
Einige deutsche Bundesländer nutzen die Software von Palantir bereits, nun prüft Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) einen bundesweiten Einsatz. Gotham, die Analyse-Software des US-Unternehmens, ist allerdings nicht unumstritten. Kritiker fordern europäische Alternativen mit transparentem Quellcode, um Abhängigkeiten und Grundrechtseingriffe zu vermeiden. Der Einsatz bietet aber klare Vorteile für die Polizeiarbeit, insbesondere in der Terrorabwehr und bei der Verarbeitung großer Datenmengen. NIUS beleuchtet Aspekte, die für und gegen einen Einsatz sprechen.
Effektive Terrorabwehr und Verbrechensbekämpfung:Die Software von Palantir ermöglicht die schnelle Verknüpfung und Analyse großer Datenmengen aus verschiedenen Datenbanken (z. B. Polizeidaten, Kraftfahrtbundesamt, Ausländerzentralregister). Dies kann helfen, terroristische Gefahren oder schwere Straftaten frühzeitig zu erkennen und zu verhindern, insbesondere in akuten Gefahrenlagen wie Terroranschlägen. In Deutschland ist diese Vernetzung bislang aufgrund der unzureichenden Koordination und Zusammenarbeit zwischen Behörden nur eingeschränkt möglich. Es gibt keine zentrale Behörde, die die Datenanalyse flächendeckend steuert. Das Bundeskriminalamt (BKA) hat zwar eine koordinierende Rolle in bestimmten Bereichen, dennoch fehlt eine Verbindung der Datenbanken aller 16 Landespolizeien sowie anderer Institutionen wie des Kraftfahrtbundesamts oder des Ausländerzentralregisters, die die Daten in Echtzeit zusammenführen könnte.
Technologische Überlegenheit:Derzeit gibt es keine europäische Alternative, die mit der Leistungsfähigkeit des Palantir-Produkts mithalten kann. Die Software ist in der Lage, komplexe Querverbindungen in Datenbanken zu identifizieren, die menschliche Ermittler möglicherweise übersehen würden. Zudem berichten die Behörden, dass die Software durch ihre benutzerfreundliche Oberfläche und fortschrittliche Algorithmen die Ermittlungsarbeit erheblich effizienter gestaltet.
Palantir-Investor Peter Thiel bei einem Republikanischen Nationalkongress im Jahr 2016
Einsatz in mehreren Bundesländern erfolgreich:Deutschland hat die Gotham-Software von Palantir bereits unter anderen Namen eingesetzt, beispielsweise als VeRA (Verknüpfte Recherche und Analyse) in Bayern oder als HessenData in Hessen. Die drei Länder berichten von positiven Erfahrungen, beispielsweise bei der Bewältigung großer Datenmengen und der Unterstützung bei der Lösung von Kriminalfällen.
Außenansicht des Palantir-Technologies-Hauptquartiers im Silicon Valley, Palo Alto, Kalifornien. Das Unternehmen wurde 2003 gegründet.
Zeitersparnis bei Ermittlungen:Palantir kann in kritischen Situationen wertvolle Zeit sparen, indem es schnell Verbindungen zwischen Personen, Orten oder Ereignissen herstellt, was bei der Aufklärung von Straftaten entscheidend sein kann. Die unterschiedlichen IT-Systeme der meisten Behörden sind veraltet oder inkompatibel.
Software kann an deutsche Gesetze angepasst werden:Kritiker bemängeln, die Software sei nicht mit deutschen Gesetzen in Einklang zu bringen. Doch beispielsweise in Bayern wurde das Polizeiaufgabengesetz bereits angepasst, um den Einsatz des Programms verfassungskonform zu gestalten, z. B. durch das automatische Schwärzen sensibler Daten wie Opfernamen. Diese Anpassung stellt sicher, dass personenbezogene Daten gemäß den strengen deutschen Datenschutzvorgaben geschützt werden, bevor sie analysiert werden. Zudem wurde die Software so konfiguriert, dass sie nur für gesetzlich vorgesehene Zwecke wie die Terrorabwehr oder die Bekämpfung schwerer Straftaten eingesetzt wird. Die bayerischen Behörden betonen, dass diese Maßnahmen die rechtlichen Bedenken, wie sie etwa vom Bundesverfassungsgericht oder anderen Bundesländern geäußert wurden, weitgehend beheben.
