
Im Jahr 2000 reiste ich erstmals nach Vancouver, British Columbia, in Kanada, um dort einen Film zu drehen. Die Stadt, malerisch am Pazifik gelegen, wies zu jener Zeit eine vergleichsweise geringe, aber dennoch sichtbare Anzahl von Drogenabhängigen und Obdachlosen auf. In der historischen Altstadt Vancouvers, insbesondere in den Vierteln Gastown und Chinatown, hielten sich damals schätzungsweise rund hundert Obdachlose auf. Im Jahr 2015 eröffnete ich in Gastown das gehobene Restaurant BAUHAUS und verbrachte in den darauffolgenden Jahren nahezu täglich Zeit in diesem Teil der Stadt.
Die Stadt errichtete zunehmend mehr Suppenküchen, Notunterkünfte und sogenannte Safe Injection Sites – Einrichtungen, in denen Drogenabhängige kostenfrei saubere Spritzen sowie weiteres Zubehör erhielten, um ihren Konsum unter kontrollierten Bedingungen fortzusetzen. Dort konnten sie zudem verweilen, um nicht im berauschten Zustand durch die Straßen zu irren. Dieses Angebot wurde schließlich ausgeweitet, indem Abhängigen kostenlos gereinigte Substanzen, zumeist Methadon, zur Verfügung gestellt wurden.
Die Provinz British Columbia und insbesondere die Stadt Vancouver werden traditionell von links-liberalen Regierungen geführt, die sich in ihrem sozialen Engagement gegenseitig übertreffen und stets darauf bedacht sind, den Bedürftigen und Schwachen Hilfe zu leisten. Die offizielle Erzählung lautete, das Hauptproblem sei die Obdachlosigkeit – weshalb alte Hotels in Gastown angemietet wurden, um Wohnraum für die Betroffenen bereitzustellen. Dabei wurde jedoch ignoriert, dass die eigentliche Ursache in der Drogensucht liegt und diese wiederum oft erst zur Obdachlosigkeit führt – nicht umgekehrt. Die zugewiesenen Zimmer verfielen innerhalb kürzester Zeit in einen Zustand völliger Verwahrlosung und waren bald unbewohnbar.
Ein von Obdachlosen bewohntes Hotel fiel den Flammen zum Opfer, nachdem ein Bewohner im Zimmer ein Feuer entfachte. Täglich auf meinem Weg vom Parkhaus zum Restaurant konnte ich beobachten, wie die Zahl der Drogenabhängigen kontinuierlich anwuchs. Crack und insbesondere Fentanyl beherrschten zunehmend das Straßenbild, während die Zahl der Drogentoten Jahr für Jahr weiter anstieg. Obwohl Kanada nur über die Hälfte der Einwohnerzahl Deutschlands verfügt, verzeichnete das Land im vergangenen Jahr fast 9.000 Drogentote – im Vergleich zu weniger als 2.300 in Deutschland.
Die Stadt Vancouver verteilt Narcotan-Spritzensets an jeden Abhängigen, damit im Falle einer Überdosis ein zufällig anwesender Passant das Gegenmittel verabreichen kann – denn insbesondere bei Fentanyl führt eine Überdosis innerhalb weniger Minuten zum Tod. Polizeifahrzeuge und Krankenwagen sind ununterbrochen in den Straßen unterwegs, um Überdosierte in Krankenhäuser zu bringen oder Dealer und Abhängige festzunehmen. Gleichzeitig nahm die Kriminalität im Zusammenhang mit Raub, Einbruch und körperlichen Angriffen monatlich weiter zu.
Auch in meinem Restaurant war ich regelmäßig mit diesen Zuständen konfrontiert. Immer wieder musste ich Abhängige, die unkontrolliert in das Lokal eindrangen, hinauswerfen. Einmal stürmte ein Mann mit einer Machete in das Restaurant, schrie herum und verließ den Raum glücklicherweise nach kurzer Zeit wieder, ohne jemanden anzugreifen.
