Dürfen Syrer kommen? Müssen Syrer gehen? Wie diese beiden Fragen den Wahlkampf beeinflussen werden

vor 5 Monaten

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Bildquelle: NiUS

Nach dem Sturz des syrischen Diktators Baschar al-Assad stellen sich zwei Fragen, die die deutsche Innenpolitik und damit auch den Bundestags-Wahlkampf prägen werden: Werden syrische Flüchtlinge nach Deutschland kommen dürfen, falls es in Syrien zum Aufstieg eines islamistischen Terror-Regimes kommt? Und müssen bereits in Deutschland lebende asylberechtigte Syrer das Land verlassen, wenn die Lage in Syrien sich entspannen sollte?

Beide Entscheidungen lassen sich erst treffen, wenn eindeutig ist, in welche Richtung sich die Lage in Syrien entwickelt. Die maßgebliche Rolle spielen dabei vor allem die Positionierungen von SPD und Grünen, die die jetzige Regierung bilden, sowie der CDU, die aller Voraussicht nach die künftige Koalition anführen und sich mit Sozialdemokraten oder Grünen auf einen Kurs wird einigen müssen.

Zwei mögliche Szenarien sind für die weiteren Entwicklungen in Syrien denkbar, die sich jeweils unterschiedlich auf Deutschland auswirken würden:

Verantwortlich für den Sturz von Assad ist die islamistische Miliz Hajat Tahrir al-Scham (HTS), die ihre Ursprünge in der Terrorgruppe Al Kaida hat. Angeführt wird die HTS von Abu Mohammed al-Dscholani. Bislang bemühen sich die Miliz und ihr Anführer, nach außen einen gemäßigten Eindruck zu machen. So sollen Berichten zufolge die Kämpfer aufgefordert worden sein, keine Rache an Zivilisten zu verüben. Auch erklärte die Miliz in sozialen Netzwerken, keine Kleidungsvorschriften für Frauen zu erlassen. Dabei könnte es sich allerdings auch um einen Versuch handeln, die internationalen Partner zu beschwichtigen, solange das Land nicht vollständig unter Kontrolle gebracht wurde.

Mit den USA und Israel mischen zwei weitere einflussreiche Player vor Ort mit: Die USA griffen am Wochenende Stellungen des IS an, Israel soll Waffenlager eliminiert haben. Auch der türkische Präsident Erdoğan, den Beobachter für eine treibende Kraft hinter Assads Sturz halten, wird seinen Einfluss geltend machen, um ein Terror-Regime in Syrien zu verhindern und die syrischen Flüchtlinge im eigenen Land zurückschicken zu können. Es spricht also manches dafür, dass Syrien sich auch unter islamischer Führung nicht in einen Terror-Staat verwandelt.

Freude auf den syrischen Straßen nach Assads Sturz.

Sollte die neue syrische Führung zumindest einigermaßen gemäßigt auftreten, wird in Deutschland die Frage nach dem Asylstatus der Syrer geklärt werden müssen. Vor allem aus der Union wurden am Wochenende entsprechende Stimmen laut. Die Unionsfraktionsvize der CSU, Andrea Lindholz, hatte die Diskussion in der Rheinischen Post angestoßen: „Wir haben in den letzten Jahren unsere humanitären Verpflichtungen übererfüllt“, erklärte sie. Falls es zu einem Frieden in Syrien komme, entfalle „die Schutzbedürftigkeit und damit der Grund für ihr Aufenthaltsrecht in Deutschland“.

Jens Spahn, ehemaliger CDU-Gesundheitsminister, legte bei ntv nach und forderte 1000 Euro Startgeld und gecharterte Maschinen für alle Syrer, die freiwillig in die Heimat zurückkehren wollen. Alexander Throm, innenpolitischer Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, sagte dem Handelsblatt, es gelte nun zu prüfen, ob der Schutzstatus jener entfalle, die vor Assad geflüchtet seien. Flucht sei ein „Aufenthalt auf Zeit“. Eine „Neubewertung der Frage, wer bei uns Schutz finden darf und wer nicht“, forderte auch CDU-Außenpolitiker Jürgen Hardt im ZDF.

