
„Im Bamberg des 17. Jahrhunderts konnte es jeden treffen: Es brauchte nur einen missgünstigen Nachbarn, einen enttäuschten Verehrer. Dann begann eine Spirale aus Verhören und Folter. Am Ende stand fast immer der Scheiterhaufen.“
So beschreibt der Bayerische Rundfunk die Bamberger Hexenprozesse. In nur 19 Jahren, zwischen 1612 und 1631, wütete die Justiz in der oberfränkischen Bischofsstadt wie nirgendwo sonst im späteren Deutschland. Mindestens 884 Menschen wurden der Hexerei oder der Zauberei beschuldigt und hingerichtet – oder besser: ermordet.
„Aus dem der Hexerei beschuldigten Personenkreis und den Prozessumständen wird deutlich, dass es bei den Bamberger Hexenprozessen in erster Linie um machtpolitische Auseinandersetzungen ging.“
So beschreibt Wikipedia den anerkannten Stand der historischen Forschung. Es ist eine korrekte Zusammenfassung – und gleichzeitig die Brücke von gestern nach heute. Denn gerade in Bamberg kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass das dunkle Spätmittelalter und unsere angeblich so aufgeklärte und moderne Gegenwart in mancherlei Hinsicht gar nicht so weit auseinanderliegen.
„Unschuldig bin ich in das gefengnus kommen, unschuldig bin ich gemarttert worden, unschuldig muß ich sterben …“ Abschiedsbrief des Bamberger Bürgermeisters Johannes Junius
Stefan Niehoff ist Rentner. In den Sozialen Medien kritisiert er öfter mal die Regierung. Ein Kommentar des 64-Jährigen soll hier stellvertretend für alle stehen, denn dahinter steht immer dieselbe Idee. Da zitiert der Ex-Soldat eine Aussage der ARD- und ZDF-Mitarbeiterin Sarah Bosetti aus dem Corona-Jahr 2021:
Niehoff stellt ein Originalzitat des SS-Arztes Fritz Klein daneben, der einst gesagt hat:
„Aus Ehrfurcht vor dem Leben würde ich einen eiternden Blinddarm aus einem kranken Körper entfernen. Der Jude aber ist der eiternde Blinddarm im Körper der Menschheit.“
Jeder Mensch, der seine Sinne auch nur halbwegs beisammen hat (Juristen nennen so jemanden einen „verständigen Dritten“), erkennt: Niehoff lehnt die Aussage des Nazi-Arztes kategorisch ab. Er nimmt dessen Zitat als Negativ-Beispiel – und zeigt, dass in der Corona-Zeit gegenüber Ungeimpften öffentlich teilweise genauso menschenverachtend geredet wurde wie während der Nazi-Zeit über Juden.
Wie gesagt: Jeder halbwegs vernunftbegabte Mensch sieht das. Aber nicht die Staatsanwaltschaft Bamberg.
Die wirft dem schwerkranken Frührentner jetzt nämlich allen Ernstes vor, „Erkennungszeichen von ehemaligen nationalsozialistischen Organisationen verbreitet zu haben, deren öffentliche Verwendung in Deutschland verboten ist“. Niehoff soll auf X „eine unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlung in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören“, öffentlich verharmlost haben. Der Frührentner soll „Propagandamittel“ verbreitet haben „die nach ihrem Inhalt dazu bestimmt sind, Bestrebungen einer ehemaligen nationalsozialistischen Organisation fortzusetzen“.
Niehoff, der niemals in seinem Leben irgendwem irgendwie durch eine Nähe zu nationalsozialistischem Gedankengut aufgefallen ist, hat Nazi-KRITISCHE Kommentare veröffentlicht – und wird jetzt beschuldigt, selbst ein mindestens verkappter Nazi zu sein.
Die Staatsanwaltschaft Bamberg hat beim für Niehoffs Wohnort zuständigen Amtsgericht Haßfurt einen sogenannten Strafbefehlsantrag über 90 Tagessätze à 15 Euro beantragt. Das Amtsgericht hat dem Antrag in der vollen Höhe von 1.350 Euro stattgegeben. Niehoff wird nicht zahlen und lässt es auf einen Prozess ankommen. Er kommentiert die Vorwürfe knapp:
„Die sind doch nicht mehr ganz dicht.“
Man ist einigermaßen geneigt, ihm zuzustimmen.
