Die Sylt-Chronik: Hat die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsergebnis bis nach der Bundestagswahl verschwiegen?

vor 3 Monaten

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Bildquelle: NiUS

Im Mai 2024 steht das Land Kopf: Im Edelclub „Pony“ in Kampen auf Sylt stimmen mehrere junge Menschen die Parole „Ausländer raus!“ an, als die „Gigi D’Agostino“-Hymne „L’Amour toujours“ ertönt. Videoaufnahmen davon gehen durch die sozialen Netzwerke. Die Personen werden an die Öffentlichkeit gezerrt, verlieren mitunter ihre Jobs. Politiker sind außer sich. Nun aber kommt heraus: Die Ermittlungen wegen Volksverhetzung wurden eingestellt.

Am 19. Mai hatte der legendäre Edelclub „Pony“ in Kampen zur Party geladen. Im Außenbereich des Lokals feiern zahlreiche junge Leute, von denen einige auf der Terrasse die Parole „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ anstimmen, als der Song „L’Amour toujours“ ertönt. Sie filmen sich dabei: Auf dem Video taucht zunächst eine Frau im Vordergrund auf, die den Text mitsingt, danach schwenkt die Kamera auf zwei Männer. Im hinteren Bildausschnitt reckt ein junger Mann seinen rechten Arm nach oben und imitiert mit seinen Fingern einen Hitlerbart.

Das 14-sekündige Video des Vorfalls wandert zunächst durch WhatsApp-Gruppen, bevor es am 23. Mai in den sozialen Netzwerken viral geht. Bei der Staatsanwaltschaft Flensburg gehen zahlreiche Onlineanzeigen und das entsprechende Video ein. „Wir haben dann in den frühen Morgenstunden ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, wegen des Verdachts der Volksverhetzung und des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen“, verkündet Staatsanwalt Thorkild Petersen-Thrö am 24. Mai bei RTL aktuell. „Diese Parolen sind aus unserer Sicht strafbewehrt.“

Auch in den 20-Uhr-Nachrichten der ARD-Tagesschau wird ausführlich über den rassistischen Vorfall berichtet. „Wir sind tief schockiert“, schreibt anschließend „Pony“-Inhaber Tim Becker in einer Stellungnahme. „Bei uns ist jeder Gast, unabhängig von der Ethnie, herzlich willkommen. Wir werden dieses widerliche Verhalten anzeigen und alle strafrechtlichen Möglichkeiten nutzen“, heißt es weiter. Laut eigenen Angaben erhalten die Betreiber des Clubs Morddrohungen.

Für eine der zu sehenden Personen hat der Vorfall auch berufliche Konsequenzen. Die Influencerin Milena Karl kündigt ihrer Angestellten, einer jungen Studentin aus Hamburg, „mit sofortiger Wirkung“. Auch eine Agentur reagiert prompt und kündigte ihrem Arbeitnehmer, der auf dem Sylt-Video zu sehen ist, fristlos. Eine Sprecherin des Unternehmens Serviceplan erklärte: „Die Serviceplan Group ist ein weltoffenes Unternehmen und lebt ihr Leitbild der Stärke durch Vielfalt in allen seinen Houses of Communication mit 6.000 Kolleg:innen aus mehr als 50 Ländern weltweit täglich. Rassismus wird innerhalb der Agenturgruppe in keiner Form geduldet. Als der Vorfall bekannt wurde, hat die Serviceplan Group sofort gehandelt und eine fristlose Kündigung ausgesprochen.“

Die Welle der Empörung ist nach Veröffentlichung des Videos gigantisch: Zahlreiche Politiker sehen sich genötigt, sich zu dem Video betrunkener Rich-Kids auf Sylt zu äußern. Einige fordern harte Strafen. „Ganz klar: Solche Parolen sind ekelig, sie sind nicht akzeptabel“, erklärt Bundeskanzler Olaf Scholz am 24. Mai. „Ich gehe davon aus, dass man solche verfassungsfeindlichen Parolen dann auch bestraft“, meint Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) auf der 75-Jahres-Feier zum Grundgesetz, die am selben Tag stattfindet. „Wir müssen dieses Strafrecht anwenden und vielleicht auch mal mit einer Höchststrafe belegen.“ Mit diesem Video könne man die Personen genau identifizieren, die da mitgegrölt hätten. „Und ich hoffe, die bekommen eine anständige Strafe“, so Bas.

Auf Antrag der Frau aus dem Video erlässt das Landgericht München schließlich am 12. Juni 2024 eine einstweilige Verfügung. Darin untersagt das Gericht der Bild-Zeitung bzw. dem Axel Springer Verlag, die Verbreitung des unverpixelten Videos und der zahlreichen Screenshots sowie die Nennung ihres Vornames.

Die Sicherheitsbehörden ermitteln unterdessen monatelang gegen die Frau und drei Männer. NIUS fragt immer wieder nach einem Zwischenstand. Am 6. Dezember 2024 teilt der verantwortliche Staatsanwalt auf Anfrage mit: „Wir sind in den letzten Zügen, ich hoffe, über den Jahreswechsel eine offizielle Stellungnahme abgeben zu können.“ Doch wochenlang passiert nichts.

Auf nochmalige Nachfrage im Februar wird klar: Die Ermittlungen im Fall Sylt sind abgeschlossen. Staatsanwalt Petersen-Thrö erklärt gegenüber NIUS am 9. Februar: „In dem Verfahren betreffend die Ereignisse im Pony sind die Ermittlungen abgeschlossen. In Abstimmung mit der Behörde des Generalstaatsanwalts ist eine abschließende Entscheidung in den kommenden Wochen zu erwarten. Vor einer Information der Presse werden nach Abschluss aber zunächst die Beschuldigten bzw. ihre Verteidigungen zu informieren sein. Ich muss Sie leider noch um Geduld bitten.“

Dennoch wird der Öffentlichkeit wieder mehrere Wochen lang nichts mitgeteilt. Wollte man die Bundestagswahl abwarten, um dann zu erklären, dass es für keine Anklage reicht?

Am 24. April veröffentlicht die Staatsanwaltschaft Flensburg schließlich eine Pressemitteilung. Das Rufen der Parolen „Ausländer raus! Deutschland den Deutschen!“ erfüllt demnach nicht den Straftatbestand der Volksverhetzung. Der „winkende Gruß“ mit ausgestrecktem Arm unter gleichzeitiger Andeutung eines „Hitlerbärtchens“ erfüllt laut Staatsanwaltschaft hingegen den Straftatbestand des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Diese hatte ein junger Mann laut Ansicht der Ermittler gezeigt. Sie wirft ihm vor, den rechten Arm gehoben und diesen zeitweise zu einem „winkenden Gruß“ ausgestreckt zu haben. Mit der anderen Hand soll er ein „Hitlerbärtchen“ angedeutet haben.

Der Club Pony in Kampen auf Sylt

Die Einstellung des Verfahrens kommt jedoch nicht wirklich überraschend. Immer wieder kam es seit Oktober 2023 zu entsprechenden „Ausländer raus“-Gesängen – in Parks, im öffentlichen Nahverkehr, meist jedoch in Clubs und Diskotheken. Die Behörden reagierten panisch. Mitunter kam es zu Hausdurchsuchungen oder zur Beschlagnahmung von Telefonen.

Am Ende stand jedoch fast immer fest: Die Staatsanwaltschaft muss die Ermittlungen einstellen. Das bloße Rufen der Parole ist nicht strafbar, wie zahlreiche Beispielfälle zeigen:

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