Alex Karp, CEO und einer der Gründer der Palantir Technologies Inc.
Grundrechtseingriffe und Datenschutz:Kritiker warnen vor Eingriffen in das Grundrecht auf Schutz der persönlichen Daten und die Kontrolle über deren Verwendung durch den Staat oder Dritte. 1983 hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass Bürger vor unzulässiger Datensammlung und -verarbeitung geschützt werden müssen, um die Privatsphäre zu sichern. Palantir verarbeitet auch Daten Unbeteiligter, was ein Verstoß sein könnte, wie das Bundesverfassungsgericht 2023 feststellte. In Hamburg und Hessen wurden entsprechende Gesetze für verfassungswidrig erklärt.
Ein hypothetisches Beispiel: Angenommen, die Polizei in Hessen nutzt Palantir-Software, um einen Terrorverdächtigen zu überwachen. Das Programm analysiert Daten aus verschiedenen Quellen, wie dem Ausländerzentralregister, dem Kraftfahrtbundesamt und Polizeidatenbanken. Dabei wird festgestellt, dass der Verdächtige regelmäßig mit einer anderen Person telefoniert, die selbst keine Straftat begangen hat – etwa ein Nachbar oder ein Arbeitskollege. Palantir könnte automatisch die Daten dieses Unbeteiligten (z. B. Telefonnummer, Adresse, Fahrzeugdaten) mit einbeziehen, um Verbindungen zu analysieren, obwohl diese Person lediglich zufällig mit dem Verdächtigen in Kontakt steht. Solche Verknüpfungen könnten dazu führen, dass die unbeteiligte Person in den Fokus der Ermittlungen gerät, ohne dass ein konkreter Verdacht gegen sie besteht.
Abhängigkeit von einem US-Unternehmen:Der Einsatz von Palantir-Produkten macht deutsche Behörden von einem US-Unternehmen abhängig, was die angestrebte digitale Souveränität Deutschlands und Europas untergräbt. Es gibt Bedenken hinsichtlich möglicher Datenabflüsse an US-Geheimdienste, insbesondere angesichts der Verbindungen von Palantir-Investor Peter Thiel zu US-Präsident Donald Trump, für dessen Wahlkampf er 1,25 Millionen US-Dollar spendete. Allerdings wird beispielsweise die VeRA-Plattform laut bayerischem Innenministerium im Rechenzentrum der bayerischen Polizei betrieben, weswegen es nicht möglich sei, von außen zuzugreifen.
Demonstration gegen Palantir-Investor Peter Thiel in New York. Von vielen Linken wird er als Super-Schurke bezeichnet.
Mangelnde Transparenz:Der Quellcode von Gotham ist nicht öffentlich einsehbar, da es sich um das Produkt eines privaten Unternehmens handelt, das seine Technologie als Geschäftsgeheimnis schützt. Das erschwert die Nachvollziehbarkeit der Datenverarbeitung und erhöht das Risiko von nicht erkennbaren Hintertüren oder Missbrauch und macht die Software für Datenschützer problematisch. Das Bundesinnenministerium unter Nancy Faeser entschied sich allerdings gegen eine Beteiligung an VeRA. Stattdessen plante der Bund, eine eigene Software-Lösung zu entwickeln. Diese scheint jedoch bislang nicht verfügbar zu sein.
Missbrauch bei weniger schweren Straftaten:Gotham könnte nicht nur für Terrorabwehr, sondern auch für weniger schwere Straftaten oder präventive Maßnahmen genutzt werden, was beispielsweise der bayerische Datenschutzbeauftragte Thomas Petri als unverhältnismäßig kritisiert. In Hessen wurde die Software 2.000 Mal in einem Jahr eingesetzt, oft ohne klaren Bezug zu akuten Gefahrenlagen, behauptet Petri.
Fehlende rechtliche Grundlage in manchen Bundesländern:In einigen Bundesländern könnte es zu Problemen mit landeseigenen Gesetzen kommen. Beispielsweise wurde in Baden-Württemberg ein Vertrag mit Palantir geschlossen, obwohl das Polizeigesetz den Einsatz der Software nicht erlaubt, was rechtliche und politische Kontroversen ausgelöst hat.
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