Allerdings lässt sich die Sache auch anders lesen: Denn die Staatsanwaltschaft Bamberg verfolgt den Ex-Soldaten Niehoff schon länger. Im vergangenen Jahr hatte er auf der Plattform X einen Witz geteilt: „Schwachkopf PROFESSIONAL“, gemünzt auf den damaligen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck. Der offenbar zartbesaitete Grüne erstattete Anzeige. (Das allein schon ist einer freiheitlichen Demokratie unwürdig und disqualifiziert Habeck für jedes öffentliche Amt – aber das nur am Rande.)
Daraufhin bekamen Niehoff und seine am Down-Syndrom leidende Tochter in aller Herrgottsfrühe um kurz nach sechs Uhr morgens Besuch von zwei Beamten der Schweinfurter Kriminalpolizei. „So müssen die sich in der DDR gefühlt haben, wenn die Stasi aufgetaucht ist“, sagt der Frührentner. Ein Bamberger Staatsanwalt hatte allen Ernstes eine Hausdurchsuchung bei unserem Rentner beantragt – und ein Bamberger Amtsrichter hatte die Razzia dann allen Ernstes auch genehmigt.
Zur Erinnerung: Es ging um den Vorwurf der „Beleidigung gegen Personen des politischen Lebens gemäß §§ 185, 188 Abs. 1, 194 Strafgesetzbuch“. Die im Grundgesetz ausdrücklich geschützte Unverletzlichkeit der Wohnung wurde also kurzerhand übergangen, weil ein grüner Minister keinen Spott erträgt. Ein wie auch immer geartetes schweres Verbrechen, das allein in einem funktionierenden freiheitlichen Rechtsstaat eine Hausdurchsuchung hätte rechtfertigen können, war noch nicht einmal schemenhaft irgendwo am Horizont zu erkennen.
Doch Niehoff ist zwar krank und arbeitsunfähig und hat mit seiner beeinträchtigten Tochter alle Hände voll zu tun. Aber er ist eben auch ehemaliger Bundeswehrsoldat, und er wehrte sich: Er ging an die Öffentlichkeit. Wegen der Hausdurchsuchung ging tatsächlich ein Aufschrei der Empörung durch das Land. So hatten sich die Bamberger Staatsanwälte das erkennbar nicht vorgestellt. Statt Einschüchterung eines Bürgers mit Erziehungseffekt für viele tausend andere Untertanen hatten sie im Ergebnis jetzt eine Debatte über eine übergriffige Justiz am Hals.
Aber die Juristen in Bamberg sind traditionell beweglich – mindestens seit dem 17. Jahrhundert. Sie schwenkten um. Den alten Vorwurf gegen Niehoff, er habe Habeck beleidigt, lassen sie fallen. Stattdessen erheben sie urplötzlich und wie aus dem Nichts einen neuen, anderen: Jetzt soll der Mann also ein heimlicher Nazi sein.
Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Einem verständigen Dritten könnte sich nun schon der Eindruck aufdrängen, dass die Bamberger Staatsanwaltschaft um nahezu jeden Preis eine Bestrafung erreichen will. Deshalb wird ein Bürger, dem eigentlich nichts vorzuwerfen ist, mit einer konstruierten Anschuldigung verfolgt, die man getrost als abseitig bezeichnen kann.
Denkt man die Argumentation der Bamberger Staatsanwaltschaft zu Ende, dann wäre jeder Vergleich von Ereignissen in der Gegenwart mit Ereignissen während der Nazi-Zeit unzulässig. Das würde mit einem Schlag jede Geschichtswissenschaft unmöglich machen, denn um mögliche historische Muster zu erkennen, muss man halt vergleichen. Das ist das Kerngeschäft von Historikern.
Mit einem Federstrich wären darüber hinaus übrigens auch alle Schmähungen der AfD verboten, soweit sie sich auf die NS-Zeit beziehen. Dann müsste es Ermittlungsverfahren, Hausdurchsuchungen und Strafbefehle gegen viele, viele grüne Sympathisanten hageln.
Allerdings sind gewisse Zweifel daran angebracht, dass die Staatsjuristen in Bamberg unliebsame Meinungsäußerungen aus dem linken Spektrum so beflissen zu unterbinden versuchen wie solche aus dem konservativen Lager. Denn einige der handelnden Personen sind nicht nur in juristischen, sondern auch noch in anderen Interessengeflechten verwoben.
