Warum Trump Drogenschmugglern vor Venezuelas Küste den Krieg erklärt

vor etwa 6 Stunden

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Bildquelle: NiUS

Buen día, so sagt man in Venezuela „Guten Morgen“ verehrte Leser, und wenn Sie das Gefühl haben, heute in einem anderen Jahrhundert aufgewacht zu sein, dann sind Sie soeben an den Richtigen geraten.

US-amerikanische Marineeinheiten sammeln sich derzeit in der Karibik, um militärischen Druck auf das sozialistische Maduro-Regime aufzubauen, ein Schnellboot des einflussreichen Drogenkartells „Tren de Aragua“ wurde von der Navy zerstört.

Was geschieht hier?

Kaum ein anderer aktueller Vorgang als jener vor der Küste Südamerikas ist geeigneter, um die eindrucksvolle Rückkehr des 19. Jahrhunderts und seiner geopolitischen Logik in allen Facetten zu erörtern. Die Erkenntnis, dass die Außenpolitik unserer Zeit wieder mit den Mitteln der militärischen Machtprojektion gestaltet wird, ist einer der Gründe, warum diese Kolumne notwendig und ihr Titel „Krieg und Frieden“ ist. Doch diese Erkenntnis ist nicht überall durchgedrungen, das ist der zweite, gewichtige Grund für ebendiese Texte: Die europäische Politik lebt in einem Paralleluniversum, in dem die Jahrtausendwende mit ihrem Multilateralismus, der Verrechtlichung internationaler Beziehungen und einer großen Portion globalisierten Fortschrittsglaubens in einer illusorischen Endlosschleife weiterläuft. Innerhalb der Gemeinschaft westlich geprägter Staaten mutiert die unterschiedliche Lesart der eigenen Epoche so schnell zur räumlichen Trennung, und diese Linie verläuft schnurstracks durch den Atlantik.

James Monroe war der fünfte US-Präsident und wurde berühmt für die „Monroe-Doktrin“, die erklärte, dass jede europäische Intervention in der westlichen Hemisphäre inakzeptabel sei.

Die Küste Venezuelas fällt in die amerikanische Hälfte. Hier gilt, offizielle Bezeichnungen hin oder her, die Logik der sogenannten „Monroe-Doktrin“, die das Wohl und Wehe südamerikanischer Staaten zu einer Binnenangelegenheit der Neuen Welt unter Aufsicht der USA erklärt. Entstanden war sie vor langer Zeit, als die Mächte der Alten Welt die Herrschaft über ihre Kolonien allmählich verloren und das Weiße Haus dafür Sorge tragen wollte, dass man diesen Zustand fortan akzeptierte. Ursprünglich also als anti-koloniale und durchaus anti-europäische Strategie angelegt – die US-Amerikaner hatten ihre eigenen Erfahrungen mit den Imperien Europas gemacht – wurde sie im Kalten Krieg angepasst, um die Ausbreitung des (sowjetischen) Kommunismus in Lateinamerika einzudämmen. Die Europäer hielten sich daran, wandten sich zunächst Afrika und Asien zu, teilten dann ein paar Jahrzehnte lang ohnehin die Interessen der USA und fanden sich schließlich in einer Situation wieder, in der ihr Augenmerk gänzlich den innenpolitischen Angelegenheiten galt. Während die ursprüngliche Monroe-Doktrin von 1823 noch die Aufteilung der Welt in zwei Hemisphären vorsah – eine Art reziproke Nichteinmischungspolitik zwischen Europa und Amerika, beinahe eine Art aufklärerischer Vertrag von Tordesillas – trat mit dem Ende des Kalten Krieges eine konkurrierende Doktrin in Erscheinung.

Die Staaten Westeuropas waren der Auffassung, dass Institutionen wie die der „Vereinten Nationen“ und die dahinterstehende Moralphilosophie wie die der Menschenrechte und der Globalisierung versprächen, die eigenen ethischen Auffassungen zur Weltgeltung zu bringen, während die USA in recht praktischer Weise die Monroe-Doktrin auf den ganzen Globus ausdehnen und den Weisheiten der Europäer notfalls etwas Nachdruck verleihen würden. Wie wir heute wissen, war das nicht der Fall. Zumindest Sie und ich wissen das. In Brüssel und Berlin wird das, nach allem, was wir sagen können, noch immer so gesehen. Wenn Peking, Moskau, Washington, Delhi und auch Caracas sich in der neuen Realität anders verhalten, dann ist die Reaktion immer die des Geisterfahrers aus dem gemeinhin bekannten Witz: „Einer? Hunderte!“

Drogenboote in der Karibik schmuggeln Drogen in die Länder Westens.

Eines von Ozeanpatrouillenschiffe, das in Gewässern vor der venezolanischen Küste segelt, um den Drogenhandel zu bekämpfen.