Der CDU-Innenpolitiker Christoph der Vries erklärt gegenüber NIUS, er habe seit Längerem darauf gepocht, dass geprüft werden müsse, ob syrischen Flüchtlingen weiterhin Asyl gewährt werden sollte: „Denn es gab schon vor dem Umsturz große Teile des Landes, die befriedet waren. In der jetzigen fragilen Situation bleibt abzuwarten, wie sich das Land entwickelt. Die Entscheidung des BAMF, die Bearbeitung von Asylverfahren zunächst auszusetzen, finde ich deshalb richtig. Noch ist unklar, ob der Krieg wirklich vorbei ist. Denn es ist ungewiss, ob die HTS Minderheiten Schutz gewähren und eine Einheitsregierung bilden wird oder ein islamistisches Regime die Macht ergreift. Ich gehe davon aus, dass wir in einigen Tagen wissen, wohin die Reise in Syrien geht. Und wenn die Lage sich als stabil erweist, ist es selbstverständlich, dass die subsidiär Schutzberechtigten und Syrer ohne dauerhafte Aufenthaltserlaubnis Deutschland auch wieder verlassen und in die Heimat zurückkehren.“

Die CDU kann sich solche hart erscheinenden Statements leisten, solange die Lage in Syrien noch in der Schwebe ist. Denn trotz aller kommunizierten Härte ist auch der Union bewusst, dass die Zeit noch nicht reif für Entscheidungen ist. Sobald die Lage in Syrien erkennbar sicherer würde, stünden jedoch Konflikte mit Grünen und SPD bevor.

Denn aus beiden Parteien waren nach Assads Sturz vorsichtigere Töne zu hören. SPD-Außenpolitiker Michael Roth warnte im ZDF vor den islamistischen Gruppierungen, die hinter dem Sturz stehen. Bundestags-Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne) betonte im rbb24 Inforadio, dass zunächst geschaut werden müsse, wie sich die Lage in Syrien entwickle. „Selbstverständlich wird es so sein, dass, wenn das ein sicheres Land ist, dass dann Menschen zurückkehren sollen und auch werden“, so Göring-Eckardt. Doch die Vorstellung, dass in Deutschland lebende syrische Schulkinder zurückgeschickt würden, führe zu großer Unsicherheit.

Ricarda Lang, ehemalige Parteivorsitzende der Grünen, schrieb auf X: „Die erste Reaktion mancher Politiker auf den Sturz eines grausamen Diktators, aber auch eine vollkommen ungewisse Zukunft und Rolle der Islamisten in Syrien ist also: Abschieben! Menschlich unterirdisch, mit Blick auf Integration schädlich und außenpolitisch kurzsichtig.“

Die unterschiedlichen Positionen in der Flüchtlingsfrage könnten sich in den kommenden Wochen zuspitzen. Vor allem, wenn die Lage in Syrien unüberschaubar sein sollte oder die Frage, wie islamistisch das Regime tatsächlich ist, nicht eindeutig zu beantworten ist. Denn es handelt sich hierbei um einen Graubereich. De Vries fordert im Gespräch mit NIUS, die Außenministerin müsse ein aktuelles Lagebild über die Sicherheitssituation in Syrien insgesamt und in den unterschiedlichen Landesteilen liefern. Sollte die Lage stabil sein, müssten die subsidiär Schutzberechtigten nach Syrien zurückkehren: „Das gilt auch dann, wenn Syrien von einem gemäßigten islamistischen Regime regiert werden sollte: Solange die Normalbevölkerung nicht von Krieg oder Folter bedroht ist, gibt es keinen Grund für einen generellen Flüchtlingsschutz. Dieser hat grundsätzlich temporären Charakter und dies durchzusetzen ist elementar, um die Akzeptanz für künftige Hilfe zu bewahren.“

Bewaffnete Männer feiern in Syrien ihren Sieg.

