deutschland von 121,5 Milliarden Euro (2023) ergibt sich sehr grob kalkuliert ein Durchschnitt von 121 000 Euro pro Fall. Da allerdings erstens längst nicht jeder etwas vererbt und über Kleinbeträge zweitens niemand Buch führt, fallen die tatsächlichen Zahlen geringfügig anders aus. Für 2023 ergab sich für alle steuerpflichtigen Erbschaften und Schenkungen ein Durchschnittsbetrag von 153 000 Euro pro Empfänger. Abzüglich der obersten zwei Prozent, also für 98 Prozent aller Begünstigten, 106 000 Euro. Diese angesammelten Rücklagen eines ganzen Lebens reichen in Ballungsräumen bekanntlich noch nicht einmal für den Erwerb einer Besenkammer.
Für die Hälfte der Erben und Beschenkten, siehe oben, entspricht das übertragene Vermögen bestenfalls dem Wert eines günstigen Mittelklassewagens. So zaghaft wie ständig behauptet fällt der Zugriff des Staates trotzdem nicht aus. Der Fiskus kassierte 2023 insgesamt 7,7 Milliarden Erbschafts- und 4,1 Milliarden Euro Schenkungssteuer. Diese Zahl macht die Proportion deutlich, um die es bei der Finanzierung der Grunderbschaft aus der Obrigkeitshand geht: Um zu diesem Zweck 15 zusätzliche Milliarden jährlich herauszupressen, also deutlich mehr als das, was die Finanzämter heute insgesamt einnahmen, müsste der Staat rücksichtslos bei den Erben mittelständischer Firmen zupacken – denn überhaupt nur dort kommt es zu großen Vermögentransfers –, er käme zweitens nicht umhin, die durchschnittlichen Erbschaften und Schenkungen drastisch höher zu besteuern als bisher, was bedeutet, dass es unmöglich bei den ohnehin nicht sehr üppigen Freibeträgen von 500 000 Euro für Ehepartner und 400 000 für Kinder bleiben kann. Und drittens würde das automatisch dazu führen, dass der Staat den Scheinwerfer auch in das fratzscher‘sche Dunkelfeld lenkt, also selbst bei Bagatellsummen noch abkassiert.
Bisher meinten alle Regierungen einschließlich Rot-Grün unter Gerhard Schröder, die öffentliche Hand sollte sich nicht an niedrigen Nachlässen vergreifen, die sowieso schon aus versteuertem Geld stammen und auch Firmenerben etwas Luft lassen, da dem Staat der Weiterbetrieb des Unternehmens mehr nützt als der einmalige Zugriff. Traditionssozialdemokraten sahen in der Vermögensbildung etwa bei Facharbeitern etwas, was in der Familie bleiben sollte. Diese Nachsicht gilt nicht mehr.
Stattdessen herrscht ziemliches Gedränge, wer jüngeren Menschen wieviel von den ursprünglichen Eigentümern weggesteuertes Geld zuwerfen darf. Die Bundes-SPD bietet in ihrem Antrag, siehe oben, 20 000, die Linkspartei 50 000, der thüringische SPD-Chef und Innenminister Georg Maier schlägt ein landespezifisches Grunderbe von 60 000 Euro vor. Den Satz ‘Thüringen ist ein reiches Land‘ erwartete man bisher nicht unbedingt. Jetzt versteht er sich offenbar von selbst. Der französische Esoterikökonom Thomas Piketty fordert ein staatliches Geldgeschenk von 120 000 Euro für alle 25-Jährigen. Damit liegt er an der schwer umkämpften Spitze, jedenfalls für den Augenblick.
