
Ein Wirtschaftsminister sollte rechnen können. Auch von einem Wirtschaftsminister, der wie Robert Habeck zugleich Klimaschutzminister ist, sollte man erwarten, dass er die Kunst des Addierens, Subtrahierens und Multiplizierens beherrscht. Bei dem Grünenpolitiker kann man sich da nicht immer sicher sein.
Wirtschaftsminister Habeck verlässt nach einer Pressekonferenz den Saal der Bundespressekonferenz.
Wenn Habeck von Wirtschaft spricht, meint er die Transformation hin zu einer klimaneutralen Ökonomie. Er misst Wirtschaft an der Elle des Klimaschutzes. Gut ist in dieser Perspektive, was der Dekarbonisierung dient. Schlecht ist, was auf fossilen Rohstoffen beruht. Habecks Parteifreundin Luisa Neubauer redet gar vom „fossilen Faschismus“, den es zu besiegen gelte. So schließt sie den Kampf gegen die Erderwärmung und den Kampf gegen tatsächliche oder eingebildete autoritäre Gefahren maximal drastisch kurz.
Habeck wiederum flüchtet auf ganz eigene Weise aus der Realität. Nicht zum ersten Mal verkündete er nun eine blanke Unwahrheit: „Die Inflation sinkt, die Preise gehen runter.“ So formulierte Habeck es wörtlich bei einer Industriekonferenz seines Hauses und des Bündnisses „Zukunft der Industrie“. Der promovierte Literaturwissenschaftler sollte gebildet genug sein, um zu wissen: Eine sinkende Inflation bedeutet eine Verlangsamung des Preisanstiegs. Die Produkte werden unverändert teurer, die Preise gehen hoch, nur eben in geringerem Tempo.
Robert Habeck beim Industrietag 2024.
Warum aber trägt Habeck wieder und wieder solchen kontrafaktischen Unsinn weiter? Und welche Lehren hält die notorische Flucht des Robert Habeck aus den Sphären der Mathematik und der Wirklichkeit bereit?
Fünf Lektionen sind es, die das fortgesetzte Flunkern des Ministers den Bürgern liefert:
Erstens ist Objektivität kein Maßstab mehr, an dem sich Politiker orientieren. Die gute Absicht und die überlegene Emotion zählen mehr als das Faktum. Auch nach dem Ende der Ampel-Regierung rief Habeck seinen Gefühlshaushalt als Kronzeugen an. Das Aus für die Koalition der drei Parteien am Tag nach der Wahl von Donald Trump, so Habeck, fühle sich nicht gut an.
Die Grünen mögen die infantile Wende besonders stark forcieren – doch keine Partei und kaum ein gesellschaftliches Feld sind davon verschont. Die Welt ist zur Vorstellung geworden, die Einbildung regiert.
Zweitens weiß Habeck als Propagandist der Energiewende, was zu tun ist, um einer gescheiterten Sache das Kainsmal ihres Scheiterns auszutreiben: unverdrossen das Gegenteil behaupten. Ein Hochleistungsindustrieland, das seine Energie ausschließlich aus erneuerbaren Energien bezieht, wird es vermutlich nie geben. Die Kosten sind zu hoch. Habeck behauptet es dennoch.
Genauso behauptet er hartnäckig, die Preise würden sinken, obwohl sie steigen. Er setzt darauf, dass eine Lüge wahr klingt, wird sie nur oft genug wiederholt.
Drittens instrumentalisiert Habeck wie noch kein Vorgänger den Nimbus seines Amtes. Wenn ein Wirtschaftsminister sagt, die Preise würden sinken, muss doch etwas dran sein: Diese in 75 Jahren Bundesrepublik eingeübte Vermutung macht sich Habeck zunutze. Er ist ein Meister des Rollenspiels. Er simuliert Kompetenz, indem er sich staatsmännisch gibt. Er wirft seine Fantasien als Erkenntnisse aus. Er nimmt die Pose eines staatlich legitimierten Experten ein – und spekuliert auf die typisch deutsche Obrigkeitsverehrung.
Viertens nämlich kann der Opportunismus der deutschen Wirtschaft nicht überschätzt werden. Schallendes Gelächter wäre die einzig angemessene Reaktion der Managerelite auf Habecks Märchenstunde gewesen. Stattdessen lauschte man brav und wog den Kopf hin und her. Mit Habeck wurde bedächtig diskutiert, als habe man es mit einem ernsthaften Gesprächspartner zu tun, nicht mit einem ökonomischen Scharlatan. Wo die Unwahrheit sich aber unwidersprochen spreizt, da wuchert sie weiter und verwirrt alles.
Siegfried Russwurm hatte kein kritisches Wort für Robert Habeck.
Fünftens schließlich zeigt die Inflationslüge: Die neue deutsche Politik unter dem Banner von Emotion, Subjektivität und Infantilität testet gerade ihre Grenzen aus. Habeck will wissen, wie weit er gehen kann. Auch da ist er kein Einzelfall. Gerade weil die Zustimmungswerte für die beiden verbliebenen Parteien der Regierung im Keller verharren, werden keine Rücksichten mehr genommen. Habeck richtet sich im Kontrafaktischen ein, weil er die Welt des Faktischen gegen sich hat.
Nicht nur der Zustand der Wirtschaft, sondern auch der Zustand der Demokratie kann zu Sorgen Anlass geben. Eine Regierung, die immer öfter die Wirklichkeit nicht anerkennt, wird zur ideologischen Kadergruppe. Robert Habeck ist ihr Vorturner.