
Die Polizei beschützt uns? Na ja, zuerst beschützt sie den Staat. Überall dort, wo große staatliche Macht ist, muss kritisch hingesehen werden. Eigentlich eine Binsenweisheit unter Liberalen und klugen Konservativen. Die Macht der Polizei ist allerdings ein blinder Fleck dieses politischen Spektrums. Mehr kritischer Geist wäre begrüßenswert – auch für die Polizisten selbst.
„Mehr Ausrüstung, mehr Training, mehr Rückendeckung: Wenn wir nicht unsere Polizisten schützen, dann schützt uns niemand mehr“, schrieb der geschätzte Julius Böhm bei NIUS am vergangenen Freitag. Trauriger Anlass für seinen Text war der in Völklingen von einem 18-jährigen Räuber getötete Polizist Simon B.
In Völklingen kam der Polizist Simon B. bei einem Einsatz durch einen 18-jährigen Täter ums Leben.
Es ist mir wichtig zu betonen, dass meine Kolumne explizit nicht in diesem Kontext stehen und erst recht nicht als zynisches Drauftreten auf Polizisten, die im Einsatz ihr Leben verlieren, verstanden werden soll. Es geht mir ausschließlich um die „schützen uns“-Behauptung, die zu interessant ist, um sie nicht zu kommentieren.
Auch die Forderung nach mehr Rückendeckung ist spannend. Immerhin genießt kaum ein Beruf in Deutschland höhere Achtung in der Bevölkerung als der Beruf des Polizisten. Laut einer Umfrage der Beamten-Gewerkschaft „dbb beamtenbund und tarifunion“ aus dem Jahr 2024 ordnen 81 Prozent der Befragten Polizisten ein hohes Ansehen zu. Nur vier andere Berufe können noch bessere Werte erzielen. Das mag viele Polizisten überraschen, weil sie natürlich überproportional mit den anderen 19 Prozent der Bevölkerung zu tun haben, lässt aber objektiv keinen Mangel an Rückendeckung erkennen. Zum Vergleich: „Normale“ Beamte konnten lediglich 35 Prozent erzielen.
Personenkontrolle im Hauptbahnhof Stuttgart. Polizisten der Bundespolizei überprüfen junge Männer am Bahnsteig.
Bei solchen Beliebtheitswerten ist es kein Wunder, dass unzählige Kinder mit dem Traum aufwachsen, Polizist zu werden. Die Kriminellen verfolgen, die Unschuldigen beschützen, für Recht und Ordnung sorgen. Das ist das Bild, das die Mehrheitsgesellschaft – von den Kindergärten bis in die Altersheime – von der Polizeiarbeit hat.
Was soll also interessant oder diskussionswürdig oder gar kritikwürdig an der These sein, dass diese Polizisten „uns alle“ beschützen?
Na ja, der freiheitliche Mensch muss erkennen, dass jeder Polizist zunächst Teil des Staates ist. Ein bewaffneter Teil des Staates. Ein Polizist ist ein Mensch, der sich freiwillig meldet, jedes einzelne Gesetz des Staates notfalls mit Waffengewalt durchzusetzen. Das mag drastisch klingen, aber nichts anderes tut die Polizei. Und wenn es nur um ein nicht bezahltes Blitzerfoto geht, in letzter Konsequenz werden bewaffnete Männer vor der Tür des Bürgers auftauchen und ihn zwingen, zu zahlen.
Natürlich sorgt die Polizei auch für unsere Sicherheit. Auf Volksfesten, bei Fußballspielen, während Demonstrationen. Sie beschützt gefährdete Personen, sie klärt Straftaten auf, sie sichert Synagogen – warum auch immer deren Schutz im besten Deutschland aller Zeiten notwendig ist.
Einsatzkräfte nach dem Pokalfinale VfB Stuttgart – Arminia Bielefeld im Mai.
Das ist der sinnvolle Teil der Polizeiarbeit, den es so oder so ähnlich auch in einem libertären Minimalstaat geben würde. Leider gibt es einen ganz großen Batzen an Arbeit, die eben nicht den einzelnen Bürger schützt, sondern die Interessen des Staates.
Mit recht harmlosen, aber sinnbefreiten Gängeleien wie Blitzermarathons – nach deren Vollendung ich schon mit 50 Stundenkilometern fahrende Polizeiwagen in 30er-Zonen bestaunen durfte – fängt es an. Mit frühmorgendlichen Hausdurchsuchungen zwecks Einschüchterung von Menschen, die es wagen, ihre Meinung etwas unschön auszudrücken, geht es weiter. Und es hört auf mit Polizisten, die während Corona auf lebensgefährliche Art Jugendliche durch den Park hetzen, die das Verbrechen begangen, sich zu umarmen.
Polizisten greifen bei einer verbotenen Demonstration während der Corona-Pandemie 2021 ein.