Mit ihrem kompakten Programm aus Staatsdöner, Mietendeckel und Geld als Kamelle für die Jungen, dargeboten hauptsächlich auf TikTok von einer unterarmtätowierten Spitzenfrau, erreichte der Trendsetzer Linkspartei eine Verdoppelung der Mitgliederzahlen seit der Bundestagswahlkampagne, die mit einer deutlichen Verweiblichung und Verjüngung der ehemaligen politischen Heimat Erich Honeckers einhergeht. Nach Parteiangaben ist etwa die Hälfte der Genossen mittlerweile unter 35, der Frauenanteil liegt bei 45 Prozent. Heidi Reichinnek zieht nicht schlechthin Wähler an, sondern einen Typus. Wen eigentlich? Wer reißt der Linkspartei und ihren Adepten das Wirplündernfüreuch-Paket so begeistert aus den Händen? Dazu gleich.
Erst einmal noch kurz zu der Frage: Gab es nicht eine nichtsozialistische Partei gleich neben der SPD, also noch innerhalb der Brandmauer? Ja, früher einmal, so, wie die SPD früher ein anderes Konzept von breiter Vermögensbildung durch Leistung verfolgte. In Berlin beschloss die regierende CDU gerade gemeinsam mit der SPD die Schaffung eines so genannten Enteignungsgesetzes, das die Verstaatlichung von Unternehmen vorsieht, die nach Ansicht der Politik „zu wenig investieren“ und zu viel Gewinn ausschütten, aber auch, wenn sie sich nicht ausreichend bemühen, Klimavorgaben der Stadtregierung selbst, des Bundes und der EU zu erfüllen. Auch hier richtet sich die Begehrlichkeit vor allem auf Wohnungsunternehmen. Für die Ansicht, dass der Wechsel von Immobilien von privater in staatliche Hand die Wohnungskrise löst, existiert in der Hauptstadt eine breite Mehrheit. In dieser Ansicht steckt gar nicht so viel Irrationalität, wie ein Außenstehender auf den ersten Blick meint. Enteignete Behausungen lassen sich nämlich ähnlich wie expropriiertes Geld bestens an ausgewählte Leute verteilen. Wer zu den Profiteuren gehört, löst seine private Wohnungskrise damit im echten Leben. Und zwar nicht über den Umweg, sein Arbeitseinkommen dafür erhöhen zu müssen.
Aber gehörte der enteignende Zugriff nicht schon immer zum linken Kern? Grundsätzlich ja, nur eben mit dem Unterschied, dass selbst weit links postierte Politiker in anderen Zeiten den Feind nicht schon im Bürger ausmachten, der überhaupt etwas besitzt, und es ihm nehmen wollten, um das Gut einfach zu verschenken. Selbst Mittelständler galten ihnen in früheren Zeiten nicht als zu bekämpfende Ziele beziehungsweise ‘Oligarchen‘, wie sie der intellektuelle Star der Expropriations- und Umverteilungsbewegung Martyna Linartas ernsthaft nennt.
Den Wandel erkennt, wer einen Blick zurück ins Jahr 2002 wirft, also ein Wirtschaftssenator Gregor Gysi in einem Tagespiegel-Interview über sein Amtsverständnis sprach. „Die DDR ist an der permanenten Verletzung von Marktgesetzen gescheitert“, meinte er damals. „Und auch in Berlin wird dieser Versuch immer wieder gemacht. Ich finde hier ein weit verbreitetes staatssozialistisches Denken vor. […] Nicht jede Privatisierung ist göttlich, aber auch nicht jede Privatisierung ist gleich ein Werk des Teufels. […] Ich lebe in einer kapitaldominierten Gesellschaft und muss unter diesen Bedingungen versuchen, eine soziale Aufgabe zu lösen – nämlich den Abbau von Arbeitslosigkeit. Das geht nur mit den Mitteln des Kapitalismus und nicht gegen den Kapitalismus. Wenn ich hier versuchte, ihn zu bekämpfen, dann vergrößerte ich die Arbeitslosigkeit.“
Der zusammengebrochene Realsozialismus der DDR lag damals gerade 12 Jahre zurück, es gab noch genügend frische Erinnerungen und möglicherweise, ja sogar wahrscheinlich steckte in Gysis Ausführungen eine gute Portion Mimikry. Schließlich wollte er politisch mit der SPD ins Geschäft kommen, die sich von der heutigen SPD noch stark unterschied. Um die linke Anpassungsfähigkeit geht es in diesem Text ja gerade. Jedenfalls erklärte er es nicht zum Ziel, aus kleinen Wohnungseigentümern und Erben Geschenkgeld herauszuquetschen. Mit Sicherheit bekäme er mit diesen Worten von 2002 in seiner Partei heute keine Zehenspitze mehr auf den Boden. Und in seiner Senatorenzeit brachte er nachweislich kein Berliner Enteignungsgesetz auf den Weg. Dazu musste erst ein Regierender Bürgermeister mit CDU-Parteibuch kommen.
