
An einem kalten Novembermorgen stehen unverhofft zwei Beamte der Kriminalpolizei Schweinfurt vor der Tür von Stefan Niehoff. Die Polizisten präsentieren dem vollkommen überraschten Rentner einen Durchsuchungsbeschluss – ausgestellt vom Amtsgericht Bamberg, beantragt von der dortigen Staatsanwaltschaft. Eine Koproduktion, die immer öfter zusammen findet.
Der Grund damals: Niehoff hatte ein Bild des Wirtschaftsministers Robert Habeck mit der Unterschrift „Schwachkopf Professional“, in Anlehnung an die bekannte Haarpflegemarke Schwarzkopf, auf X per Zitatfunktion geteilt. Eine Bagatelle, zudem als Meinungsäußerung zulässig, meinen Juristen. „Das ist dann ein Polizeistaat und kein freies Land mehr“, kommentierte auch der Medienanwalt Joachim Steinhöfel im November 2024 gegenüber Apollo News.
Gestellt worden war die Strafanzeige von Habeck selbst – aber erst, nachdem die Staatsanwaltschaft auf den Vizekanzler zugegangen war und ihm die vorliegenden Dokumente übermittelt hatte. Die Anzeige wurde dem Grünen-Politiker praktisch auf dem Präsentierteller serviert. Und währenddessen existierte bereits ein vom Amtsgericht unterzeichneter Durchsuchungsbeschluss, der – nachdem Habeck den Antrag im September unterschrieben hatte – dann auch vollstreckt werden konnte.
Das geschah zwei Monate später. Gegenüber Apollo News bestätigten die Ermittlungsbehörden, dass die Durchsuchung bei Niehoff Teil des 11. Aktionstags gegen Verfasser von „strafbaren Hasspostings“ war, bei dem es zu 127 polizeilichen Maßnahmen kam. Nancy Faeser feierte den Aktionstag damals auf X: „Wenn die Polizei vor der Tür steht, wird jedem Täter klar, dass Hasskriminalität Konsequenzen hat“, schrieb die Innenministerin.
Jetzt ist die SPD-Politikerin selbst auch in die Rolle der Antragstellerin geschlüpft. Und wieder waren es die Staatsanwaltschaft sowie das Amtsgericht in Bamberg, die für das Verfahren zuständig waren – und wie auch bei Niehoff ging es jetzt um den „Majestätsbeleidigungsparagrafen“ 188 im Strafgesetzbuch: „Gegen Personen des politischen Lebens gerichtete Beleidigung, üble Nachrede und Verleumdung“.
Der letztere Tatbestand, Verleumdung, ist für diesen Fall, in dem der Chefredakteur des Deutschlandkurier, einem AfD-nahen Medium, ein Bild von Faeser bearbeitet und verbreitet hatte, relevant. Die Innenministerin hatte sich im Januar 2024 anlässlich des Holocaust-Gedenktages mit einem Schild präsentiert, auf dem zu lesen war: „We Remember“. David Bendels, der betroffene Journalist, hatte diesen Schriftzug zu „Ich hasse die Meinungsfreiheit“ umgetextet.
Nachdem die Kriminalpolizeiinspektion Bamberg Faeser auf die Meldung aufmerksam gemacht hatte, erhob die Innenministerin Anzeige. Und wieder wurde die Staatsanwaltschaft hellhörig – nachdem die beim hessischen Innenministerium angesiedelte Meldestelle Hessen gegen Hass das auf X geteilte Bild beim bayerischen Landeskriminalamt gemeldet hatte. Staatsanwalt Alexander Baum, der schon an den Ermittlungen in der „Schwachkopf“-Affäre maßgeblich beteiligt war, übernahm auch diesen Fall und beantragte einen Strafbefehl.
210 Tagessätze wurden in dem am 5. November – also eine Woche vor der „Schwachkopf“-Razzia – ausgestellten Antrag gefordert, ab 90 Tagessätzen gilt man als vorbestraft. Dem Strafbefehl sowie zwei weiteren Anträgen wegen anderer Bildmontagen wurde durch das Amtsgericht stattgegeben (Apollo News berichtete). Insgesamt ging es um 480 Tagessätze – Bendels wehrte sich.