Als die Staatsanwaltschaft Bamberg wegen der „Schwachkopf“-Habeck-Sache einst die Hausdurchsuchung gegen Stefan Niehoff vorantrieb, hieß die Bamberger Oberstaatsanwältin: Ursula Redler. Als das Amtsgericht Haßloch wegen des Bosetti-Zitats jetzt den von der Bamberger Staatsanwaltschaft beantragten Strafbefehl gegen Stefan Niehoff bestätigte, hieß die Direktorin des Amtsgerichts Haßloch: Ursula Redler.
In Bayern gibt es nichts, was es nicht gibt.
Ursula Redler ist promovierte Juristin. Als Mitglied der Christlich-Sozialen Union hat sie offenbar noch so einiges vor im Leben. Im Stadtrat von Bamberg ist sie nicht nur stellvertretende Vorsitzende ihrer Fraktion. Nach Angaben auf der CSU-Internetseite sitzt Redler auch in acht Aufsichtsräten von meist städtischen Einrichtungen, zusätzlich im Finanzsenat sowie im Familien- und Integrationssenat der Stadt Bamberg.
Damit ist sie wohl nicht ausgelastet. Zum 1. Februar 2025 beförderte ihr Parteifreund und Landesjustizminister Georg Eisenreich die 41-Jährige an die Spitze des Amtsgerichts Haßloch. Dort – im Zuständigkeitsbereich von Ursula Redler – wird demnächst der Einspruch von Stefan Niehoff gegen den Strafbefehl verhandelt, der von der Staatsanwaltschaft in Bamberg – im Zuständigkeitsbereich von Ursula Redler – betrieben worden war.
In Bayern gibt es eben nichts, was es nicht gibt.
Der inhaltlich unverständliche Furor, mit dem unter der Juristin Redler erst in Bamberg und jetzt in Haßloch Meinungsäußerungen von Bürgern verfolgt werden, ist für die Politikerin Redler durchaus nützlich. Im Bamberger Stadtrat stellen die Grünen die stärkste Fraktion, die CSU ist nur zweitstärkste Kraft, und der Oberbürgermeister Andreas Starke ist Sozialdemokrat. Grüne und SPD haben politisch eine klare Agenda der Unterdrückung von „rechten“ Meinungen. Und CSU-Frau Redler als Fraktionsvize muss sich mit den anderen Kräften im Stadtrat natürlich arrangieren.
Niehoffs Anwalt Marcus Pretzell sorgt sich, dass Redler zumindest aufgrund ihres Jobwechsels von der Staatsanwältin zur Richterin befangen sein könnte. Man kann sich schon vorstellen, dass ein verständiger Dritter diese Sorge teilen würde.
Nach der staatsrechtlichen Theorie der Gewaltenteilung soll die Justiz als „Dritte Gewalt“ unabhängig sein – neben den beiden anderen Säulen, dem Parlament und der Regierung.
Doch gerade in Deutschland ist das tatsächlich nur graue Theorie.
Unser oberster Spruchkörper, das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, hat sich im Laufe der Jahrzehnte personell zu einer strikt parteipolitischen Veranstaltung entwickelt. Die Richter werden nicht nur in einem Verfahren bestimmt, das den großen Parteien einen direkten und nahezu unbegrenzten Zugriff auf die Posten sichert. Es werden auch immer öfter einfach gleich Berufspolitiker nach Karlsruhe geschickt.
Unrühmlicher Höhepunkt ist bisher der Aufstieg von Stephan Harbarth: Der Anwalt war als stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion viele Jahre lang einer der engsten Vertrauten und wichtigsten Zuarbeiter der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel. Zum Dank wurde er der erste Nicht-Richter als Präsident des Bundesverfassungsgerichts.
Vorsichtig ausgedrückt, hat das nicht für mehr grundrechtsorientierte Urteile nahe an den Bürgern gesorgt.
Richter sind ihren Urteilen zwar formal nicht weisungsgebunden – aber dafür in ihrer beruflichen Karriere nahezu komplett von Politikern abhängig. Nicht zufällig war es Bayerns Landesjustizminister Eisenreich, der seine Parteifreundin Ursula Redler von der Oberstaatsanwältin zur Gerichtsdirektorin beförderte.
Staatsanwälte bei uns sind – anders als in anderen Staaten – sogar ganz formal weisungsgebunden. Das heißt: Das übergeordnete Justizministerium kann ihnen im Zweifel vorschreiben, welche Fälle sie verfolgen und welche nicht. Dazu gibt es ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs EuGH. Der entschied im Jahr 2019, dass die deutschen Staatsanwaltschaften von der Regierung nicht unabhängig genug sind, um einen Europäischen Haftbefehl ausstellen zu dürfen (Urteil vom 27.05.2019, Az. C-508/18).