An wen richtet sich nun das offenbar erfolgreiche Angebot? Das Publikum dafür setzt sich aus mehreren Teilgruppen zusammen. Zum einen bildete sich in etlichen westlichen Ländern eine Schicht von Daueraktivisten heraus, in der man konsequent nach dem von Helmut Schelsky geprägten Satz „die Arbeit tun die anderen“ lebt. Nur funktioniert deren Versorgung mit Geld aus anderen Quellen nicht mehr ganz so glatt wie früher. Als Idealmodell für diesen Typus steht Trevor Lee Thomas Britvec für Hundertausende andere: Ein kurzes Video, das sich dann rasend schnell im Netz verbreitete, zeigte den nicht mehr ganz jungen Mann, wie er – als Demonstrant gegen die Ausweisung illegaler Migranten in den USA – zusammen mit anderen die Kreuzung Houston Street in Lower Manhattan, New York blockiert, und damit auch einer (schwarzen) Frau den Weg versperrt, die flehentlich darum bittet, sie durchzulassen, weil sie zur Arbeit müsse. „Oh no, not work“, antwortet ihr Britvec mit Spottgrimasse. Mit so etwas Nachrangigem und Lächerlichen, so sein Subtext, bräuchte sie ihm, dem Protestprofi, gar nicht erst zu kommen.
Nach dem, was andere Nutzer im Netz über ihn zusammentrugen, lief Britvec schon bei den Black Lives Matter-Kundgebungen mit, kassierte in einem Prozess gegen die Polizei einmal 115 00 Dollar Entschädigung und schafft es offenbar, sein Leben erwerbsarbeitsfrei zu halten. In diesem Gesellschaftssegment finden sich neben dauerdemonstrierenden Bürgerkindern auch Aktivisten, die von einem miserabel bezahlten linken Podium zum anderen wandern, beziehungsweise wie diese deutsche Autorin ertraglos podcasten, das Ganze als „kostenlose Bildungsarbeit“ bezeichnen und um Spenden bitten.
Daneben existiert noch eine zweite große und schnell wachsende Untergruppe, ebenfalls in mehreren Ländern, für die politische Motive nicht unbedingt zum Selbstverständnis gehören. Ein relativ großer Teil der Jüngeren findet in Deutschland, Großbritannien und Frankreich gar nicht erst ins Arbeitsleben hinein, mangels Qualifikation, aber auch, weil viele von ihnen keinen Sinn darin erkennen. Sie sehen, dass es kein wirkliches Aufstiegsversprechen mehr gibt wie noch in der Generation ihrer Großeltern. Sie wissen, dass selbst Leute mit mittleren Nettoeinkommen es heute nicht mehr zu Immobilieneigentum aus eigener Kraft schaffen. In Metropolen wie London und New York arbeiten diejenigen, die nicht in die professionelle Oberliga aufsteigen, nur für Miete und Lebensmittel, und das mit stundenlangem Pendeln, weil sich nur weit draußen ein bezahlbares 20-Quadratmeter-Loch findet. Für diesen Kreis bietet sich der Begriff ‘die Resignierten‘ an. In Deutschland vervierfachte sich die Zahl der 18-34-Jährigen ohne Berufsausbildung von 2013 bis 2024 von 460 000 auf 1,6 Millionen. Zusammen mit denjenigen ohne Studienabschluss gehören 2,9 Millionen zu diesem Kreis, gut 19 Prozent der gesamten Altersgruppe. Ein sehr ähnliches Bild zeigt sich in Großbritannien; dort nehmen mittlerweile 13,4 Prozent der 16-24-Jährigen nicht am Arbeitsleben teil.