Das frühe 21. Jahrhundert ist also nicht, wie es Ihnen Annalena Baerbock und ihre Wasserträger in ihrem neuen, coolen New Yorker Auftritt in jeder Hinsicht weißmachen wollen, eine nie enden wollende 2000er-Party, sondern eine unangenehm technisierte Version des 19. Jahrhunderts. Alle außerhalb der Filterblasen europäischer Eliten (und jenen, die sich dafür halten oder ihnen folgen) wissen das, weshalb niemand auf diesem trotz allem wunderbaren Planeten so aufgeregt über Außenpolitik diskutiert, wie wir es können.

Was Sie gerade vor der Küste Venezuelas beobachten können, zählt ebenfalls zum Repertoire des 19. Jahrhunderts und nennt sich „Kanonenbootpolitik“. Kanonenbootpolitik ist etwas fundamental anderes als die neumodische Idee eines „Regime Change Wars“, bei der ein Staat einem anderen den Krieg erklärt, um dann zwei Generationen lang den Besiegten die Demokratie beizubringen. Vielmehr ist sie ein Instrument der Machtprojektion, bei dem große Seemächte (heutzutage könnte man den Luft- oder Cyberraum hinzuzählen) kleinere Staaten zu einem Politikwechsel in der ein oder anderen Sache zwingen. Das erreichen sie, indem sie durch eine bloße Flottendemonstration ihre Muskeln spielen lassen oder auch, indem sie ein paar Dinge zerstören, um zu zeigen, dass es ihnen ernst ist.

Der kleinere Widersacher wird dann einlenken oder ihm werden schlicht die Mittel genommen, eine gegenteilige Politik zu verfolgen. Im Gegensatz zum aufwendigen Regime Change ist das Kanonenboot ein Mittel der Wahl, wenn man sich nicht mit den Feinheiten im Zielland abmühen will oder, anders als amerikanische Regierungen der Jahrtausendwende, das Durchsetzen von Interessen mit UN-mäßigen Moralzielen garnieren muss oder will.

Der Bewohner des Petera-Slums in Caracas sitzt auf einem Motorrad.

Amerikaner und Briten sind historisch betrachtet sehr erfolgreich mit dem Einsatz dieses Instrumentes: Die USA haben Japan im 19. Jahrhundert auf diese Weise zur Öffnung des Handels gezwungen, die Engländer in Dänemark das Einhalten der anti-napoleonischen Koalition erreicht. Auch den jüngst erfolgten Einsatz US-amerikanischer Tarnkappenbomber gegen das Regime in Teheran kann man als geflügelte Variante der Kanonenbootpolitik bezeichnen (noch vor zwanzig Jahren hätte es einen Machtwechsel und Bodentruppen gebraucht, um die Mission moralisch zu verwursteln).

Selbst die Grönland-Strategie Trumps, die durch eine „Show of Force“ einen anti-russischen, anti-chinesischen Politikwechsel erzwingen will, kann man in diesem Lichte betrachten (übrigens im Einklang mit der Monroe-Doktrin, wenn man der Meinung ist, dass Dänemark als unzulänglich schwache Kolonialmacht in der westlichen Hemisphäre agiert und fremden Mächten dort die Ausbreitung gestattet). England ist das letzte europäische Land, das, womöglich mehr aus Gewohnheit denn aus echter Einsicht, einen Spagat zwischen den strategischen Paralleluniversen versucht: Als Venezuelas Machthaber Maduro im Dezember 2023 mobil machte, um Teile der ehemaligen britischen Kolonie Guyana zu annektieren, entsandte London, und Sie werden es schon ahnen, zur Unterstützung ein Kanonenboot.

Der US-Präsident Donald Trump hat süd- und mittelamerikanischen Drogenkartellen den Krieg erklärt.

Das führt uns zu der konkreten Situation vor Ort. Auch jene sieht dieser Tage verdächtig nach dem 19. Jahrhundert aus. Die Ausgangslage ist kompliziert und würde den Rahmen sprengen, aber zunächst können Sie sich den jüngsten Konflikt als einen umgekehrten Opiumkrieg vorstellen. Anders als im China vergangener Zeiten wollen die Engländer nicht den wirtschaftlich einträglichen Drogen-Strom in das Reich der Mitte militärisch erzwingen, sondern die USA selbigen aus Venezuela in das eigene Land vehement unterbinden. Dabei spielt es sicher eine Rolle, dass die sozialistische Staatsführung Venezuelas eng mit dem Drogenhandel verbunden ist.