Bayerns Justizminister Eisenreich erklärt, er habe sein Weisungsrecht in seiner Amtszeit noch nicht genutzt: „Die Staatsanwaltschaft handelt selbstständig.“ Das ist glaubhaft – denn ein gewiefter Politiker muss formal gar nichts anweisen. Staatsanwälte und Richter in Bayern wissen in der Regel auch so, weshalb sie befördert werden und was dann von ihnen erwartet wird.
Nur politische Amateure hinterlassen schriftliche Beweise in Form von Aktenvermerken.
Zumindest in Bamberg braucht es wohl auch gar keine große politische Überzeugungsarbeit. Dort sind die Staatsanwälte offenbar ganz genuin keine Freunde einer großzügigen Auslegung des Grundrechts der Redefreiheit.
In Bamberg fand nämlich auch der Prozess gegen den Chefredakteur des konservativen „Deutschlandkurier“ statt. David Bendels hatte eine eindeutig satirische Fotomontage veröffentlicht. Da trug die sozialdemokratische Bundesinnenministerin Nancy Faeser ein Schild mit der Aufschrift: „Ich hasse Meinungsfreiheit.“
Faeser zeigte Bendels an (was lustigerweise den Inhalt der satirischen Fotomontage faktisch bestätigt). Bendels wurde zu sieben Monaten Gefängnis auf Bewährung verurteilt. National wie international wird das Urteil völlig zurecht als Justizskandal gewertet. Der Anwalt Joachim Steinhöfel fasst die Empörung von Millionen Menschen zusammen:
Die Oberstaatsanwältin zu Beginn der Ermittlungen gegen Bendels hieß: Ursula Redler.
Bamberg hat sich vom Ort der brutalsten Hexenprozesse zu einer Art Sondergerichtszone für Meinungsunterdrückung entwickelt. „Weiterentwickelt“ wäre dafür sicher der falsche Begriff.
Aber Hexenverfolgungen mit dezidiert wahnhaften Zügen gab es damals nicht nur in Bamberg. Und ähnlich gelagerte Bürgereinschüchterung gibt es heute nicht nur in Bamberg.
Um den Spitzenplatz bewirbt sich inzwischen auch die Staatsanwaltschaft Göttingen. Als Schwester im Geiste von Ursula Redler offenbart sich vor allem Svenja Meininghaus von der „Niedersächsischen Schwerpunktstaatsanwaltschaft zur Bekämpfung von Hasskriminalität im Internet“.
Sie wurde einer breiteren Öffentlichkeit durch eine amerikanische TV-Dokumentation bekannt. Da zeigten US-Journalisten von der sehr populären Sendung „60 minutes“ den Niedergang der Meinungsfreiheit in Deutschland am Beispiel des zweifelhaften Wirkens von Staatsanwältin Meininghaus.
Seit inzwischen drei Jahren verfolgt Meininghaus auch die erfolgreiche Journalistin Annabel Schunke:
Pünktlich zu Ostern hat der Göttinger Meininghaus-Kollege Matthäus Fink jetzt einen Strafbefehl gegen den renommierten Professor und Finanzwissenschaftler Stefan Homburg erwirkt:
All das erzeugt Angst. Man mag nicht glauben, dass die Staatsanwälte zu blind sind, das zu sehen. Also ist es unwahrscheinlich, dass die Einschüchterung nicht mindestens auch, wenn nicht sogar hauptsächlich, Zweck der ganzen Übung ist. Die von allen guten Geistern verlassenen Juristen in Bamberg und Göttingen zeigen den Bürgern: Wer sagt, was er denkt, kommt vor Gericht.
Damit fällt Deutschland rechtlich in einen vordemokratischen Zustand zurück. Das Grundgesetz wurde einst geschrieben, um zu verhindern, dass Bürger in Angst vor der Obrigkeit leben. Es wurde geschrieben, um Zensur zu verhindern. Es wurde geschrieben, um Selbstzensur zu verhindern – damit Bürger sich nicht wegen eines Machtrauschs wildgewordener Staatsanwälte und Richter selbst die Zunge abbeißen müssen.
Das Grundgesetz wurde geschrieben, weil die Zeit der Hexenverfolgung endgültig vorbei war. Jedenfalls dachten wir das.
Womöglich haben wir uns geirrt.