Die Zahl markiert den höchsten Stand seit 11 Jahren. Sie schnellte vor allem in der Zeit der Corona-Maßnahmen nach oben, die bei tausenden zur Unterbrechung von Schule oder Ausbildung führten, ohne dass sie später wieder hineinfanden, die Ausbreitung von Fentanyl spielt eine Rolle, aber eben auch das Gefühl, es auch mit Arbeit nicht mehr nach oben zu schaffen. In Frankreich: nahezu die gleiche Geschichte.
In Großbritannien geht deshalb das Lob für den erlösenden Sozialismus gerade quer durch TikTok. Nach einer Umfrage machen 78 Prozent der Jugendlichen den Kapitalismus für die Wohnungskrise auf der Insel verantwortlich. Damit liegen sie noch nicht einmal ganz falsch: Die Forderung nach möglichst grenzenloser Einwanderung kam dort wie auch in anderen Ländern nicht nur, aber eben auch aus Firmenetagen mit der Begründung, das Land brauche Arbeitskräfte. Dass die Work Force nun einmal immer in Gestalt von Menschen kommt, die Platz beanspruchen, was zur Enge auf dem Markt für erschwingliche Wohnungen führt, muss oben im Penthouse der Gesellschaft niemanden kümmern.
Zwischen den Gerechtigkeitskriegern aus gutem, aber nicht ewig zahlungswilligen Elternhaus, den im Studium Gescheiterten, den schlecht oder gar nicht Ausgebildeten, den Kaputten und Resignierten gibt es nicht viel Gemeinsamkeiten, aber eine eben doch: Regelmäßige Erwerbsarbeit kommt in ihrem Lebensmodell nicht vor. Sie suchen auch meist nicht nach Sozialismustheorien, sondern nach einer Lösung für sich selbst hier und jetzt. Wenn ihnen die Brachiallinken Mietenbegrenzung, billiges Essen und ein Gratisgeld anbieten, treffen sie genau deren Bedürfnis. Sie greifen dankbar zu.
Für jemanden mit ständigen Klarna-Schulden stellen schon 20 000 Euro einen goldenen Berg dar. Und jemand mit Wohnung und ein paar ETFs gehört in ihren Augen zu den Reichen. Mit der Frage, was passiert, wenn Raublinke dafür die Mittelschicht enteignen, halten sie sich gar nicht erst auf. Diese Nachfrage bedienen nicht nur deutsche und französische Linkskräfte. Der Kandidat für das Amt des Bürgermeisters von New York Zoran Mamdani entspricht ziemlich genau dem Reichinnek-Paket: Mietenstopp, ständische, also staatliche Läden „ohne Profitinteresse“, um die Lebensmittelpreise zu senken, kostenloser Nahverkehr, staatlich gelenkte Energieversorgung. Zur Finanzierung schlägt er eine Erhöhung der Unternehmenssteuer um gut 50 Prozent vor, außerdem eine Sondersteuer für alle New Yorker, die mehr als eine Million Dollar pro Jahr verdienen. Damit gewann Mamdani, der sich als „demokratischer Sozialist bezeichnet“, mühelos die Vorwahlen der Demokraten. Und seine Chancen stehen gut, tatsächlich ins Amt zu kommen.