Die Unterstützer des durch mutmaßlichen Wahlbetrug an der Macht verbliebenen Präsidenten Maduro, im Falle Russlands würde man wohl von Oligarchen sprechen, verdienen damit ein hübsches Sümmchen, von der illegalen Einwanderung und der Kriminalität auf Amerikas Straßen einmal abgesehen. Ganze Landesteile der USA gehen vor die Hunde, weil eine Kombination aus Drogenhandel aus Südamerika, China (im Übrigen auch über Kanada) und liberaler Innenpolitik dies ermöglicht. Die Trump-Administration hat sich völlig zurecht auf die Fahnen geschrieben, diesen Zustand zu beenden. Dazu kommt, dass das sozialistische Venezuela – das womöglich ölreichste Land der Erde – durch Korruption und Misswirtschaft in Armut versinkt. Innerhalb weniger Jahrzehnte hat sich der wohlhabendste Staat und vormalig engster US-Verbündete Lateinamerikas so zu einem Ort der kriminell geplagten Hoffnungslosigkeit gewandelt.

Der venezolanische Präsident Nicolas Maduro spricht auf einer Pressekonferenz.

Beschlagnahmtes Kokain bei einer Militäroperation in Venezuela.

Innenpolitisch hat US-Präsident Trump mit der Kanonenbootdiplomatie gute Erfahrungen gemacht. Sie bescherte ihm nicht nur einen Erfolg gegen die Mullahs in Teheran, sondern auch einen Politikwechsel in Panama, samt Abkehr von der chinesischen Belt-and-Road-Initiative und dem geplanten Verkauf chinesisch betriebener Hafenanlagen.

Dazu kommt, dass das venezolanische Regime einige der weltweit berüchtigtsten Staaten zu seinen Partnern zählt. In Venezuela operieren nicht nur iranische Revolutionsgarden und die Wagner-Gruppe, sondern auch chinesische Satelliten- und Radaranlagen. Die Marine Venezuelas ist mit chinesischen Geschützen ausgestattet und mit iranischen Drohnen bestückt. Hier befindet sich die größte Produktionsstätte militärischer Drohnen auf dem südamerikanischen Kontinent, unter anderem werden für den Eigenbedarf die der Ukraine bitterlich bekannten Shahed-Drohnen hergestellt. Die Streitkräfte Venezuelas verfügen außerdem über Kampfjets und Panzer russischer Bauart. Wer sich in einer Neuauflage des Kalten Krieges wähnt, der kann in diesem Staat leicht ein zweites Kuba erkennen. Den Europäern, die am eindringlichsten vor dem russischen und chinesischen Einfluss warnen, sollte das eigentlich gefallen.

Der Drogenhandel in Slums wie hier in Caracas bestimmt inzwischen die Außenpolitik.

Wirft man einen Blick auf die militärischen Einheiten, die die USA vor Venezuela zusammenziehen, stützt die Beobachtung auch aus einer fachlichen Perspektive die Hypothese der Kanonenbootpolitik. Insgesamt haben die Streitkräfte des Regimes in Caracas keine Chance gegen die amerikanische Übermacht, so viel ist ohnehin klar. Die vor Ort befindlichen US-Kräfte sind zu groß, um ausschließlich gegen vereinzelte Schnellboote der Drogenkartelle vorzugehen. Doch sie sind trotz der beeindruckenden Anzahl auch zu klein, um eine Landungsoperation und Invasion Venezuelas mit dem Ziel eines „Regime Changes“ vorzubereiten.

Sie haben allerdings die perfekte Größe, um Maduros Regierung zu bestimmten Handlungen zu zwingen – beispielsweise ein aktiveres Vorgehen gegen den Drogenexport, die Öffnung der Wirtschaft oder auch weniger Zusammenarbeit mit Moskau und Peking. Mit der Verlegung von Kampfflugzeugen des Typs F-35 in die Region behält sich Washington auch vor, Knotenpunkte der Infrastruktur wichtiger Drogenkartelle im Hinterland zu zerstören, ohne sich mit Bodentruppen in Lateinamerika engagieren zu müssen. Es ist davon auszugehen, dass sich die bald eintretenden Geschehnisse in und um Venezuela in diesem Rahmen bewegen werden. Gegen die Kanonenbootpolitik der USA ist das Maduro-Regime, das sich die Mobilisierung seiner Reservisten schon nicht leisten kann, völlig chancenlos.

„Ist das recht und billig?“, mögen Sie fragen. Immerhin ist dieser Vorgang eindeutig eine Erinnerung daran, dass das Recht des Stärkeren auf die Bühne der internationalen Politik zurückkehrt. Diese Frage stellen auch Gegner der Politik Donald Trumps in Europa und Amerika. Der Influencer Brian Krassenstein unterstellte dem Vizepräsidenten J.D. Vance mit der Zerstörung des Kartell-Bootes sogar ein Kriegsverbrechen. Der Vater der britischen „Gunboat Diplomacy“, Lord Palmerston, äußerte sich einst so: „Wir haben keine ewigen Verbündeten, und keine anhaltenden Feinde. Unsere Interessen sind ewig und ungebrochen, und diesen gilt unsere Pflicht.“ Oder, weniger poetisch, mit den Worten von J.D. Vance: „I don’t give a shit what you call it.“ Herzlich willkommen in der Realität.

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