
Das Wahlbeben in den USA hat die Machtverhältnisse in Sachen Corona-Wissenschaft mit einem Schlag verkehrt: Mit Dr. Jay Bhattacharya leitet nun ein erklärter Gegner der teils brutalen Corona-Politik die National Institutes of Health (NIH). Die Nachricht schlug auf X ein wie eine Bombe, sogar Christian Drosten schaltete sich in die Diskussion ein. Er warf Bhattacharya „grobe Fehleinschätzungen“ vor. NIUS zeigt anhand Drostens Buch auf, was der Virologe damit genau meint – und warum er falsch liegt.
Die Journalistin Aya Velázquez erinnerte kürzlich auf X daran, dass Drosten im NDR-Podcast die Verfasser der „Great Barrington Erklärung“, die damals für einen Abbruch der autoritären Lockdown-Politik plädierten, als „Pseudoexperten“ diffamiert hatte. Drosten antwortete daraufhin: „Wissen Sie, es gibt so manche, die sich damals mit groben Fehleinschätzungen positioniert haben und es später nicht fertigbrachten, sich zu korrigieren. Das ist Psychologie. Diese Personalie ist Politik. Es ist aber nicht so, dass mich das irgendwie betrifft, falls Sie das hoffen.“
Screenshot X
Welche „groben Fehleinschätzungen“ Drosten genau meint in seiner Antwort, ist bekannt. In seinem Buch „Alles überstanden?“ schreibt Drosten: „Die Vertreter der Great Barrington Erklärung haben sich bei ihren anfänglichen Versuchen, die Sterblichkeitsrate der Erkrankung zu bewerten, enorm verschätzt und ihre Position dennoch weiter in den Medien verteidigt.“ Drosten macht auch mit Zahlenangaben deutlich, worin das enorme Verschätzen bestehe: Die „Infektionssterblichkeit von Covid war damals etwa 16-mal so hoch wie die von Influenza.“
Faktencheck: Anders als in seinen zahlreichen Interviews sind Drostens Thesen im genannten Buch durch Quellenangaben ergänzt, wodurch es möglich ist, sie detailliert nachzuvollziehen und zu widerlegen: Im NDR-Podcast nannte er für Covid eine Infektionssterblichkeit (abgekürzt: IFR) von 0,8 Prozent, die er mit einer Influenza-IFR von 0,05 Prozent verglich. So kommt er auf den Faktor 16.
Drosten und der Journalist Georg Mascolo bei einem Interview am 26. Juni 2024 zu ihrem gemeinsam veröffentlichten Buch „Alles überstanden?“
In besagtem Podcast behauptet er, die Corona-Infektionssterblichkeit läge bei 0,8 Prozent, das sei das Ergebnis einer Studie. Allerdings kommt in deren Fazit diese Angabe überhaupt nicht vor. Vielmehr wird dort die Sterblichkeit jeweils nur für bestimmte Altersgruppen spezifiziert. Im Diskussionsteil der Studie ist allerdings von 0,8 Prozent die Rede: als geschätzte Prognose unter ungünstigen Bedingungen. Dieser Hochrechnung stellen die Studienautoren eine wesentlich geringere Schätzung einer Gesamtsterblichkeit von 0,3 Prozent gegenüber – was in etwa im Grippebereich liegt. Sie schreiben: „Wenn die Prävalenz [das Vorkommen des Virus, Anm. d. Red.] in allen Altersgruppen gleich ist, würde die Gesamtzahl der Todesfälle in den USA 500 Tausend übersteigen, und die IFR der Bevölkerung würde sich auf 0,8 Prozent annähern. Im Gegensatz dazu würde ein Szenario mit einer recht niedrigen Inzidenz von Neuinfektionen in den gefährdeten Altersgruppen mit weniger als halb so vielen Todesfällen und einer viel niedrigeren IFR der Bevölkerung von 0,3 Prozent verbunden sein.“
Methode Drosten: Die hochgerechneten 0,8 Prozent vergleicht Drosten nun mit der Influenza-Sterblichkeit, wobei er bei der Studien-Interpretation selektiv vorgeht, sogenanntes „Cherry Picking“ betreibt. Er pickt sich aus der Studie die größtmögliche Corona-Angabe und die kleinstmögliche Influenza-Angabe heraus, um so auf den Panik-Faktor „16-mal tödlicher“ zu kommen.
In der Studie heißt es: „Zum Beispiel gab es während der Grippesaison im Winter 2018-19 (...) eine Gesamt-IFR von 0,05 Prozent (...).“ Diesen Zweijahreszeitraum umschrieb Drosten im NDR einen „mehrjährigen Zeitraum“, in dem die Grippe-IFR 0,05 Prozent betragen habe, wohingegen die generelle Influenza-IFR in der Studie mit 0,1 Prozent beziffert wurde. Aber man könnte sogar noch höhere Angaben heranziehen.
Das RKI nennt für die Grippe eine Sterblichkeit zwischen 0,1 bis 0,2 Prozent. In seiner Heinsberg-Studie kam der Virologe Hendrik Streeck im Mai 2020 auf eine Sterblichkeit von 0,37 Prozent, was bereits ungefähr der Größenordnung der Grippe entspricht. Ende März 2021 errechnete der renommierte Statistiker John Ioannidis eine mittlere globale IFR von 0,15, was sich unterhalb der oberen Grippe-Sterblichkeit laut RKI bewegt.
All das blendet Drosten mithilfe von Zahlen-Trickserei aus.
Trump ernannte Robert F. Kennedy Jr. zum Gesundheitsminister, der wiederum dafür sorgte, dass Jay Bhattacharya Chef der National Institutes of Health (NIH) wurde.
Ferner ist zu beachten, dass die Corona-Sterblichkeit und die Grippe-Sterblichkeit jeweils anders berechnet werden, da man Influenza-Toten nie zuvor mit einer PCR-Massentestung nachging. Die Anzahl der Todes-Meldungen sei „davon abhängig, ob und wie häufig im ambulanten oder stationären Bereich eine Labordiagnostik für den Nachweis von Influenza eingeleitet wurde“, schreibt das RKI. Daher sei es „international üblich“, die „der Influenza zugeschriebene Sterblichkeit mittels statistischer Verfahren“ erst im Nachhinein zu schätzen, wobei auch „nachträglich beurkundete Kriegssterbefälle und gerichtliche Todeserklärungen herangezogen“ werden. Bei Corona testete man nun während der Virenwellen in das Sterbegeschehen hinein, was dazu beigetragen haben dürfte, die Todesraten anfangs deutlich zu überschätzen.
Drosten grobe Fehleinschätzungen sind legendär. Screenshot: stern.de
Festzuhalten bleibt, dass Drostens Corona-Sterblichkeit von 0,8 Prozent eine dramatisierte Hochrechnung war, die so nicht einmal die Studie hergab, auf die er sich bezog. Sie obendrein mit dem niedrigsten zur Verfügung stehenden Wert zur Grippe-Sterblichkeit zu vergleichen, um so andere Wissenschaftler ins Unrecht zu stellen, ist alles, nur keine seriöse Wissenschaft.
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