Die Frage, ob Syrien ein sicherer Herkunftsstaat wird, könnte bei den Verhandlungen über einen Koalitionsvertrag also eine entscheidende Rolle spielen – und womöglich die CDU eher in die Arme der SPD als der Grünen treiben. Letztere machen beim Thema Asyl traditionell wenig Abstriche.

Auch die Argumentation mit wirtschaftlichen Gründen könnten beide Seiten für sich nutzen: Viele Syrer sind in Deutschland berufstätig. Während Arbeitsmarktforscher Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) gegenüber der Deutschen Presseagentur befand, eine Rückkehr der Syrer sei für den deutschen Arbeitsmarkt verkraftbar, warnt die Krankenhausgesellschaft vor den Folgen einer massenhaften Rückkehr nach Syrien, die in der Personaldecke der Ärzte spürbar sein würde.

Noch sind die Milizen in Syrien im gemeinsamen Ziel geeint, das Ende des Assad-Regimes zu besiegeln und dessen Herrschaft abzuwickeln. Dies könnte sich aber schon bald ändern: Konflikte unter rivalisierenden islamistischen Gruppen könnten zu bürgerkriegsartigen Zuständen führen, zudem mischt Erdoğan in Syrien mit und will die Gelegenheit nutzen, um die Kurden zu schwächen. Sollte die Lage also unsicher oder gar lebensbedrohlich bleiben und die Bevölkerung womöglich unter einem neuen islamistischen Terror-Regime leiden, könnte dies zu neuen Flüchtlingsströmen nach Europa führen. Falls dabei vermehrt Schiiten nach Deutschland kommen würden, könnte dies Auseinandersetzungen mit den sunnitischen Flüchtlingen aus Syrien in Deutschland befeuern, ein jahrhundertealter Konflikt würde auf die deutschen Straßen getragen.

Auch ohne diesen Hintergrund wäre eine neue Massenmigrations-Bewegung mitten im Wahlkampf ein Geschenk für die AfD, die sich mit einem harten Kurs profilieren könnte. Und eine echte Zwickmühle für die CDU, die sich auf einmal wieder im alten Merkel-Dilemma gefangen sähe: Würde sie Kriegsflüchtlinge abweisen, würde dies Zweifel an ihren christlichen Werten wecken. Zeigte sie sich aufnahmebereit, dann würde viele Wähler dies wohl nicht goutieren – zumal es sich erneut um einen Flüchtlingsstrom aus einem muslimischen Land handelte.

Syrer nach dem Sturz des Diktators auf einem Lastwagen.

Noch äußern sich wenige Politiker zu der Frage, ob sie im Falle einer Fluchtbewegung Syrer aufnehmen würden – zu unpopulär ist das Thema. Zunächst ist damit zu rechnen, dass sich Kanzler Olaf Scholz und Außenministerin Annalena Baerbock auf diplomatischem Wege für eine Lösung einsetzen werden. FDP-Chef Christian Lindner forderte eine internationale Syrien-Konferenz, CDU-Mann de Vries drängt gegenüber NIUS ebenfalls darauf, dass die Regierung vermittelnd tätig werden müsse, um potenzielle neue Flüchtlingsströme zu verhindern: „Das gilt insbesondere mit Blick auf die Türkei, deren Söldner im Nordosten Syriens die kurdische Bevölkerung angreifen.“

Falls all diese Bemühungen jedoch nichts helfen, dann könnte dies in den kommenden Wochen einen Migrations-Wahlkampf heraufbeschwören. Ein Szenario, vor dem sich alle etablierten Parteien fürchten – und das auf der Wunschliste der AfD wohl ganz oben steht.

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