Keine Polizeigewerkschaft kritisiert diese Exekutiv-Eskapaden. Kein Polizist fordert weniger staatlichen Blödsinn, damit sich auf das wirklich Relevante konzentriert werden kann. Lieber wird freudig im Internet geteilt, wenn mal wieder ein paar Gramm Drogen konfisziert wurden oder der Oma auf dem Weihnachtsmarkt das Buttermesser weggenommen wurde.
Dabei wäre es doch im ureigensten Interesse eines jeden freiheitlich gesinnten Polizeibeamten, auf derartige Missstände hinzuweisen. Genau wie die Forderung nach mehr Kontrolle der eigenen Arbeit zu stellen, anstatt immer gegen Transparenz-Maßnahmen wie die Kennzeichnungspflicht zu protestieren.
Als die FDP 2017 zusammen mit der CDU eine Landesregierung in NRW bildete, war eine der ersten Maßnahmen die Abschaffung der Kennzeichnungspflicht für Polizisten. Das war damals kein Kompromiss, sondern ausdrücklicher Wunsch beider Parteien. Eine sich liberal nennende Partei, die gegen die Kennzeichnung von Polizisten im Dienst ist? Ein eklatanter Widerspruch. Kritik und Begrenzung von staatlicher Macht ist elementarer Bestandteil des Liberalismus. Wo kann Kontrolle wichtiger sein als bei den einzigen Menschen im Land, denen es erlaubt ist, mit Schusswaffen durch die Gegend zu laufen?
In jeder Berufsgruppe gibt es schwarze Schafe, bei der Polizei ist deren Identifizierung und Entfernung aus dem Dienst von besonderer Bedeutung. Solange aber selbst eine harmlose Maßnahme wie die Kennzeichnungspflicht kontrovers ist oder Bodycams in entscheidenden Momenten nicht laufen, diskreditiert jeder Einzelfall von Polizeigewalt das gesamte System. Solange es keine saftigen Sanktionen bei Fehlverhalten und großzügige Schadenersatzsummen für Opfer von Polizeigewalt gibt, existiert ein freiheitsgefährdender Missstand bei der deutschen Polizei.
Nur ein Ausdruck der zu großen Machtasymmetrie: Seit 2017 stürmte die Polizei in Nordrhein-Westfalen 17-mal die falsche Wohnung. Im März 2023 zum Beispiel eine Bielefelder Wohnung, in der SEK-Beamte dann einen unschuldigen Uni-Dozenten verprügelte, während sie dessen Frau eine Pistole an den Kopf hielten. Die Polizisten hatten sich in der Etage vertan. Ob es ernsthafte Konsequenzen für die Beamten oder adäquaten Schadenersatz für das Ehepaar gab? Wohl kaum. Wie so etwas passieren kann? Eben weil es keine nennenswerten Konsequenzen bei Fehlverhalten gibt.
Razzia in einem Haus in Essen 2018. Seit 2017 stürmte die Polizei in Nordrhein-Westfalen 17-mal die falsche Wohnung.
„War halt ein Flüchtigkeitsfehler. Passiert, haben ja nur zwei unbescholtene Bürger traumatisiert, hoppala“, so oder so ähnlich könnte der Gedanke der Freifahrtschein-Polizisten lauten.
Wäre ich Polizist, wären meine drei Forderungen: Bodycams müssen immer laufen, die individuelle Kennzeichnungspflicht muss überall bestehen und Schadenersatz wird von den Pensionsgeldern aller Polizisten bezahlt. Diese Forderungen würden nicht das Misstrauen, sondern das Vertrauen in die Polizei stärken. Sie würden Anreize schaffen, einzelne, dem Beruf nicht gewachsene Beamte schneller zu sanktionieren und würden dem Bürger eine größere rechtliche Sicherheit bei Kontakt mit Polizisten verschaffen.
Zudem sollte politisch der polizeiliche Aufgabenbereich verkleinert werden. Keine Verfolgung mehr von Meinungsdelikten, keine Konfiszierung von Messern, kein Kampf gegen die Drogen, keine Drangsalierung von Autofahrern. Die Bürger und ihr Eigentum schützen, nicht den Staat und seine Neurosen. So eine Polizei darf dann auch gerne, wie von Julius Böhm gefordert, bessere Ausrüstung, größere Budgets, mehr Trainings und noch mehr Rückhalt bekommen.
Es ist wichtig, die relevante Arbeit der Polizei zu honorieren. Es ist genauso wichtig, die freiheitseinschränkende Arbeit der Polizei zu kritisieren. Es ist richtig, dass ein Polizist die notwendigen Befugnisse besitzt, um ohne großes Zögern richtig zu handeln, wenn ein Messermann auf ihn zuläuft. Es ist genauso richtig, dass diese überragenden Befugnisse mit ebenso großer Transparenz, Kontrolle einhergehen. Das müssen die zwei Seiten derselben Medaille sein.
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