Zweimal musste ich auf dem Weg zum Parkhaus über Tote steigen – einer von ihnen lag auf dem Autodach meiner Frau, nachdem er aus dem Fenster eines Gebäudes gestoßen worden war. Die Polizei entfernte die Leiche und riet meiner Frau, ihr Auto doch in der Waschanlage zu reinigen, um die Blutflecken zu beseitigen, und sich an die Versicherung zu wenden.
In der gesamten Provinz British Columbia gibt es kein einziges Rehabilitationszentrum, das Abhängigen eine echte Möglichkeit zur Entgiftung und anschließenden langfristigen Therapie bietet. Stattdessen profitieren nicht nur die Drogenhändler von der Krise, sondern auch zahlreiche Wohltätigkeitsorganisationen, die mit der stetig wachsenden Zahl der Drogenabhängigen erhebliche Summen verdienen. Jährlich fließen in Vancouver Hunderte Millionen Dollar an solche Organisationen, die sich um Abhängige kümmern sollen.
Die Zahl der Obdachlosen entspricht nahezu der Zahl der Drogenabhängigen und wächst jährlich um rund 30 %. Mittlerweile leben allein in Vancouver mehr als 4500 Menschen auf der Straße, was zu einem drastischen Anstieg von Raubüberfällen, Einbrüchen und Gewaltdelikten geführt hat. Obdachlosigkeit ist längst nicht mehr auf Gastown und Chinatown beschränkt – sie prägt inzwischen das gesamte Stadtzentrum von Vancouver.
Fentanyl, das weitaus potenter als Heroin ist, wird überwiegend aus China geschmuggelt und kann zu minimalen Kosten produziert werden. Es wird meist in Pillenform konsumiert, doch da diese Kapseln oft von Laien ohne präzise Dosierung hergestellt werden, variiert der Wirkstoffgehalt erheblich – mit oft tödlichen Folgen. Eine einzelne Pille kostet lediglich 3 Dollar und ist daher für Konsumenten mehrfach täglich erschwinglich. Die zusätzlich kostenlos verteilten Drogen verstärken das Problem weiter.
Im Jahr 2020 sahen wir uns gezwungen, unser Restaurant zu schließen – nicht nur aufgrund der Covid-Lockdowns, sondern vor allem wegen der eskalierenden Drogenkrise, die das gesellschaftliche Leben in Vancouver zunehmend untragbar machte.
Seit Jahren beobachte ich nun den zunehmenden Verfall des Gebiets rund um den Frankfurter Hauptbahnhof. Mit der schleichenden, aber unaufhaltsamen Verbreitung von Crack und Fentanyl in Deutschland droht sich die Situation noch weiter zu verschärfen – insbesondere wenn Frankfurt weiterhin der Drogenpolitik der Westküstenstädte in den USA und Kanada folgt.
Die einzige Möglichkeit, diese Entwicklung zu stoppen, besteht nicht darin, den Drogenkonsum zu tolerieren, Kriminalität und Abhängigkeit mit Nachsicht zu begegnen und durch immer umfassendere Hilfsangebote die Zahl der Drogenabhängigen und potenziellen Konsumenten in das Bahnhofsviertel zu ziehen. Vielmehr müssen Drogendealer konsequent verhaftet, inhaftiert und – sofern möglich – aus Deutschland ausgewiesen werden. Gleichzeitig muss jeglicher Drogenkonsum verboten werden.
Abhängige sollten, auch gegen ihren Willen, in Rehabilitationskliniken eingewiesen werden, um ihnen eine echte Perspektive für ein zukünftiges Leben ohne Abhängigkeit zu ermöglichen. Der Grundsatz „In Gefahr und höchster Not führt der Mittelweg zum Tod“ trifft auf diese Problematik leider in vollem Umfang zu.
Dr. phil. Uwe Boll ist Autor, Film-Regisseur und Produzent