
Die Idee der Schüler-ID ist nicht neu und war bisher mit Blick auf die drohende Gefahr eines Verlusts informationeller Selbstbestimmung (so Peter Schaar) immer wieder zurückgewiesen worden. Nun soll sie doch kommen: Die Koalition will die Einführung einer „datenschutzkonformen Schüler-ID“ (Zeile 2322 im Koalitionsvertrag). Ziel soll sein, dass „kein Kind oder Jugendlicher im System verloren geht“.
Was genau mit der Schüler-ID erfasst werden soll, ist noch unklar. Möglicherweise werden über den Bildungsverlauf mit Angaben zu Abschlüssen und Schulbesuchszeiten hinaus auch „Förderbedarfe, bereits in Anspruch genommene Unterstützungsangebote sowie Sprach- und Entwicklungstests im vorschulischen Bereich“ erfasst werden. Dies verwundert angesichts der Tatsache, dass ein Zugriff über die Schüler-ID auf die Zeugnisse mit Inhalten und Noten aus Datenschutzgründen gerade nicht vorgesehen ist: Wieso sollen „Förderbedarfe“ nicht gleichermaßen datenschutzwürdig sein? Wie wird der Schutz vor einer „algorithmischen Diskriminierung“ gewährleistet?
Ferner soll die Schüler-ID mit der BundID, auch digitales Bürgerkonto oder allgemeiner Bürger-ID genannt, verknüpft werden (Koalitionsvertrag Zeile 2322 f.). Die Bürger-ID baut auf der eID zur digitalen Identifizierung auf und ist seit dem Registermodernisierungsgesetz (2021) automatisch jedem Bürger zugewiesen. Die Nutzung der Bürger-ID war aber bisher nicht verpflichtend und nur für bestimmte digitale behördliche Dienste erforderlich. Die Bürger-ID, also auch die Schüler-ID, wird über die eID mit der – bisher als freiwillig vorgesehenen und bis 2027 flächendeckend einzuführenden – EUDI-Wallet (European Union Digital Identity Wallet) verzahnt werden.
Die „Verfassungsmäßigkeit“ der Bürger-ID wird „von zahlreichen Seiten grundlegend bezweifelt“, da hier im Unterschied etwa zur Steuer-ID keine eindeutige Zweckbindung vorliegt. Dieser Einwand könnte auch für die Schüler-ID gelten. Wenn die Schüler-ID keine eindeutige Zweckbindung erhält, zudem Daten mit Zugriff auf das Persönlichkeitsprofil gespeichert werden und höchste Datenschutzanforderungen auch in technischer Hinsicht nicht gewährleistet sein könnten, dann könnte auch ihre Verfassungsmäßigkeit bezweifelt werden. Hinzu kommt, dass die Schüler-ID, sollte sie verpflichtend gemacht werden, indirekt die Nutzung auch der Bürger-ID verpflichtend machen würde. Tatsächlich will die Koalition die Bürger-ID nun auch verpflichtend machen (Zeile 1805).
Wir dürfen gespannt sein, wie die Koalition diese – und weitere Fragen – bei der konkreten Ausgestaltung der Schüler-ID lösen wird.
Aber wozu brauchen wir die Schüler-ID eigentlich? Die persönliche, verantwortungsvolle Begleitung des Bildungswegs unserer Kinder ist die Aufgabe der Lehrer und Angehörigen, die durch keine digitale Kontrolle ersetzt und wohl auch nicht durch diese sinnvoll unterstützt werden kann. Wem nützt die Schüler-ID dann? Und wollen wir Bürger, die ein analoges Leben führen möchten, auch in den basalen Bereichen ihrer Lebensführung zur Digitalisierung zwingen?
Zur Autorin: Prof. Dr. phil. Henrieke Stahl lehrt an einer deutschen Universität slavische Literaturwissenschaft mit Schwerpunkten in der russischen Literatur, Philosophie und Kultur. Sie ist Bundesfachsprecherin für Kultur, Medien und Wissenschaft der WerteUnion. Dieser Artikel gibt die private Meinung der Autorin wieder.