Die rein materielle Hoffnung auf umverteilte Beute erklärt zwar vieles, aber nicht alles. Unter denen, die meinen, dass es so etwas wie ein Recht auf Geld gibt, schwärt auch ein Hass auf die Reichen, die nur als Chiffre stehen für die älteren Generationen, die noch erschwingliche Immobilien, günstige Energie und einen sicheren Nahverkehr erlebten. Ihr hattet es gut, darum schuldet ihr uns etwas – so ungefähr lautet das unausgesprochene Mantra von Aktivisten, die sich über das Ermorden und vorherige Foltern von Besitzbürgern öffentlich Gedanken machen.
Um das zweite große und zumindest in Westeuropa noch schneller wachsende Wählerreservoir der neuformierten Linken in den Blick zu nehmen, bietet sich ein anderer potentieller Bürgermeister an: Ferat Koçak. Er gehört zur Kerntruppe der Linkspartei, seit er den Bundestagswahlkreis Neukölln gewann, der vorher zum ziemlich sicher geglaubten Terrain der Grünen gehörte. Bei seinem Einzug in den Bundestag stellte sich Koçak mit einer angeschnittenen Melone vor eine Kamera. Die Frucht nahm er nicht als Proviant mit: sie gilt mit ihren Farben als Symbol der Hamas und ihrer Anhänger. Solche Zeichen erkennt und schätzt man in seinem Teil Berlins. Auf der Plattform „Frag den Staat“ ließ Koçak die an ihn gerichtete Frage unbeantwortet, was er von dem Existenzrecht Israels hält.
Seine Chancen, bei den nächsten Wahlen als Regierungschef ins Rote Rathaus zu ziehen, stehen nicht schlecht. In der jüngsten Wahlumfrage schoss die Linkspartei Berlins um 13 Prozentpunkte nach oben auf Platz zwei, gerade wegen der Spitzenfigur Koçak. Zusammen mit Grünen und SPD, die der Linken mit deutlichem Abstand folgen, reicht das für eine knappe Mehrheit im Abgeordnetenhaus.
Wie schnell und geschmeidig sich die Grünen auch um diesen Teil des Wählermarktes kümmern, zeigten kürzlich die Vorgänge an der Carl-Bolle-Schule in Berlin Moabit. Deren Schüler, die zu 90 Prozent aus muslimischen Elternhäusern stammen, forderten eine offen schwulen Lehrer auf, aus der Einrichtung zu verschwinden, und zwar mit der Begründung: „Hier ist der Islam Chef.“ Der Urgrüne Volker Beck, 65 und seit 1985 Parteimitglied, reagierte darauf mit der Forderung, man müsse endlich über die aggressive Schwulenfeindlichkeit junger Muslime reden. Lamya Kaddor, die der Partei erst seit 2020 angehört, aber dort Blitzkarriere machte, weil sie alles Nötige für neue Zeiten mitbringt, stauchte Beck darauf öffentlich zusammen: Die Ereignissen der Bolle-Schule, belehrte ihn die Politikerin, hätten mit dem Islam überhaupt nichts zu tun, sondern nicht näher ausgeführte „strukturelle Gründe“. Und: Wer einen Zusammenhang zwischen Islam und Hass auf Schwule behaupte, mache sich des Rassismus schuldig. Genau dafür eignen sich die Überreste der Identitätspolitik immer noch gut. Fast zeitgleich forderte Kaddor übrigens eine Ramadan-Beleuchtung für Berlin. Weder die Partei- noch die Fraktionsführung sprang Beck zur Seite, geschweige denn, dass jemand die Frage stellte, ob Kaddor in diese Partei gehört. Sie wissen, dass die Carl-Bolle-Schüler, die nicht nur in Schulangelegenheiten den Islam für den Chef halten, in ein wenigen Jahren wählen dürfen. Um es mit der Sozialdemokratin Sawsan Chebli zu sagen: „Demographie wird Fakten schaffen“.