Doch auch in der Hauptverhandlung konnte er weder Staatsanwalt Baum noch den vorsitzenden Richter des Amtsgerichts, Martin Waschner, überzeugen – im Gegenteil. Aus den veranlassten Tagessätzen wurde eine siebenmonatige Haftstrafe, die jedoch zur Bewährung ausgesetzt wurde, weil Bendels noch nicht vorbestraft war. Der Richter veranlasste zudem, dass sich Bendels schriftlich bei Faeser entschuldigen müsse.
Dem Angeklagten wurde zur Last gelegt, er habe „erkennbar bewusst unwahre und verächtlichmachende Tatsachenbehauptungen“ über Faeser verbreitet. Weil er also vorgegeben haben soll, das Bild sei echt, wurde er derartig hart bestraft. Laut Bendels habe das Gericht außerdem erklärt, dass „Faeser nicht gegen die Meinungsfreiheit“ sein könne, da sie einen „Eid auf die Verfassung geschworen“ habe.
Jetzt möchte der Journalist gegen das Urteil vorgehen – während in den Hauptverfahren wegen der beiden weiteren Bildmontagen weiterhin verhandelt wird. Nicht nur das Vorgehen gegen Niehoff und das mehrfache Vorgehen gegen Bendels zeigt die Doktrin der Justiz- und Exekutivbehörden – auch in zig weiteren Fällen wird die Vorgehensweise der Ermittler von Bamberg deutlich.
Beginnen wir noch einmal bei Niehoff: Dessen Tochter lebt mit Down-Syndrom bei den Eltern – das interessierte die Ermittlungsbehörden aber offenbar wenig, als sie frühmorgens an die Tür des Rentners klopften, um daraufhin umgehend mit der Hausdurchsuchung zu beginnen. Als sich Apollo News dann mit einigen Anfragen an die Staatsanwaltschaft, von der die Durchsuchung ausgegangen war, wendete, blieb die Leitung still.
Einen Tag nach der Durchsuchung hatte Apollo News Details zu dem Fall bei der Behörde angefragt. Eine Antwort erfolgte trotz einer Nachfrage nicht. Als die Staatsanwaltschaft am Nachmittag schließlich telefonisch erreichbar war, erklärte ein Pressesprecher, dass „Serverprobleme“ die Beantwortung verzögert hätten. Auch eine erneute Nachfrage vom 14. November blieb seitens der Staatsanwaltschaft bis Freitag, den 15. November, ohne Reaktion.
Dann wandte sich die Behörde mit einer Pressemitteilung an die Öffentlichkeit und beantwortete die zuvor von Apollo News gestellte Frage, ob Habeck selbst die Anzeige gestellt habe. Außerdem wurde plötzlich erklärt, gegen Niehoff liege auch der „Anfangsverdacht“ einer Volksverhetzung vor – doch dieser wurde gar nicht als Durchsuchungsgrund in dem amtlichen Beschluss aufgeführt (Apollo News berichtete). Eine Verschleppungstaktik, um die Brisanz der Durchsuchung herunterzuspielen.
Klar ist: Die Behörde ging schon zuvor, allerdings weniger öffentlichkeitswirksam, gegen aufmüpfige Bürger vor. 2023 wurden Ermittlungen gegen den damaligen Bamberger CSU-Digitalbeauftragten Stefan Düring eingeleitet, weil dieser nach dem Atomausstieg „Order 66 für die Grünen!“ auf Facebook gefordert hatte – eine Anspielung auf den Befehl aus Star Wars, alle Jedi zu töten. Düring trat infolgedessen von seinen Ämtern zurück, ob er in dieser Angelegenheit verurteilt wurde, ist unbekannt.
Anders bei der Corona-Kritikerin Christiane Göbel. Das Amtsgericht verurteilte sie sowie ihren falsche Maskenatteste ausstellenden Arzt im Herbst 2021 wegen der Nutzung eines gefälschten Attests zu einer Geldstrafe von 250 Euro. Göbel hatte mehrere „Stay-Awake“-Demonstrationen in Bamberg mitorganisiert und rückte nach einer maskenlosen Kundgebung im Herbst 2020 in den Fokus der Staatsanwaltschaft, die eine großangelegte Durchsuchung – nicht nur bei ihr zu Hause, sondern auch in mehreren Arztpraxen und weiteren Objekten in Stadt und Landkreis Bamberg – veranlasste.
