
Es gibt derzeit nur einen Aktivposten der Union im Kabinett von Kanzler Friedrich Merz (CDU): Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) wird ins Feld geführt, wann immer Wirksamkeit und Erfolg der schwarz-roten Koalition gefragt sind. Die Kontrollen an den deutschen Grenzen seien wirkungsvoll und zeigten durch die drastisch gesunkene Zahl von Asylanträgen auch bereits den Erfolg der viel beschworenen „Migrationswende“.
Alexander Dobrindt (CSU), Bundesinnenminister, wird vor allem bei Erfolgsmeldungen zu Migrationseinschränkungen hervorgehoben.
Der Kanzler selbst „macht im Ausland eine gute Figur“ heißt es intern, seine Beliebtheitswerte und die Umfragen der Union sind dagegen alles andere als ein Hoffnungszeichen für CDU/CSU. Mit anderen Worten: Dafür, dass Deutschland wieder ernst genommen wird auf der internationalen Bühne, kann sich die Union im Inland nichts kaufen. Eher im Gegenteil: Die klare Unterstützung der Ukraine trifft (nicht nur im Osten) auf eine kriegsskeptische Bevölkerung, und der im Grunde grenzenlose Verteidigungsetat, den Merz den Nato-Verbündeten geliefert hat, macht im Inland ebenfalls vielen Bürgern Angst.
Setzt der Kanzler dann doch mal einen kraftvollen Punkt, wie etwa bei der versprochenen Reform der Sozialsysteme, so muss er die markigen Ansagen nach Protesten der SPD kurzfristig wieder einsammeln und bestätigt damit das Umfaller-Image der Union, was die Umfragen weiter drückt.
Weil es so nicht weitergehen kann, haben sich jetzt drei Top-Leute der Union entschlossen, selbst öffentlich Pflöcke in die eigene Wählerschaft einzuschlagen – unabhängig von und ohne Rücksicht auf Kanzler Merz.
So grätscht CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann im BamS-Interview dem Kanzler brutal in die Koalitionsharmonie: „Und Kern des Kerns muss sein, dass wir in Zukunft jemanden nicht nur sanktionieren, wenn er eine zumutbare Arbeit wiederholt ablehnt“, sagte Linnemann. „Er darf gar kein Bürgergeld mehr bekommen. (...) jeder, der arbeiten kann, muss arbeiten gehen, sonst gibt es keine Sozialleistungen“
Linnemann verlangt eine „Agenda 2030“ in Analogie zur Agenda 2010 von Gerhard Schröder, die für die SPD noch immer ein Trauma ist, und er will auch nicht länger akzeptieren, dass NGOs mit staatlichen Geldern antisemitische und linksradikale Ziele verfolgen. Ein Vorstoß, den die Unionsfraktion kurz nach der Bundestagswahl formuliert und mit Rücksicht auf die Koalition mit der SPD dann aber still wieder versacken ließ.
Jens Spahn (CDU) und CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann betreten das Fraktionsbüro im Bundestag.
Und auch CSU-Chef Markus Söder geht nach langer, spürbarer Harmonie-Umrahmung des Kanzlers wieder deutlich in die Offensive und schlägt etwa beim Kampf gegen das von der EU-Kommission betriebene Verbrenner-Aus harte Töne an, die man eigentlich von Merz erwartet hätte: „Das Auto wird zur Schicksalsfrage der deutschen Industrie. Es ist das Herz unserer Volkswirtschaft – ohne Auto droht ein Kollaps“, sagte Söder der Bild am Sonntag und präsentierte seinen „Zehn-Punkte-Plan: Ja, zum Autoland Deutschland“. Motto: Merz lädt zum Auto-Gipfel ins Kanzleramt, Söder macht die Ansagen.
CSU-Chef Markus Söder geht nach längerer Harmoniephase mit dem Kanzler wieder in die Offensive, etwa im Kampf gegen das EU-Verbrenner-Aus.
Unionsfraktionschef Jens Spahn (CDU) wirbt als Dritter im Bunde für Profil und Kompromisse. Er spricht offen davon, dass die Koalition Unterstützung von „Mitte-Links“ gegen die AfD benötigt. „Wer die AfD klein halten will, muss ein Interesse an einer starken Union haben!“, sagte er der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Während ihm aus der SPD, von Linken und Grünen Vorwürfe entgegenschlagen, die Wahl der umstrittenen Juristin Frauke Brosius-Gersdorf verpatzt zu haben, hat er in Wahrheit gerade damit der Union einen Dienst erwiesen und sie vor einem weiteren Image-Schaden bewahrt. Der Vorwurf, die Union drücke bei Linken und Linksradikalen alle Augen zu, wenn es dem eigenen Machterhalt nutze, ist ein gewichtiger Grund für den Vertrauensverlust im bürgerlichen Lager rechts der Mitte.
Linnemann, Spahn, Söder – ob die drei die Profil-Lücke ausfüllen können, die Merz hinterlässt, ist einstweilen offen. Fakt ist: Gut 130 Tage nach dem Regierungsantritt haben wichtige Köpfe der Union begriffen, dass sie kämpfen müssen, wenn CDU/CSU künftige noch eine Chance haben sollen. Notfalls neben oder gegen den Kanzler.
Lesen Sie auch:Koalitionsausschuss: Wie die deutsche Politik an ihr Ende kommt