Das tut sie jetzt schon, mit etwas politischer Nachhilfe. Durch das Einbürgerungsgesetz der Ampel erhielten allein 2024 bundesweit 291 000 Migranten die deutsche Staatsbürgerschaft, fast 100 000 mehr als 2023. Dazu kommen noch jedes Jahr mehr als 20 000 Asylanträge für in Deutschland geborene Kinder von Asylantragstellern. Schon in wenigen Jahren verschieben sich dadurch in Ballungsgebieten die Wählermehrheiten drastisch. In einem RND-Interview meinte Reichinnek kürzlich: „Es bringt nichts, wenn die Grünen und wir uns 5 Prozent Wählerstimmen hin- und herschieben.“ Auch mit dieser Analyse liegt sie richtig. Mit den Islam-ist-Chef-Wählern endet der ewige Stimmenaustausch im Linkslager. Stattdessen gibt es eine echte Ausweitung der Kampf- und Gewinnzone. Daran denkt eine Lamya Kaddor, daran dachte auch die Chefin der Grünen Jugend Jette Nietzard, als sie in einem Video das Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023 als „Militäroperation“ bezeichnete. Zwar nahm sie ihre Bemerkung nach Protesten jüdischer Organisationen zurück. Das gesendete Signal kommt trotz dem an.
Volker Beck erwischte es gleich ein zweites Mal. Nach dem großen Aufzug der Israelfeinde und Freunde des politischen Islam in Berlin, bei der auch strafbare Symbole gezeigt wurden – beispielsweise eine Fahne des IS – erklärte Beck, er halte es für nötig, Antisemiten abzuschieben, wo immer es juristisch ginge.
Worauf ihn sein Parteifreund Daniel Eliasson, Vizefraktionschef der Grünen in der Bezirksverordnetenversammlung Steglitz-Zehlendorf, auf die neuen Zeiten hin- und zurechtwies: Selbst da, wo es möglich sei, dürfe niemand wegen Antisemitismus hinausgeworfen werden, Antisemitismus sei schließlich keine Straftat. Das trifft zu, allerdings herrscht auch keine akute Knappheit an Leuten mit antisemitischen Ansichten oder Vorlieben für IS-Flaggen und die Hamas, die der Staat wegen ihres deutschen Passes nicht mehr loswird.
Besonders etepetete verfuhren die Grünen nie, wenn es darum ging, sich den Zeitläuften anzuschmiegen und Stimmen zu sichern. Aber dass sie einen Altkämpen wie Beck und die ehemals umworbene Gruppe der Schwulen derart kaltblütig unter den Bus werfen – und die Juden gleich hinterher – weil sie bei der Akquise des neuen Wählermaterials stören, überrascht selbst abgebrühte Beobachter. Dass heißt übrigens nicht, dass es künftig in gutbürgerlichen Viertel keine auf die Straße gemalten Regenbogenstreifen im Pride-Monat mehr gäbe. Damit lässt sich einer zum Milieu gehörenden Firma nach wie vor ein Auftrag zuschanzen. Die neuen ehrlichen Grünen werden nur in Fällen wie der Bolle-Schule sagen, dass doch beide Seiten profitieren, wenn der schwule Lehrer verschwindet. Verglichen mit den mehrheitsfähigen Ansichten zu Juden, Schwulen und Frauen in der umworbenen muslimischen Klientel wirkt die AfD zwar locker wie ein CSD-Mottowagen der neunziger Jahre. Trotzdem kreuzt dieses Milieu, abgesehen von Arbeitsmigranten der älteren Generation, bei den linken Parteien an, die ihnen den „Ausbau des Sozialstaats“, noch großzügigere Einbürgerungsregeln und wohldosierten Antisemitismus anbietet.