Auch bei diesen Fällen war Staatsanwalt Baum eingeweiht. Aber auch das Amtsgericht ist kein unbeschriebenes Blatt. Die Richterin, die den Durchsuchungsbeschluss in der „Schwachkopf“-Affäre ausgestellt hatte, Monika Englich, veranlasste bereits am 29. Juli eine Hausdurchsuchung wegen des „Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen“. Dem zugrunde liegt laut Tichys Einblick ein Beitrag eines 62-jährigen Mannes, der auf X geschrieben hatte, die AfD sei für ihn „alles für Deutschland!“.
Damit antwortete der Nordbayer auf eine Aussage des Arbeitsministers Hubertus Heil, der die AfD am 1. Mai als „Albtraum für Deutschland“ bezeichnet hatte. Dem 62-Jährigen warf die Richterin vor, die Parole „Alles für Deutschland“ sei unter anderem von der Sturmabteilung im Dritten Reich verwendet worden – und das hätte dem Beschuldigten zum Zeitpunkt der Verwendung bewusst sein müssen. Das wiederum führte die Amtsrichterin lediglich auf die „Presseberichterstattung über [das] Verfahren vor dem Landgericht Halle gegen Björn Höcke“ zurück, das ebenfalls strittig ist (Apollo News berichtete).
Es gibt weitere solcher Fälle, die diesem Muster folgen: Es kommt zur Anzeige, die Staatsanwaltschaft wird aufmerksam, das Amtsgericht spricht die Verurteilung aus oder folgt dem Strafantrag der Staatsanwaltschaft. Besonders brisant ist das im Zusammenhang mit Paragraf 188 des Strafgesetzbuchs, der eben auch bei Niehoff und Bendels zum Tragen kam. Insgesamt hat die Bamberger Staatsanwaltschaft in den vergangenen vier Jahren 52 Ermittlungsverfahren wegen dieses Paragrafen geführt, wie Apollo News auf Anfrage erfuhr (lesen Sie hier mehr).
Besonders absurd ist das, weil die Strafen im Rahmen von Paragraf 188 üppig ausfallen. Geht es um Verleumdung, wie es bei Bendels der Fall ist, liegt das Mindeststrafmaß bei sechs Monaten Freiheitsstrafe – darunter geht nicht. Wer also vorbestraft ist und im Rahmen des „Majestätsbeleidigungsparagrafen“ verurteilt wird, muss – das ist dann sicher – für sechs bis 60 Monate in Haft.
Faeser wusste das, als sie die Strafanzeige unterschrieb. Auch Baum und dessen Staatsanwaltschaft hatten als Juristen über diesen Umstand Kenntnis, als sie die Ermittlungen übernahmen. Nur weil Bendels nicht vorbestraft war, konnte das Urteil gegen ihn letztlich zur Bewährung ausgesetzt werden. Als Apollo News die Innenministerin mit dem Verfahren konfrontierte, blockte ihre Behörde ab: Das Ministerium „kommentiert grundsätzlich aus Respekt vor der Unabhängigkeit der Justiz keine Gerichtsentscheidungen in Einzelfällen“, hieß es lediglich.
Nicht nur in Juristenkreisen, auch bei Politikern stößt das Urteil jedoch auf Kritik. Sogar Ricarda Lang äußerte sich zu dem Verfahren gegen Bendels. „Sorry, aber so ein Urteil hat nichts mehr mit Verhältnismäßigkeit zu tun“, schrieb die ehemalige Grünen-Vorsitzende am Donnerstag auf X. Noch klarer brachte es erneut Steinhöfel gegenüber Apollo News auf den Punkt: Natürlich dürfe man Faeser derartig kritisieren, so der Medienanwalt, „weil sie sich in einer Weise verhält und sich auch schon so geäußert hat, dass das diese Satire zulässt.“
Damit beruft er sich auf Faesers Satz, den sie im Rahmen der Vorstellung eines Maßnahmenpakets gegen Rechtsextremismus Anfang 2024 äußerte: „Diejenigen, die den Staat verhöhnen, müssen es mit einem starken Staat zu tun bekommen“, meinte die Innenministerin. Steinhöfel fällt dazu ein klares Urteil: „Nach der alten Orwell-Regel: Alle Tiere sind gleich, aber manche sind gleicher. Die Politiker räumen sich Sonderrechte ein.“ Zumindest in Bamberg sind Faeser und Habeck damit offenbar herzlich willkommen – hier wird ihre Doktrin juristisch in Reinform durchgesetzt.