Aus der Neuorientierung ergeben sich gerade für die Grünen und ihr Vorfeld bedeutende Änderungen auch jenseits der Frage von neuerdings lästigen Minderheiten. Das Thema Klimaalarmismus befindet sich aus mehreren Gründen sowieso schon im letzten Abschnitt seines Lebenszyklus, hauptsächlich durch thematische Erschöpfung. Das lässt sich schon daran ablesen, dass sich alle ehemaligen Größen mittlerweile auf anderen Bedeutungs- und Geschäftsfeldern tummeln. Greta Thunberg schippert zusammen mit Hardcore-Islamisten Mehltüten nach Hamastan, Luisa Neubauer bekämpft hauptsächlich den Faschismus, die „Letzte Generation“ heißt jetzt „Neue Generation“ und blockiert die Auslieferung von Presseerzeugnissen, die ihr mißfallen.
Vor allem aber passt die Klimahöllendrohung nicht zu den neuen Zielgruppen. Nicht zu der sehr materialistisch ausgerichteten Gruppe eins, Stichwort Billigdöner. Aber noch viel weniger zur zweiten und wichtigeren. Einen Syrer bekommt man nun mal nicht aufs Lastenrad. Das haben die Linken verstanden, obwohl sie sonst fast unbegrenzt an Erwachsenenerziehung glauben. Die Vorliebe für Fleisch und schnelle Verbrenner, idealerweise mit Klappenauspuff, gehört noch ein bisschen fester zur Matrix der neuen Kundschaft als deren Abneigung gegen Juden und Schwule. Eher geht eine Reichinnekanhängerin zu einem Volkswirtschaftskurs als eine Sonnenalleemutti zur veganen Kochschule. Und wer aus Ländern wie Afghanistan, Syrien und Irak stammt, hält Hitzeschutzpläne in Bad Salzuflen für eine noch albernere Angelegenheit als autochthone Normaldeutsche.
Das, was vor allem westeuropäischen Ländern bevorsteht, lässt sich also mit dem Begriff Raubsozialismus mit Prophetengrün zusammenfassen. Das einschlägige Erscheinungsbild sieht etwa so aus:
In Frankreich ordnete sich die Linke entlang dieser Linie schon längst neu. Die Allianz führt dort uneinholbar die islamolinke Partei von Jean-Luc Mélenchon an, der vor einiger Zeit in ein von ihm unbemerktes offenes Mikrofon die programmatischen Sätze sprach: Man solle die Arbeiter vergessen, die Zukunft liege bei den Jugendlichen in den Banlieues. Auch in Deutschland könnte sich eine Reichinnek-Koçak-Partei dauerhaft vor die Grünen und die SPD schieben, und zwar gerade deshalb, weil die beiden anderen sie so engagiert kopieren. Die meisten Stimmen landen erfahrungsgemäß beim Original.
Eine links-kleptokratisch-islamophile Herrschaft, mag mancher einwenden, könnte sich aber unmöglich über längere Zeit halten. Hoffentlich stellt sich das nicht als Irrtum heraus. In Venezuela klammert sich ein kleptokratisch-sozialistisches Regime sogar ohne islamgrüne Beigabe schon länger als 25 Jahre an die Macht, und es überlebte bisher alles: Den Tod der Gründerfigur Chavez, den Verfall des Ölpreises, die Abwanderung von fünf Millionen Landsleuten und 2024 sogar den Wahlsieg der Opposition, den der Regierungsapparat kurzerhand wegfälschte. Für den Machterhalt reichen drei Elemente: Eine Schicht wirklich privilegierter Funktionäre, etliche abhängige Kleinkleptokraten, die mitprofitieren – und die brutale Unterdrückung der Opposition.
Diese Entwicklung lässt sich in Westeuropa nur verhindern, wenn der Kapitalismus dort sein Aufstiegsversprechen wiederherstellt, am besten nach diesem Vorbild. Zugegeben nicht ganz einfach. Aber die Alternative nimmt jetzt konkrete Konturen an. Nein, es handelt sich nicht um eine Phase, die ohne größere Spuren vorbeigeht.